Das Gürzenich-Orchester begeistert mit Schostakowitschs zehnter Symphonie, bremst aber die Violinistin Simone Lamsma aus.
Kölner PhilharmonieErst lahmt das Gürzenich-Orchester, dann wird es furios
Wie die große Symphonik von Beethoven, Bruckner, Brahms und Mahler folgt die zehnte Symphonie von Dimitri Schostakowitsch der heroischen Dramaturgie des „per aspera ad astra“, durch Nacht zum Licht der Sterne. Komponiert kurz nach Stalins Tod 1953 liegt es nahe, die musikalische Thematik, Form und Gesamtzyklik des Werks zugleich als einen Akt der Befreiung vom stalinistischen Terror zu verstehen.
Dunkle Linien der Kontrabässe bezeugen zu Beginn die bleierne Last und Lähmung unter dem Diktator, gefolgt von matten Seufzern der Violinen und einem verhaltenen Klagegesang der Soloklarinette. Ein Walzerthema weckt vorsichtig erste zaghafte Lebensgeister, wird aber brutal von Trommelsalven und stampfendem Tutti unterdrückt. Am Ende versinkt alles wieder in depressive Eiseskälte. Das letzte Wort behält die Pikkoloflöte mit einem einsamen Solo als Ausdruck von Verlassenheit und Erstarrung. Umso furioser bricht dann der zweite Satz heraus.
Ihre Klasse konnte Simone Lamsma erst bei der Zugabe demonstrieren
Die gehetzten Läufe, willkürlich nach allen Seiten ausgeteilten Schläge, grellen Fanfaren und cholerisch auffahrenden Blechbläser- und Schlagzeugattacken zeichnen laut Schostakowitsch ein Porträt Stalins. Die anklingende Sequenz „Dies irae“ aus der Totenmesse beschwört zudem das Jüngste Gericht. Die geballte Energetik, Kraft, Stärke, vielleicht auch Wut der Musik ist unmissverständlich. Doch mehrdeutig bleibt, ob sie nur die grelle Fratze der Banalität des Bösen zeichnet, oder auch diese Allmacht und Überwältigung feiert. Denn fatalerweise begeistert dieser ebenso kurze wie mitreißende Satz am meisten, zumal so brillant gespielt wie vom Gürzenich-Orchester unter Leitung von Robert Treviño.
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Neben vielen schönen Soli gestalteten die Interpreten hoch konzentriert und spannungsvoll die abrupten Kontraste und großen Bögen. In den ersten beiden Sätzen wagt sich Dimitri Schostakowitschs Namensmotiv D-Es-C-H noch nicht aus der Deckung. Erst im „Allegretto“ tritt die Viertonfigur offen heraus, zuerst als spitz stichelnde Stakkato-Melodie der Pikkoloflöte, dann mit zunehmendem Schwung und Selbstbewusstsein als trotzige Polka. Im Finale wird sie schließlich durch das gesamte Orchester zum Symbol für den persönlichen Triumph des Komponisten über den Despoten. Leider lässt sich der heute in Russland herrschende Totalitarismus nicht ebenso spielend überwinden.
Dem gloriosen zweiten Konzertteil war indes ein lahmender erster vorangegangen. Treviños runde Dirigiergesten wollten nicht zu den hart auf Kante montierten Elementen von Strawinskys Bläsersinfonie passen. Es fehlte an Präzision, Intensität, Aufmerksamkeit. Auch Leonard Bernsteins „Serenade after Platoʻs Symposium“ ließ Esprit und Ironie vermissen. Die fünf Sätze bestehen aus typisch konzertanten Wechseln und Gegenreden von Solovioline und Streichorchester. Ohne die Ober- und Satztitel würde man diese Musik nie mit den wahlweise empfindsamen, hitzigen oder märchenhaften Reden und Wortgefechten über den Ursprung der Liebe von Platons „Gastmahl“ in Verbindung bringen. Auch Solistin Simone Lamsma vermochte sich nur mühsam über die orchestrale Trägheit zu erheben. Welche furiose Virtuosin in ihr steckt, zeigte die Niederländerin erst mit ihrer Zugabe des neobarocken Toccatta-Finales von Hindemiths sechster Violin-Solosonate.