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Kölner KaderschmideVon Minigolf bis Klitoris – Ein Gang durch die Kunsthochschule

Lesezeit 4 Minuten
Faxen

Eine Insassin der JVA Gelsenkirchen schreibt Buchstaben in die Luft.  

  1. Die KHM gilt als Kaderschmiede des Filmnachwuchses. Zahlreiche Studenten sind extra aus dem Ausland hierher gezogen, um dort studieren zu können.
  2. Viele von ihnen zeigen nun ihre Arbeiten. 170 studentische Filme und Kunstwerke sind bis Sonntag zu sehen.
  3. Die Hochschule soll aus der Altstadt in den Deutzer Hafen umziehen. Aber die Finanzierung ist noch ungewiss.

Köln – Die Provinz hat keinen sonderlich guten Ruf. Die einen wollen nur weg von dort, die anderen bloß nicht wieder hin. So wurde aus der Provinz ein unbekannter Kontinent, dessen Existenz gerne geleugnet wird und deswegen schon wieder exotisch anmuten kann.

Jedenfalls sollte es niemanden wundern, dass der Filmemacher Julius Dommer nach Bad Oldesloe aufbrach, um der verblassenden Liebe der Deutschen zum Minigolf zu huldigen. In seinem Dokumentarfilm „Ascona“ erzählt er von der gezügelten Abenteuerlust der 50er Jahre, davon, wie leicht man aus einer banalen Freizeitbeschäftigung in den Spitzensport abgleiten kann, und nicht zuletzt von der Provinz, die in uns weiterlebt, gleich wohin wir vor ihr fliehen.

Warum sonst sollte uns ein spröder Film über Minigolf sonst derart rühren?

Alles zum Thema Henriette Reker

Auch Köln zählt aus globaler Perspektive durchaus zur Provinz, weshalb man ohne weiteres darüber staunen kann, dass beinahe die Hälfte der Studenten der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) aus dem Ausland in den Filzengraben gewechselt ist. Offenbar gehört die Kunsthochschule zu den weltoffenen Enklaven des kölschen Gefühls- und Alltagslebens, was sich naturgemäß auch in der alljährlichen Leistungsschau der Studenten zeigt.

Die aktuelle Ausgabe des „Rundgangs“ bietet etwa ein Videospiel über die gesellschaftliche Lage in Kolumbien, ein Video über die Sehnsucht nach nivea-heller Haut in China und einen Film über die Machtpolitik in Südkorea. Über weite Strecken ähneln die über 170 Arbeiten von Filmprogramm und Ausstellungsparcours einer globalen Heimatkunde. Davon profitieren auch einheimische Projekte: In „Ascona“ trifft ein weltläufiger Stil auf das Besondere eines urdeutschen Orts.

Manuel Boden schreibt einen Roman aus gefundenen Buchseiten

Bei Manuel Boden ist das Weltläufige zunächst schwieriger auszumachen. Er muss mehrere Jahre lang mit gesenktem Blick durch die Straßen Kölns gelaufen sein, um aus Büchern herausgerissene Seiten zu erspähen, an Ort und Stelle zu fotografieren und schließlich zu einem „Roman“ zu bündeln.

Bei der Reihenfolge hielt sich Boden daran, was ihm die Seitenzahlen vorgaben – bislang konnte er 53 seines 242 Seiten umfassenden Künstlerbuches mit Fotos füllen, die übrigen bleiben weiß. Einen fortlaufender Sinn ergibt die Lektüre selbstredend nicht (oder nur im dadaistischen Sinn).

Dafür nähert sich Boden mit jedem Fund dem Ideal echter Weltliteratur: ein Chor potenziell unendlich vieler Stimmen zu sein. Um eine ähnlich aussichtslose Form der Kommunikation geht es in Lisa Domins Dokumentarfilm „Faxen“. Domin hat weibliche Insassen der JVA Gelsenkirchen dabei beobachtet, wie sie Buchstaben in die Luft schreiben, um mit der Männerabteilung in Kontakt zu kommen – beide Bereiche werden durch ein großes Sportfeld voneinander getrennt. Innerhalb der Gefängnismauern heißt dieser Austausch Faxen, im Film erscheint er beinahe als romantische Geheimschrift der Liebe.

Um Liebe im weiteren Sinn geht es auch bei Luisa Bäde. Sie hat sich dem, wie sie sagt, „einzigen Organ gewidmet, das ausschließlich dem Lustempfinden dient“. Wer jetzt „Penis“ denkt, hat schon verloren oder ist einfach nur ein Mann. In Wahrheit geht es natürlich um die Klitoris.

Sie hängt bei Bäde als Schaubild an der Wand, baumelt im halben Dutzend als 3D-Druck-Mobile von der Decke und liegt als glitzerndes Spielzeug auf kleinen Podesten aus. Mit diesen Formen zielt Bäde auf die frühkindliche Erziehung, am liebsten sähe sie die Klitoris über Babywiegen, damit Mädchen und Frauen ein natürliches Verhältnis zu ihrem Lustzentrum entwickeln können.

Für Bäde ist ihre Installation ein Gegenentwurf zum schulischen Sexualkundeunterricht; der werde nach wie vor viel zu sehr vom männlichen Part her gedacht. Den Vulva-Lolli hat sie aber trotzdem in halbwegs sicherer Entfernung zu Kinderhänden aufgehängt.

Hans Ulrich Reck, Rektor der KHM, hat derzeit freilich andere Sorgen. Er scheidet im März 2020 aus dem Amt und würde bis dahin sicherlich gerne den geplanten Umzug der KHM initiieren. Aktuell ist eine „prominente Unterbringung“ (Reck) im Deutzer Hafen im Gespräch, eine Lösung, für die sich auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit einigem Nachdruck einsetzt. Vom Land Nordrhein-Westfalen, Träger der KHM, gebe es ebenfalls positive Signale, so Reck, die Finanzen seien allerdings noch nicht geklärt.

Vom aktuellen Campus in der Kölner Altstadt aus gesehen, mag Deutz abseitig und geradezu provinziell erscheinen. Aber die Exotik eines solchen Ortes hat auch ihren Reiz.

Infos zum Rundgang

Der alljährliche Rundgang der Kölner Kunsthochschule für Medien ist eine Mischung aus Sommerfest und studentischer Leistungsschau. Er findet auf dem Campus rund um den Filzengraben statt, der Eintritt für Ausstellung und Kinoprogramme ist frei.

„Rundgang 2019“, KHM Köln, Campus am Filzengraben, Do.-So. 14-20 Uhr, 10. bis 14. Juli.