Köln – Vergangene Woche flog Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Staatsbesuch in den Senegal, eine der wenigen stabilen Demokratien des afrikanischen Kontinents. An Bord befanden sich Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, die Präsidentin des Goethe-Instituts und als einziger Passagier ohne deutschen Pass Nanette Snoep, die niederländische Direktorin des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums für Ethnologie.
Offizielle Anlässe der Reise waren die Grundsteinlegung des neuen Goethe-Instituts in der senegalesischen Hauptstadt Dakar und der Baustellenbesuch einer geplanten Biontech-Produktionsanlage. Aber wenn hohe Vertreter ehemaliger Kolonialmächte heute nach Afrika reisen, fliegt immer auch die Debatte um Restitutionen und Kolonialverbrechen mit. Im ehemals von Frankreich beherrschten Senegal besuchte Steinmeier die Insel Gorée, ein Gedenkort für die Verschleppung unzähliger versklavter Menschen; Nanette Snoep wiederum setzt sich seit langem für die Rückgabe während der europäischen Kolonialzeit geraubter afrikanischer Kulturgüter ein.
Afrika schaut genau auf die europäische Restitutionsdebatte
„In Afrika werden die europäischen Schritte zur Restitution sehr ernst genommen“, sagt Snoep am Tag nach ihrer Rückkehr aus dem Senegal, „und auch, dass Deutschland dabei eine Vorreiterrolle einnimmt.“ Gerade in der senegalesischen Kunstwelt sei die koloniale Vergangenheit sehr präsent, es seien zunächst Künstler gewesen, die gefragt hätten, was es für ein Land und seine Menschen bedeutet, wenn große Teile des eigenen kulturellen Erbes in europäischen Museen lagern. „Manchmal kann man mit künstlerischer Forschung die Vergangenheit besser verstehen als mit den Mitteln der Wissenschaft“, so Snoep, die Wissenschaftlerin.
Von Berufs wegen ist Snoep oft auf den afrikanischen Kontinent gereist, allerdings noch nie im Rahmen eines Staatsbesuchs. „Es war sehr beeindruckend, dieses unglaubliche Protokoll und die Sicherheitsmaßnahmen mitzumachen“, sagt sie und fügt hinzu, dass es auch ethnologisch aufschlussreich gewesen sei, die Rituale der kulturellen Diplomatie aus der Nähe zu beobachten. Sie selbst hat viele Gespräche geführt und das neue Museum für schwarze Zivilisation in Dakar besucht – ein Haus nach ihrem Geschmack, weil es Archäologisches, zeitgenössische Kunst und Historisches verbindet. Demnächst sei dort in Kooperation mit dem Pariser Musée Pablo Picasso eine Ausstellung über Picassos Verhältnis zur afrikanischen Kunst zu sehen. „Das ist ein gigantischer Schritt“, sagt Snoep, denn Leihgaben europäischen Museen nach Afrika sind rar – beinahe so rar wie Restitutionen.
Dieses Jahr könnte Nanette Snoep auch nach Nigeria reisen, um den Kölner Anteil der während einer britischen „Strafexpedition“ geraubten Benin-Bronzen zurückzugeben. Es ist eine gesamtdeutsche Unternehmung, die in der Kölner Stadtgesellschaft dem Vernehmen nach nicht ganz unumstritten ist – trotz eines bereits erfolgten Ratsbeschlusses. Im Senegal hat die geplante Rückgabe der deutschen Benin-Bronzen nach Snoeps Eindruck die Atmosphäre merklich entspannt.
Snoep kennt das auch anders. Die niederländische Ethnologin arbeitete lange Jahre für das Pariser Museé du quai Branly und reiste in dieser Funktion stets als „Französin“ nach Afrika. Jetzt als „Deutsche“ in den Senegal zu fliegen war für sie eine angenehme Abwechslung. „Als Mitglied einer deutschen Delegation war das etwas neutraler“, sagt sie, zumal der französische Einfluss im Land weiterhin spürbar sei. „Die wirtschaftliche und kulturelle Abhängigkeit von Frankreich ist immer noch da, deshalb ist das Interesse an anderen Partnern groß.“ Beim Aufbau einer postkolonialen Beziehung sei dies äußerst nützlich.
An Deutschland schätzt Snoep, dass Staat und Institutionen die eigene Vergangenheit generell selbstkritischer sähen, als dies in anderen europäischen Ländern der Fall sei. Auch die Aufarbeitung der eigenen Kolonialverbrechen in Namibia erfolge mit deutscher Gründlichkeit, jedenfalls im Vergleich zu ehemaligen Kolonialmächten wie Belgien. „Das geht in die Tiefe und wird konkret.“
Recht konkret wird Snoep auch selbst, wenn es um die Tradition der ethnologischen Museen in Europa geht. „Unsere Sammlungen erzählen oft mehr über uns, als über die Länder, aus denen die Objekte stammen. Da gab es lange regelrechte Kataloge davon, was man haben musste: einen Tipi, einen Schrumpfkopf, einen tätowierten Schädel.“ Auch ihr eigenes Haus wäre demnach weniger ein ethnologisches denn ein historisches Museum, das den kolonialistischen Blick einer bestimmten Epoche auf die südliche Halbkugel dokumentiert.
Wegen des sich anbahnenden Einmarschs russischer Truppen in die Ukraine wurde die Reise um einen Tag verkürzt. Was lässt sich innerhalb von 48 Stunden überhaupt erreichen? „Ich habe Kontakte geknüpft“, antwortet Nanette Snoep, „und wir schauen jetzt, was wir machen können an gemeinsamen Ausstellungen oder Forschungsprojekten.“ Die kulturelle Infrastruktur im Senegal sei vorbildlich für Afrika. „Es war eine kurze Reise, aber es gibt ein großes Potenzial.“