Die Grafikerin Käthe Kollwitz gibt ein Gastspiel im Kölner Wallraf-Richartz-Museum - unter anderem mit zwei frühen Ölstudien, die erstaunlich impressionistisch wirken.
Käthe Kollwitz im WallrafWar die große Kollwitz vielleicht doch eine Malerin?
Als das flüchtige, Impressionen erhaschende Malen an den deutschen Akademien noch als französische Marotte galt, schickten auch deutsche Kunstlehrer ihre Schüler mit Malkasten, Klappstuhl und Pappe hinaus in die Natur. Hier sollten sie mit rasch hingeworfenen Ölskizzen Auge und Hand schulen, um im Atelier dann allerdings wieder zu den strengen klassischen Formidealen zurückzukehren, die man in wilhelminischen Kaiserreich offenbar für gottgegeben hielt.
Auch die junge Käthe Kollwitz zog während ihrer Ausbildung an der Münchner Damenakademie des Künstlerinnen-Vereins unter freien Himmel und kehrte, wie jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen ist, mit zwei schönen, im Wettlauf mit Licht, Natur und Menschen entstandenen Biergarten-Szenen heim. Die eine zeigt leere Bänke unter Bäumen, die andere eine sechsköpfige Frauengruppe – beide hängen im Wallraf nun neben der „Rasenbleiche“, einem „echten“ impressionistischen Gemälde Max Liebermanns und wirken deutlich moderner (oder französischer) als das deutsche „Original“.
Kollwitz und Liebermann verbindet eine wunderbare Geschichte
Es mögen sich die Experten streiten, ob Kollwitz in ihren Übungsstücken eher dem von ihr bewunderten (und im Biergarten überholten) Liebermann folgte oder ihrer Schulaufgabe. Unstrittig ist hingegen, dass Kollwitz, die große Grafikerin, und Liebermann, der deutsche Pionier der impressionistischen Malerei, eine wunderbare gemeinsame Geschichte haben. Im Jahr 1898 verhalf Liebermann der jungen Kollwitz maßgeblich zum Durchbruch, indem er sie für eine Medaille bei der „Großen Berliner Kunstausstellung“ vorschlug. Kaiser Wilhelm II., der sich gerne über die „Rinnsteinmalerei“ ereiferte, lehnte dies entrüstet ab – und stellte Kollwitz‘ naturalistischem Grafikzyklus „Ein Weberaufstand“ ein unfreiwilliges Gütesiegel aus.
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Die beiden Ölstudien sind bis 26. November 2023 im Rahmen eines Gastspiels im Wallraf zu sehen – das Kölner Kollwitz-Museum wird derzeit saniert. Als Ergänzung zu den seltenen Fingerübungen zeigt das Wallraf außerdem die zweiteilige Strichätzung „Zertretene“ aus dem Jahr 1901. Auf ihr verbindet Kollwitz zwei Trauerszenen: eine naturalistische, in der ein Ehepaar ein totes Kind beklagt, und die symbolistische Beweinung eines toten Mannes, der man das Erbe des Grafikers Max Klinger ansieht. Das Werk des sächsischen Künstlers hatte Kollwitz bereits 1886 in der Malklasse der Berliner Künstlerinnenschule kennen und als erste Richtschnur schätzen gelernt.
Max Klinger schuf ein oft widersprüchliches, von naturalistischer Detailschärfe und symbolistischer Überhöhung gleichermaßen geprägtes Werk, mischte in fantastischen Grafikzyklen antike Mythen mit freudianischen Traumgespinsten und suchte in jeder Begegnung der Geschlechter den ewigen Kampf von Lust und Angst. Es ist offensichtlich, dass Kollwitz derlei ästhetische Überspanntheiten für ihr sozialkritisches, dem Alltagsleben zugewandtes Werk bald hinter sich ließ – lediglich die naturalistische Detailschärfe behielt sie bei. Und dennoch gab ihr die Begegnung mit Max Klinger den entscheidenden Impuls: Dank ihm, sagte sie später, merkte sie: „Ich bin ja gar keine Malerin.“
„Begegnungen – Käthe Kollwitz zu Gast im Wallraf-Richartz-Museum“, Wallraf-Richartz-Museum, Obermarspforten, Köln, bis 26. November