Starpianist Igor Levit spielte in der Kölner Philharmonie – viel Beethoven und weniger originale Klaviermusik.
Kölner PhilharmonieIgor Levit spielt Beethoven
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Starpianist Igor Levit
Copyright: imago images/Stefan Schmidbauer
Musste das wirklich sein? Die Frage samt nahegelegter Antwort ist auf Anhieb wohlfeil, verdient bei näherem Hinsehen aber wohl doch eine differenzierte Behandlung. Also: Igor Levit spielte am langen Schluss seines Soloabends in der Kölner Philharmonie Beethoven – aber gerade keine der großen Sonaten, etwa die Hammerklavier-Sonate, sondern ausgerechnet Franz Liszts Transkription der dritten Sinfonie, der „Eroica“. Klar, da ist jemand – einsam, abgesehen vom attachierten Blattwender – eine knappe Stunde lang im Einsatz, durchweg auf höchstem pianistischem Anforderungsniveau. Das ist für sich genommen spektakulär, fordert Respekt allein für eine physische Leistung, die nahezu in die Zirkusarena führt.
Aber bringt das, werkbezogen, wirklich etwas an Erkenntnis, Zugewinn, Erhellung – abgesehen von der Demonstration staunenswerter klavieristischer Kunst, die freilich bei Igor Levit nun wirklich nicht überrascht? Liszt führte seine weithin „wortgetreuen“ Klavierversionen der Beethoven-Sinfonien weiland auch deshalb auf, weil er sich als Beethoven-Botschafter in einer Zeit verstand, da Orchesterdarbietungen selten und teuer und der Verbreitung der Werke (in der Ära vor der Schallplatte) enge Grenzen gesetzt waren.
Warum eine Transkription?
All das spielt heute indes keine Rolle mehr, viele Musikfreunde dürften die „Eroica“ wie auch immer in der Originalfassung möglicherweise öfter gehört haben, als ihnen selbst lieb ist. Warum also muss man heute eine Transkription spielen, in der zumal die für das Stück essenziellen Instrumentalfarben der großen Formation verloren sind? Das Weniger ist hier tatsächlich kein Mehr, sondern ein – Weniger.
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All dem dürfte wenig entgegenzusetzen sein, allerdings ist auch eine Gegenrede möglich. Beethoven hat selbst auf dem Klavier Eroica-Affines vorweggenommen – im Trauermarsch seiner Sonate opus 26 und, vor allem, in seinen Klaviervariationen opus 35 just über das Thema des Sinfonie-Finales. Daran konnte man sich jetzt in der Philharmonie auch ausgiebig erinnern. Schließlich: In der Eroica überwindet ein fiktives heroisches Ich Widerständiges und Feindliches – dieses Ich nimmt konkrete greifbare Gestalt an, wenn da nicht ein 100-Mann-Orchester auf dem Podium sitzt, sondern ein einzelner, dem man dabei zusehen und zuhören kann, wie er nicht zuletzt über die Probleme einer Sinfoniedarstellung am Flügel triumphiert.
Levits Imitation ist großartig
Levit macht das alles schon ziemlich großartig. Seine Möglichkeiten, durch Anschlagsvariation, durch Laut und Leise das Original wenigstens zu imaginieren, scheinen unbegrenzt (wobei einem der Flügel auch schon mal leidtun kann). Große Steigerungsbögen werden ohne Einbrüche mit zwingender Konsequenz durchgezogen, das Scherzo gerät zu einer inspirierten Staccato-Studie. Die Tempi bleiben dabei insgesamt in Originalnähe, der Gast schenkte sich selbst diesbezüglich gar nichts. Klar, es gibt im Tastengetümmel auch falsche Töne, kleine Auslassungen; manchmal verschwimmt die Figuration im Pedalnebel. Will man es etwa übelnehmen? Allemal ergibt sich eine bemerkenswerte Staffelung: Beethoven durch die Brille Liszts durch die Brille Levits. Das hat zweifellos seinen rezeptionsästhetischen Reiz, der auch durch ernstzunehmende Kritik so leicht nicht neutralisiert wird.
Leider kam durch die Sinfonie die erste gute halbe Stunde vor der Pause mit originaler Klaviermusik ins Hintertreffen. Bachs etwas romantisierend aufgefasste Chromatische Fantasie und Fuge hinterließ da einen schwächeren Eindruck, als es Brahms´ späte Klavierstücke opus 118 taten. Hier gelangen dem Meister großartige poetische Augenblicke – lustvoller Leichtigkeit wie düsterer Melancholie, von Expansion und Erschöpfung, von Wiederholungen (in den ABA-Sätzen), die eindringlich als Mahnmale der Erinnerung gestaltet wurden.