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Kölner PhilharmonieDas Isidore Quartet lässt Mozart manchmal wie Schönberg klingen

Lesezeit 3 Minuten
Das Isidore Quartet freut sich des Lebens.

Das Isidore Quartet trat in der Kölner Philharmonie auf.

Beim umjubelten Auftritt des Isidore Quartets in Köln fragte sich unser Musikkritiker an einigen Stellen: Darf man das?

Es ist selten, kommt aber vor: Bekannte musikalische Meisterwerke, die man in- und auswendig zu kennen glaubt, warten plötzlich, aufführungsbedingt, mit kaum für möglich gehaltenen Neuigkeiten auf. So konnte es jetzt dem Hörer beim Debüt-Auftritt des erst 2019 gegründeten New Yorker Isidore Quartet in der Kölner Philharmonie ergehen. Der zweite Satz von Mozarts Dissonanzenquartett also: Auf das Eröffnungsthema folgt ein Viernoten-Schaukelmotiv, das erste Violine und Cello dialogisierend einander zuwerfen. Diesmal machte der Cellist aus den vier Noten eine Fünfton-Phrase, indem er das folgende Viertel (auf der Eins des nächsten Taktes) mehr oder weniger im Legato anschloss. Das ist alles andere als belanglos, denn dadurch verändert sich die Satzarchitektur nicht unerheblich.

Klar, es mochte auch an der ungewohnt energischen Präsenz des Cellos liegen, dass man diesen Effekt überhaupt wahrnehmen konnte. So oder so sorgte dies aber nicht nur für eine überraschende Hörerfahrung, sondern provozierte auch unweigerlich die Frage, ob man das so machen darf. Sie kann hier nicht definitiv beantwortet werden, es bleibt aber – und das ist nicht zu verachten – der Eindruck einer interessant-anregenden Verfremdung. Und der ist allemal produktiver als kultivierte Langeweile in den Spuren des seit jeher Gewohnten.

Das Mozart-Menuett etwa geriet nicht nur schnell, sondern eben auch zu schnell

Das junge Isidore Quartet also. Der Name klingt auf Anhieb nach heiligmäßigen Mittelalter-Gelehrten, die allerdings nicht gemeint sind. Er leitet sich vielmehr von Isidore Cohen her, dem legendären Geiger und Mitglied des gleichfalls legendären Julliard Quartet. So ein Namenspatron verpflichtet, indes ist, ausweislich des Kölner Auftritts, der Verdacht fehl am Platz, hier bekränze sich jemand usurpierend mit fremdem Lorbeer. Als Ganzes verfügt das Ensemble über einen schönen Grundsound, dessen Glanz und Sinnlichkeit aber nicht auf Kosten von Vitalität und einem stets ereignishaften Hier und Jetzt der Musik geht. Diese Ereignisqualität zeigte sich gleich bei den frei (also „unerlaubt“) eintretenden Vorhalten der Mozart-Introduktion, die an isolierten Stellen schon ein bisschen nach Schönberg klingt.

Auffallend ist – das klang schon an – die starke und aktiv formende Präsenz der Unterstimmen, zumal von Bratsche und Cello. Nicht alles gelingt gleich gut. Das Mozart-Menuett etwa geriet zu schnell – man merkte das an der unbefriedigenden und deshalb unangebrachten Flüchtigkeit der Achtel-Figuration.

Isidore versteht sich offensichtlich als Brückenbauer zwischen den Kulturen Europas und Amerikas. Politisch driften die Sphären aktuell auseinander, aber musikalisch sollten die verbindenden Fäden jedenfalls an diesem Abend fest gezogen werden. Nach Mozart also die „Carrot Revolution“ (2015) der US-Zeitgenossin Gabriella Smith, ein temperamentvolles Stück zwischen Jazz und Minimalismus, mit Maschinen und Schlageffekten sowie gleitenden Tonhöhenveränderungen. In seinem rasenden Stillstand irgendwie verrückt, aber zugleich fesselnd und inspirierend.

Von Amerika wieder nach Europa, genauer: nach Böhmen, wo Dvorák just nach seiner Rückkehr aus New York 1895 sein 13. Streichquartett komponierte. Da konnte man gut hören, dass die Isidoren die Literatur klanglich und im Affekt durchaus nicht über einen Leisten bügeln. Das tönte jedenfalls ganz anders als bei Mozart: nach archaischem Naturlaut und immer wieder (etwa in den Trios des Scherzo) nach einem Ausstieg aus der Zeit. Das Erscheinen und Verschwinden von Themen und Figuren gehört zur romantischen Signatur dieser Musik – und wurde hier mit großer Überzeugungskraft ins Werk gesetzt.

Offensichtlich haben die Musiker aber ein besonderes Faible für die zeitgenössische Produktion und die Moderne im weiteren Sinne – von wo aus dann auch ein gestaltender Impuls für die Musik der Vergangenheit ausgeht. Als Zugabe erklang jedenfalls – nach begeistertem Beifall – ein Satz aus einem Quartett des im Nationalsozialismus umgekommenen Erwin Schulhoff.