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Kölner PhilharmonieDarf ein Russe das „Große Tor von Kiew“ dirigieren?

Lesezeit 3 Minuten
Stanislav Kochanovsky übernimmt ab der Spielzeit 2024/25 die Position des Chefdirigenten der NDR Radiophilharmonie.

Stanislav Kochanovsky dirigierte in Köln das WDR Sinfonieorchester

Dirigent Stanislav Kochanovsky führt das WDR Sinfonieorchester durch Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“.

Das „Große Tor von Kiew“ – die zehnte und letzte Station in Mussorgsky/Ravels „Bilder einer Ausstellung“ – bezieht sich auf den malerischen Entwurf eines Stadttores in Kiew (in besagter von Mussorgskys Künstlerfreund Viktor Hartmann veranstalteter Ausstellung) und ist (wohl) nicht mit dem realen „Goldenen Tor“ in Kiew identisch. Dennoch dürfte es keinen Zuhörer geben, der, wenn er in diesen Tagen und Jahren den Schluss des berühmten Zyklus hört, nicht an die von Putins Angriffskrieg geschundene Ukraine und ihre Hauptstadt denkt.

Freilich: Was derzeit permanent von Zerstörung bedroht ist, erstrahlt in der genialen Orchestration des originalen Klavierwerks im visionären Glanz von Majestät und Vollkommenheit. Und die Intensität und Inbrunst, mit der Stanislav Kochanovsky just diese Stelle jetzt im Saison-Schlusskonzert des WDR Sinfonieorchesters in der Kölner Philharmonie brachte, lässt sich durchaus im Sinne jenes Protests gegen den Krieg auffassen, den der russische Dirigent „außerhalb der Musik“ unmissverständlich zu Protokoll gegeben hat. Das Konzerterlebnis konnte somit eine alte hermeneutische Erkenntnis bestätigen: Musik ist nicht für alle Zeiten „nur“ Musik, sondern wird je nach den Umständen eben auch unterschiedlich gehört und empfunden.

Stanislav Kochanovskys Interpretation der „Bilder einer Ausstellung“ begeisterte das Publikum

Überhaupt darf diese Interpretation der „Bilder“, wiewohl es an kleinen Fehlern im Orchester nicht mangelte, weithin magistral genannt werden: Was sich da an szenischen Feinheiten begab; wie sich da ganz unterschiedliche Impulse der Harmonik, der Rhythmik und der Farbgebung gleich schon im „Gnomus“ plastisch zur Geltung brachten; wie sich der musikalische Input immer wieder kammermusikalisch verschlankte und individualisierte – das produzierte zu Recht die Begeisterung des Publikums.

Vor dieser Schlussleistung verblassten leider die beiden ersten – weniger wegen der Spielqualität als vielmehr wohl ob ihrer originären Substanz. Wobei sich mit dem Leitgedanken einer angemessenen Modernisierung modalen Komponierens von Ralph Vaughan Williams' Tallis-Fantasie (über die legendäre Motette „Spem in alium“) über Ottorino Respighis „Concerto Gregoriano“ bis zu den „Bildern“ durchaus ein starker roter Faden durch das Programm zog. Entging das hymnische In-Sich-Kreisen Vaughan Williams' trotz einiger Steigerungseffekte und des streckenweise nahezu seraphischen Sounds der WDR-Streicher (das Stück sieht keine Bläser vor) nicht ganz der Gefahr einer angenehmen Langeweile, so befremdete Respighis klangsinnlich-impressionistisch, ja „süffig“ aufbereitete Gregorianik durch die Anmutung eines leicht unseriösen Kostümfestes.

Frank Peter Zimmermann, in Köln ansässiger Geigerstar, absolvierte seinen teils hochvirtuosen Solopart mit souveränem Zugriff, mit gewohnter Noblesse und feinem, aber durchdringend-beseeltem Ton. Den Eindruck einer emotionalen Restkälte von Werk und Vortrag vermochte indes auch er nicht zu vertreiben.

Bei den Zugaben legte er dann freilich kräftig nach, weniger mit dem Bach-Satz als vielmehr mit Heinrich Wilhelm Ernsts Bearbeitung von Schuberts „Erlkönig“, die Singstimme und Klavierbegleitung in einer halsbrecherischen Tour de Force integriert. Was man da auf einem Melodieinstrument so alles anrichten kann, wenn man es denn recht zu traktieren versteht – es ist vielleicht nicht durchweg stilgerecht, aber auf jeden Fall eindrucksvoll.