Der Violinist Daniel Hope ist nicht nur für sein virtuoses Spiel, sondern auch als Entertainer bekannt. Er spielte in der Kölner Philharmonie Max Richters neue Version von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“.
Daniel Hope in der Kölner PhilharmonieEin schöner Klassik-Abend ohne Beethoven und Brahms
Daniel Hope ist nicht nur ein herausragender Geiger, sondern auch ein begnadeter Vermittler, Kommunikator und Entertainer - ein „Verbal-Reisender“ in Sachen Musik-Klassik. Entertainer – dieser Begriff kommt einem angesichts des Metiers auf Anhieb schwer über die Lippen, weil er leicht unseriös klingt. Indes hat E-Musik nichts mit notorisch heruntergezogenen Mundwinkeln zu tun – und in unseren Zeiten schon gar nicht. Und der irisch-deutsche Künstler machte jetzt anlässlich seines Auftritts mit dem US-amerikanischen New Century Chamber Orchestra im Rahmen der Kölner Meisterkonzerte wieder einmal vor, dass Einführungen in ein Programm humorgesättigt sein können, ohne ins Banal-Anekdotische zu fallen.
Max Richters „Recomposition“ von Vivaldis legendären Violinkonzerten „Die Vier Jahreszeiten“ zum Beispiel. Warum, so Hopes Frage an den (in Deutschland geborenen) Briten, tut’s denn eigentlich nicht weiterhin das Original? Weil das, so die in Hopes Augen überzeugende Antwort, in Parkgaragen und Shopping Mails bis zum Überdruss durchgenudelt und deshalb einfach ein „Abkratzen der Patina“ fällig wurde – nicht zuletzt, um dem nach wie vor verehrten Original seine ursprüngliche Vitalität zurückzugeben. Man könnte das auch eine „produktive Dekonstruktion“ nennen.
Starviolinist Daniel Hope in der Kölner Philharmonie
Nun ist Richters Vivaldi-Adaption inzwischen auch nicht mehr so richtig neu. Hope selbst spielte sie 2012 bei der Deutschen Grammophon ein und hat sie – selbstredend – im Konzertsaal (auch in Köln) noch und nöcher aufgeführt. Da kann sich im Publikum jener „Kennen wir schon“-Effekt einstellen, der die Ursprungs-Musik in ungleich größerem Ausmaß wie ein Fluch verfolgt. Aber wie auch immer, die Art und Weise, wie Richter den italienischen Barockmeister ramponiert und modernisiert, ist von Haus aus erfrischend genug.
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Tatsächlich bleibt da, obwohl in jedem Takt Vivaldi erkennbar ist, kein Stein auf dem anderen: Die Neukomposition isoliert einzelne Motive und führt sie dann exzesshaft und darin schon einigermaßen ironisch durch – etwa die Quintfall-Sequenzen im ersten Satz des „Winter“. Dann wieder rumpelt diabolisch das gewohnte Metrum, es gibt kaum mehr einrastende Kadenzen, die Satzschlüsse landen im Irgendwo, und dissonante Gegenstimmen erklingen, die man so gar nicht kannte. Es gibt Klangverfremdungen, und immer wieder groovt es rockig.
Ein schöner Klassik-Abend ohne Brahms oder Beethoven
Ohne die eindringlich-brillante, die fesselnd-intensive Performance Hopes und seiner Begleiter wäre der Effekt indes wohl begrenzt – obgleich Richter dem Solisten offenkundig Möglichkeiten der Selbstdarstellung offeriert, die Vivaldi „als solcher“ nicht bereitstellt. Hier schrappt der Geiger aggressiv in einer Trance des Repetitiven, dann wieder klingt eine Melodie mit einer derart herzzerreißenden Emphase auf, dass der Hörer darüber spontan glaubt, ein besserer Mensch zu werden.
War das ein „Cross over“-Konzert? Auch dieser Begriff ist bei Hardcore-Adepten der Klassik-Szene negativ besetzt. Indes taten Hope und die Seinen in der Philharmonie alles, um diese Assoziationen zu neutralisieren. Klar, Richter hat (auch) Filmmusik geschrieben, und das Programm der ersten Konzerthälfte beinhaltete ebenfalls Musik von Filmkomponisten: Bernard Herrmanns „Vertigo“-Suite zu Hitchcocks gleichnamigem Thriller und das 2021 uraufgeführte Doppelkonzert des chinesisch-amerikanischen Musikers Tan Dun für Violine und Klavier (hier versehen von dem ukrainischen Pianisten Alexey Botvinov). Die Zugabe schließlich: ein Auszug aus John Williams’ Soundtrack zur Spielbergs „Lincoln“.
Zu mäkeln gibt es da gar nichts: Nicht abgelenkt durch die Leinwandeffekte, konnte man hier dem konstruktiven Ernst der künstlerischen Arbeit folgen, den subtil eingesetzten, vom Orchester meisterhaft inszenierten Mitteln der Spannungserzeugung, auch den Verwurzelungen etwa in den Traditionen der Minimal Music. Ein schöner Klassik-Abend – ohne Beethoven und Brahms.