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Kölner PhilharmonieKirill Gerstein glänzte zwischen Höllen- und Himmelsvisionen

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Kirill Gerstein 

Köln – Viertel = 112. Mehr als diese karge Metronomzahl gibt Igor Strawinsky den Pianisten in den Rahmensätzen seiner Klaviersonate nicht an die Hand. Kein Hinweis auf den Tempo-Charakter, keine Anregung zu nachschöpferischer Subjektivität.

Und doch ist das Stück keineswegs ohne Poesie, wie der russisch-amerikanische Pianist Kirill Gerstein in der Philharmonie bewies. Die schlanken Linien zeigten federnde Spannkraft, die reich verzierte Aria des Mittelsatzes war bis in die letzte Verästelung hinein duftig belebt. Auf dem Papier des Programmheftes mochte sich das Stück wie ein spröder Störsender im romantischen Umfeld ausnehmen - auf dem Podium wirkte das ganz und gar nicht so.

Ein Finale wie ein beschwingtes Perpetuum mobile

Gerstein, der jazzaffine Berliner Klavierprofessor, erwies sich in allen Belangen als Pianist der klaren Form, der durchsichtigen Textur, der unbestechlichen Artikulation. Zur großen emotionalen Geste wahrte er dagegen Distanz. So öffnete sich in Schuberts später c-Moll-Sonate das Tor zum Drama nicht allzu weit. Der Kopfsatz war rhythmisch streng gefasst und sparsam pedalisiert; die Erschütterungen im Zentrum des Adagio wirkten auffällig gebändigt. Das Finale trieb als beschwingtes Perpetuum mobile dahin - dass da jemand von allen Furien gehetzt wird, war kaum zu erkennen.

Aber vielleicht sieht Gerstein das auch gar nicht so. Er zeigte die Romantiker weniger als Seelen-Sezierer denn als Architekten neuer Formen, als Entdecker neuer Klangwelten. Chopins f-Moll-Fantasie, die so oft in eine Folge schöner Einzelheiten zerfällt, hatte bei ihm einen starken inneren Zug, der alle Episoden schlüssig miteinander verband.

Zum Schluss ein silbrig funkelnder Chopin

Bei Franz Liszt trat der Überbau aus religiöser Erfahrung („Bénédiction de Dieu dans la solitude“) und Bildungserlebnis („Aprés une lecture du Dante“) zugunsten einer souveränen Disposition von Farbe und Lautstärke zurück. Zumal in der „Dante-Sonate“ war die orchestrale Fülle so klug gestaffelt, dass Gerstein bis zum Schluss noch Potential zur Steigerung hatte. Und nach den Höllen- und Himmelsvisionen dieses pianistischen Welttheaters erhob er sich so erfrischt, als habe er gerade eine Mozart-Sonate unter den Fingern gehabt.

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Dieses glanzvolle, technisch gelöste und völlig uneitle Klavierspiel sorgte im Saal für große Begeisterung. Gerstein bedankte sich mit einer Berceuse aus Thomas Adès“ Oper „The Exterminating Angel“ und ließ zum Schluss noch Chopins As-Dur-Walzer op. 42 in einen silbrigen Funkenflug zerstäuben.