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Kölner PhilharmonieMahlers Schicksalsdrama in der überragenden Interpretation von Mäkelä

Lesezeit 4 Minuten
Klaus Mäkelä

Der 28-jährige finnische Dirigent Klaus Mäkelä

Der finnische Star-Dirigent Klaus Mäkelä überzeugte mit den Wiener Philharmonikern und einer grandiosen Mahler-Darstellung.

Bei Mahlers sechster Sinfonie wartet man, auch in diesen Tagen, nicht auf das Christkind oder den Weihnachtsmann, sondern auf – den Hammer. Der kommt bekanntlich im Finale je nachdem zwei- oder dreimal (jetzt nur zweimal) zum Einsatz und signalisiert die Schicksalsschläge, die den fiktiven Helden der Musik in Augenblicken höchster Ekstase und „Lebenspositivität“ unvermittelt heimsuchen. