In der Kölner Philharmonie spielte das Chamber Orchestra of Europe unter der Führung von Herbert Blomstedt. Der schwedische Star-Dirigent ist 95 Jahre alt.
Kölner PhilharmonieKlassik-Urgestein dirigiert auch mit 95 Jahren
Zwei Sinfonien, eine aus dem deutsch-österreichischen Kernrepertoire und eine aus Skandinavien - diese Programmstruktur ist seit Jahren Herbert Blomstedts Markenzeichen. Der schwedische Maestro bricht so immer wieder eine Lanze für die hierzulande nach wie vor unterschätzten nordischen Meister, die fraglos mehr zu bieten haben als dunkel raunendes Bardentum. Beim Gastspiel des Chamber Orchestra of Europe in der Philharmonie war es die vierte Sinfonie des Schweden Franz Berwald, der Blomstedt Felix Mendelssohn Bartholdys „Schottische“ Sinfonie gegenüberstellte.
Die Unterschiede der beiden etwa gleichzeitig entstandenen Stücke sind offenkundig: Wo Mendelssohn romantische Stimmungen zaubert, Übergänge zelebriert, ein in seiner Tiefenwirkung ungemein fein gestaffeltes Landschaftsgemälde entwirft, geht es Berwald vor allem um Kontrast und Konfrontation. Formteile rasen ungebremst ineinander; alle Vorgänge werden auf der orchestralen Vorderbühne verhandelt, wo die Instrumente einander ständig ins Wort fallen. Den Zeitgenossen war das zu radikal; heute freut man sich am intelligenten Witz und der Entdeckerfreude dieser eigenwilligen Musik - wenn man denn einmal die Chance hat, sie zu hören.
Herbert Blomstedt dirigiert in der Kölner Philharmonie im Sitzen
Das prägnante Klangprofil des „historisch informiert“ spielenden Chamber Orchestra of Europe ließ die charakteristischen Züge des Werkes noch schärfer hervortreten. Berwalds kleinteilig vernetzte Motivstrukturen griffen mit unanfechtbarer Präzision ineinander, ohne dass der Maestro da viel regeln oder koordinieren musste. Ein autoritärer Musikdarsteller war Blomstedt ja nie; und jetzt, mit fast 96 Jahren, dirigiert er minimalistischer als je zuvor. Der Gang aufs Podium fällt ihm nicht mehr so leicht; er dirigiert im Sitzen und beschränkt sich darauf, seine Tempowünsche mit knappen Gesten anzuzeigen. Aber natürlich weiß er nach wie vor genau, was er will; und das war in der „Schottischen“, deren Klangwirkungen man aus unzähligen Aufführungen kennt, vielleicht noch deutlicher zu hören.
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Die langsame Einleitung legte Blomstedt nicht als zähen grauen Wolkenschleier an; er baute sie aus klar abgegrenzten Phrasen zusammen, was ihre atmosphärische Wirkung keineswegs schmälerte, aber ihre Plastizität deutlich steigerte. Das Hauptthema des Kopfsatzes gehörte hier nicht, wie üblich, den Geigen, denen sich die Klarinette sekundierend zugesellt. Blomstedt machte es umgekehrt: Die Klarinette führte, die Geigen gingen wie ein Schatten mit. Und in der Reprise spielten sie alle miteinander so gedämpft und verhalten, als dringe da ein Laut aus mythischen Zeiten herauf.
Man könnte auf diese Weise die ganze grandiose Aufführung nacherzählen, in der jedes Detail seinen Sinn hatte, in der alles leuchtete und klar war, in der alte Musiziertugenden ihren Triumph feierten und die doch in aufführungspraktischer Hinsicht völlig auf der Höhe der Zeit stand. Das Publikum feierte sie alle miteinander im Stehen: die junge Truppe und den alten Hexenmeister, der sie freundlich lächelnd und mit dem kleinen Finger zu lenken wusste.