Köln – Wie geht es weiter mit der Kölner Oper? Auf den ersten Blick scheint die Perspektive klar: Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die den bis zum Sommer 2022 laufenden Vertrag der amtierenden Intendantin Birgit Meyer nicht verlängern will, hat angekündigt, eine Findungskommission mit der Suche eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin zu beauftragen.
Der ganze Vorgang ist in Teilen der Kölner Kulturszene auf Kritik gestoßen: Meyer mache, so heißt es, doch gute Arbeit. Außerdem sei der zeitliche Rahmen für die Findung eines neuen Intendanten angesichts der üblichen Planungsvorläufe an Theatern viel zu knapp bemessen. Zudem sei der offiziell genannte Grund für die Nichtverlängerung – zehn Jahre seien genug, jetzt müsse frischer Wind wehen – fadenscheinig.
Gegenwind aus dem eigenen Haus
Frischen Wind – genauer: Gegenwind – bekommt Meyer in diesen Tagen freilich auch aus ihrem eigenen Haus. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ werden die bereits aus der Vergangenheit bekannten Klagen über den autoritären Führungsstil und die Beratungsresistenz der Intendantin weiterhin und mit großer Vehemenz erhoben.
Als Indiz für ein schlechtes Betriebsklima wird zumal die anhaltend hohe Personalfluktuation genannt. Im Staatenhaus gehe, so heißt es, die Angst um: Weil die Vertragssituation zahlreicher Mitarbeiter eine sofortige begründungslose Kündigung zulasse, machten viele eine Faust in der Tasche und äußerten Kritik allenfalls hinter vorgehaltener Hand.
Favoritin an der Donau
Auf Vorbehalte stößt zudem Meyers öffentlich immer wieder bekundetes Köln-Engagement. Vielmehr habe die Intendantin im vergangenen Jahr am Rennen um die Leitungsposition an der Wiener Volksoper teilgenommen– wo sie bereits von 1999 bis 2009 Mitglied der Direktion war. Tatsächlich gehörte Meyer an der Donau zu den Favoriten, zog dann aber im Oktober 2020 gegen die Niederländerin Lotte de Beer den Kürzeren.
Zurück zur Kölner Gemengelage. Vermutet wurde in den vergangenen Wochen auch noch ein anderes Motiv hinter Meyers unfreiwilligem Ausscheiden. In der Tat hat, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus zuverlässiger Quelle erfuhr, der mit Meyer seit etlichen Jahren über Kreuz liegende Generalmusikdirektor und Gürzenich-Kapellmeister François-Xavier Roth mit starkem Rückenwind aus dem Orchester bereits anlässlich der Vertragsverlängerung vor gut zwei Jahren seinen Verbleib in Köln davon abhängig gemacht, nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten zu müssen.
Keine „freiwillige“ Räumung
Der daraufhin unternommene Versuch der Oberbürgermeisterin, die Intendantin zur „freiwilligen“ Räumung ihres Postens bei Auszahlung der Restlaufzeit ihres Vertrags zu bewegen, sei nicht erfolgreich gewesen. Kurzum: Meyer sagte „nein“ und bekundete den festen Willen, ihren Vertrag zu erfüllen. Roth wurde, so ist zu hören, diese Nachricht mit der Zusicherung versüßt, 2022 – also im Zuge von Meyers Abschied und vor dem Hintergrund seiner eigenen Vertragsverlängerung – würden die Karten an der Oper neu gemischt.
Diese Lesart eines Konflikts und des zugehörigen Lösungsversuchs wird durch ein Dokument gestützt. Seit dem 8. Mai des laufenden Jahres lag dem Hauptausschuss des Kölner Rates Roths Änderungs- und Ergänzungsvertrag, dessen Laufzeit 2022 beginnt (also just zum Zeitpunkt von Meyers Ausscheiden) und bis 2025 reicht (zusätzlich einer Verlängerungsoption um weitere zwei Jahre), zur Beschlussfassung in nicht-öffentlicher Sitzung am 22. Mai vor.
Bemerkenswerte Veränderungen im Vertrag
Dieser Vertrag, den der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte, enthält einige in der Tat bemerkenswerte Veränderungen – und kehrt teilweise zu jenen Kompetenzverteilungen zurück, wie sie zwischen GMD und Opernintendanz herrschten, ehe Meyer 2014 eine Gewichtsverschiebung zu ihren Gunsten aushandeln konnte.
