Köln – Jens Kukliks Kölner „atelier mobile – travelin’ theatre“ hat erneut auf der „Schäl Sick“ sein Quartier bezogen. Auf der Poller Wiese unterhalb der Alfred-Schütte-Allee steht diesmal kein Zelt, sondern eine luftige Bühne, die den großzügig auf die Fläche verteilten Zuschauern zum Sonnenuntergang den Blick auf Südbrücke und Dom freigibt.
Die Schauspielerin und Regisseurin Frederike Bohr macht mit ihrer Produktion „Von Mitläufern und Widerstand“ den Auftakt zu einem Bühnenprogramm, das noch bis in den September hinein Theater und Konzerte bietet. Das Eröffnungsstück ist gleich beides und steht ganz im Zeichen des wohl bekanntesten deutschen Rock-Rebellen – Rio Reiser und seiner Band „Ton Steine Scherben“.
Dessen Lieder, Texte, Tagebucheintragungen und Passagen aus seiner Autobiografie sind die Grundlage für eine Reise in die 70er Jahre. Bevor der Bogen zur heutigen „Friday for Future“-Bewegung geschlagen wird, gibt es zunächst eine Geschichtslektion zu der Zeit, da in Berlin Vietnamprotest, Studentenbewegung und Häuserkampf an Fahrt aufnahmen. Vor allem die Auseinandersetzungen um ein besetztes Gebäude in Kreuzberg fand seinen Niederschlag in den Songs der „Scherben“. „Ihr kriegt uns hier nicht raus. Das ist unser Haus…“, singt Moritz Angenendt sonor ins Mikro, begleitet von Regina Melech auf der Gitarre, die dann selbst im Lauf des kurzweiligen einstündigen Programms überzeugend frühe „Scherben“-Songs interpretiert.
Der Umstand, dass die Organisatoren des „atelier mobile“ geflissentlich die Corona-Schutzregeln einhalten, führt dabei zu einem Kultur-Clash der besonderen Art. Während das Publikum die Nachverfolgungszettel ausfüllt und auf Stühlen mit Abstand und Kopfhörern gesittet den alten Anarcho-Songs lauscht, verfolgen dicht gedrängt auf einer Terrasse in Sichtweite Fußballfans die EM. Wie schon im Sommer 2020 wird die Kultur zum Ordnungsfaktor im Meer des Partyvolks. Reiser, der wilde, melancholische Barde zwischen Aufruhr und Sehnsucht, hätte an dieser Umkehrung von Mainstream und Gegenkultur seinen Spaß gehabt.
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Manon Lacoste durchbricht den nostalgisch anmutenden Reigen als jugendliche Vertreterin der „Fridays for Future“-Bewegung mit den bekannten Demo-Parolen. Der legendäre „Scherben“-Slogan „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ steht hier in Konkurrenz zu „Wir sind viele, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“.
Richtig zusammen kommen sie nicht, die programmatischen Protestler der Klimaschutz-Bewegung und die schwärmerischen Songs von Reiser. Der ging seinen Weg des Rockstars zwischen Glamour und Verletzlichkeit, Wut und Sehnsucht bis zum bitteren Ende. „Der Traum ist aus“ ist dann auch der passende Abgesang dieser Performance. Die überzeugt eher als stimmungsvolle Würdigung eines großen Künstlers, weniger als Auseinandersetzung mit aktuellen Protestbewegungen.
Die Open-Air-Spielstätte „atelier mobile – travelin' theatre“ – Poller Wiesen, Höhe Alfred-Schütte-Allee 164, bietet noch bis in den September Kultur-Programm.