Der von Wolfgang Siegenbrink geleitete KölnChor präsentierte eine spätromantische Bearbeitung des Barock-Komponisten. Unsere Kritik.
KölnChor in der PhilharmonieSo crazy kann Händels „Messiah“ klingen
Je kleiner, desto historischer – das scheint in der Aufführungspraxis von Barockmusik ausgemacht. Da geht es eben nicht nur um das Instrumentarium, sondern auch um die Besetzungsstärken. Minibesetzungen bis hin zum Solistischen – so soll es am besten sein. Nun zeigt aber gerade die Aufführungsgeschichte der Händel-Oratorien, dass es seinerzeit auch durchaus anders ging: Massendarbietungen des „Messiah“ im London des ausgehenden 18. Jahrhunderts etwa beweisen, dass es nicht fett und opulent und monumental genug sein konnte. Und keiner wird sagen können, dass solche Konzerte vom heutigen Standpunkt aus gesehen nicht „historisch“ waren.
Das war freilich alles nichts gegen die Bearbeitung für großes Sinfonieorchester, die der britische Dirigent Eugène Goossens Händels berühmtestem Werk 1959 angedeihen ließ. Da ist alles drin, was bei Händel vermeintlich „fehlt“: die Holz- und Blechbläser, dazu Harfe und Schlagwerk (nicht nur Pauke). Auch hier klingt Händel durchaus „historisch“, aber eben nach Spätromantik und französischem Impressionismus. Und das, obwohl an den Noten kaum etwas geändert wurde. Crazy, mag man sagen, und Puristen werden es auf jeden Fall.
Das „Halleluja“ leidet unter dem klanglichen Overkill
Aber als eine Station in der Rezeptionsgeschichte des Komponisten ist es zugleich hochinteressant und auf jeden Fall hörenswert. Insofern hatte Wolfgang Siegenbrink einen guten Riecher, als er jetzt mit seinem KölnChor und dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie Goossens' (von wem leicht gekürzten?) Händel im Rahmen der Kölner Chorkonzerte in der Kölner Philharmonie auf die Agenda setzte.
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Dass mehr auch weniger sein kann – diese Feststellung ist freilich am Ende wohl genauso wenig zu umgehen. Der Klang kommt weicher, um nicht zu sagen: weichlicher als bei einem Alte-Musik-Händel ist, flächiger, weniger aggressiv und pointiert, letztlich auch undramatischer – das ist das Eine. Aber es geht auch um Klangdramaturgie in der Strecke – was der Hörer spätestens beim „Halleluja“ merkt. Weil die gesamte Orchesterpalette bereits vorher üppigst ausgereizt wurde, fehlt dem großartig verspäteten Einsatz der Pauken der überwältigende Effekt, den er im Original hat. Nur ein Beispiel von den Tücken des Overkills.
Dass der Produktion eine vollends durchschlagende Wirkung versagt blieb, hatte allerdings auch mit der Spiel- und vor allem mit der chorischen Performance zu tun. Bei mäßigen Tempi nahm Siegenbrink gerade die Chöre eher flächig; in der Detailausformung, Kontrastbildung und Binnendynamik blieb manches defensiv und unterbelichtet – da wurde viel einfach durchdirigiert. Und die technische Realisation seitens der Adressaten war angesichts von unzureichend gestützten Spitzen und splittrigen Einsätzen auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Ziemlich daneben ging in diesem Sinne etwa der Chor „Let us break their bonds asunder“. Das Orchester aus Koblenz lieferte eine sehr ordentliche, aber auch keine überragende Leistung ab.
Pluspunkte des Konzerts waren trotz gewisser Niveauschwankungen die Leistungen der Vokalsolisten, die es angesichts des sinfonischen Backgrounds naheliegend nicht beim schlanken Barockgesang bewenden lassen konnten. Das taten Silke Evers (Sopran), Marion Eckstein (Alt), Henning Jendritza (Tenor) und Nico Wouterse (Bass), der mit seiner angekündigten Indisposition gut zurechtkam, dann auch nicht. Keineswegs aber machten sie deshalb in großer Wagner-Oper, hier blieb Händel „als solcher“ jederzeit erkennbar.