Dazu zählt vor allem die Neufassung von Paragraph 6, Absatz 7, dessen erster Satz nun folgende Gestalt hat: „In enger Zusammenarbeit mit der Opernintendanz und der Besetzungsdirektion verantwortet der GMD die Auswahl der Gastdirigenten und ständigen Musiker und wird bei Auswahl und Entscheidung über Ensemble- und Chormitglieder von Beginn an eingebunden. Ebenso besteht von der Opernintendanz aus eine Informations- und Einbindungspflicht gegenüber dem GMD bei Angelegenheiten der Außendarstellung der Oper Köln.“
Stärkung für Roth
Die zitierte Passage beinhaltet eine eklatante Stärkung und Zuständigkeitsausweitung der GMD-Position im Vergleich mit den Vorgängerverträgen von 2014 und 2018. Dort hatte der entsprechende Passus noch folgendermaßen gelautet: „Die Opernintendantin hat das Letztentscheidungsrecht hinsichtlich der aufzuführenden Opern, der zu engagierenden Dirigenten, Regisseure, der Bühnen- und Kostümbildner und der Rollenbesetzungen. Der GMD hat das Letztentscheidungsrecht in rein musikalischen Fragen das Orchester betreffend.“
Kritik an dem neuen, veränderten Roth-Vertrag übt unter anderem Bernd Loebe, Frankfurter Opernintendant und Vorsitzender der Deutschsprachigen Opernkonferenz, die am Dienstag mit einem offenen Brief an Reker in die Medien ging (wir berichteten). Darin wurde energisch für Meyers Verbleib auf ihrem Posten plädiert.
„Kastration“ des künftigen Intendanten
Loebe spricht gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ drastisch von einer „Kastration“ des künftigen Intendanten und führt mit Bezug auf die zitierte Klausel im GMD-Vertrag aus: „So schafft man kein Vertrauen. Da wird von Anfang an Misstrauen gegenüber dem künftigen Opernintendanten signalisiert. Man hätte die Modalitäten der Zusammenarbeit nicht jetzt festzurren, sondern dem direkten Kontakt zwischen GMD und Intendant überlassen sollen.“
Loebe missbilligt auch die Kompetenzverteilung im Änderungsvertrag: „Wenn es mit rechten Dingen zugeht, kennt der Intendant doch dank seiner täglichen Präsenz im Haus zum Beispiel die Sängerstimmen viel besser als der GMD. Warum will man ihm da die Kompetenzen beschneiden?“ Seine Prognose ist düster: „Unter diesen Bedingungen kriegt Köln keinen neuen Opernintendanten, jedenfalls keinen guten.“
Elster hält Äußerungen für übertrieben
Solchen Einschätzungen wird allerdings auch widersprochen. Ralph Elster, Kölner CDU-Kultursprecher und im Mai noch Mitglied im Hauptausschuss (und also an der einschlägigen Sitzung beteiligt), hält mit Blick auf die erwähnte Vertragsstelle Formulierungen wie „Knebel“ oder „Kastration“ für „bei weitem übertrieben“. Es sei bei der Änderung lediglich darum gegangen, „offensichtliche und auch konfliktträchtige Unstimmigkeiten“ der Vorgängerverträge auszubügeln: „Natürlich sollte der GMD als Dirigent an der Oper – das kann doch gar nicht anders sein – in allen musikalischen Belangen das letzte Wort haben.“
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Indes könnte der Problemknoten auf eine Weise gelöst werden, die in Kulturkreisen immerhin als Möglichkeit kursiert: Roth selbst übernimmt im Rahmen einer Generalintendanz-Konstruktion zusätzlich zu seinem GMD-Posten den des Kölner Opernintendanten. Dafür gäbe es mindestens einen prominenten Präzedenzfall: Christoph von Dohnányi war von 1977 bis 1984 Intendant und Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper sowie Generalmusikdirektor des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg.
Es steht jedoch die Frage im Raum, ob die Generalintendanz überhaupt mehr als ein Gerücht ist. Roth selbst jedenfalls ließ jüngst mitteilen, er wolle in Köln Musik machen und nicht ein Haus leiten. Und Nachfragen dieser Zeitung ergaben, dass eine Generalintendanz im strengen Wortsinn auch in der Stadtspitze wie unter den Kulturpolitikern keine Fürsprecher hat.Wohl aber offensichtlich die Idee eines starken GMD, der einem in seinen Obliegenheiten zurückgestutzten Opernintendanten zeigt, wo es langgeht.