Mendelssohns Reformationssinfonie genießt unter Kennern nicht den besten Ruf, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks setzt musikalische Qualität entgegen.
Fest der schönen StimmenDirigent Daniel Harding kämpft in Kölner Philharmonie gegen Religionskitsch

Dirigent Daniel Harding
Copyright: Julian Hargreaves
Mendelssohn und Mahler – die beiden Komponisten haben vieles gemeinsam: Beide gehören der Romantik an (der eine eher ihrem Beginn, der andere ihrem Ausklang), und beide repräsentieren jene Form deutsch-jüdischer Geistigkeit, die das Nazi-Regime unwiderruflich zu einem historischen Phänomen, also einer Erscheinung der Vergangenheit machte. In den Konzertsälen hierzulande sind sie heute freilich in einer Weise präsent, wie sie es sich selbst vielleicht nicht haben träumen lassen. Davon profitieren auch Werke, die unter Kennern nicht den besten Ruf genießen – so etwa Mendelssohns Reformationssinfonie, die das von Daniel Harding geleitete Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks jetzt in seinem Konzert in der Kölner Philharmonie vor die Darbietung von Mahlers „Lied von der Erde“ stellte.
Es gibt sogar zwischen diesen Kompositionen eine spirituelle Brücke. In beiden Fällen geht es um „Zeit und Ewigkeit“, um Diesseits und Jenseits, um die Öffnung des irdischen Lebens zur Transzendenz mithin. Bei Mendelssohn ist diese freilich im Sinne lutherischer Orthodoxie streng definiert, während das durch fernöstliche (buddhistische?) Weisheitslehre inspirierte Mahler´sche Spätwerk in der traditionell-institutionalisierten europäischen Glaubenswelt als Fremdkörper dasteht (wenngleich manches in Hans Bethges jugendstilhaft transformierter Textgrundlage „Die chinesische Flöte“ Lebensgefühl und -philosophie des Musikers tief entsprochen haben mag). „Choralgewissheit“ – bei Mendelssohn der Luther-Choral „Ein feste Burg“ – gibt es übrigens immer wieder auch bei Mahler, etwa am Ende der fünften Sinfonie. Im „Lied von der Erde“ allerdings naheliegend nicht.
Fehlende Homogenität: Erste Violinen enttäuschen
Warum sich die Reformationssinfonie nicht des besten Leumunds erfreut? Nun ja, die Verbindung von geistlichen (Choral) und weltlichen Formen (sinfonischer Sonatensatz und Kontrapunkt) ist einigermaßen gewaltsam und vermag deshalb nicht ganz zu überzeugen, zieht gerade in ihren apotheotischen Aspekten den Vorwurf des Religionskitsches auf sich. Harding tat, vielleicht dieser Kritik eingedenk, ersichtlich alles, um die musikalische Qualität herauszustellen. Da loderte es inbrünstig, kam das Dresdner Amen in parsifal-hafter Weihestimmung, wurden die Fugenanläufe mit nahezu didaktischer Verbissenheit ins Werk gesetzt.
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Vieles geschah tatsächlich „con fuoco“, aber im Seitenthema des ersten Satzes und im Andante wurde auch der geniale Melodiker Mendelssohn keineswegs unterschlagen. Das alles war schon sehr intensiv, farben-, gesten- und eindrucksstark. Vielleicht hätte etwas weniger Druck besser getan, unter zu viel von ihm schienen gerade die ersten Violinen zu leiden, die es an Homogenität, an Klangschönheit und -kultur immer wieder fehlen ließen. Eine saftige Enttäuschung angesichts dessen, was man von diesem Spitzenorchester erwarten durfte.
Nach der Pause gelang dann allerdings eine rundum ergreifende Interpretation des „Liedes von der Erde“. Die lange Passage mit der Soloflöte im sechsten Lied etwa geriet zu einem Klangbild der Verlorenheit und des Weltverlustes, dessen magischer Aura sich zu entziehen kaum möglich war.
Vokalsolisten vollenden Aufführung zu Fest der schönen Stimmen
Dirigent und Orchester müssen in diesem Werk ja auf Anhieb Widerstrebendes zur Einheit zwingen: Es gibt da eine riesige hochromantische Formation, deren Mitglieder aber immer wieder Kammermusik spielen müssen. Sodann setzt Mahler hier sukzessiv – es gibt auch eindeutig „erzählende“ Strecken – Zeitstrukturen, Zeitorganisation in einer Weise außer Kraft, die dem Wesen der Zeitkunst Musik eigentlich entgegensteht. Stillstand muss hier geschehen. Und triviale Figuren, Trauermarsch- und Walzeridiome einer Dorfkapelle sollen jenseitig zu leuchten beginnen. Schließlich ist die Musik in jedem Moment beredt, und abgesehen von alptraumhaften Todesbildern und -symbolen wie im ersten Lied der schreiende Affe auf dem Grabstein wird immer wieder ein betörender, wenngleich dissonanzengesättigter Wohllaut eingefordert.
Dass all dies hier in eindringlicher Weise glückte, lag auch an den satzweise alternierenden Vokalsolisten, der Mezzosopranistin Fleur Barron und dem Tenor Andrew Staples. Großer, die Phrasen konturierend durchströmender Atem verband sich hier mit einer völlig opernfernen Zurücknahme, die gerade im ganz Leisen eine unangestrengte Intensität erreicht – wobei Staples in seinen Liedern partiturbedingt vitaler und agiler zu singen hatte. Neben allem anderen war diese Aufführung auch ein Fest der schönen Stimmen. Und Barrons verklingendes „Ewig… ewig“ am Schluss – besser und angemessener kann man aus diesem Werk einfach nicht scheiden.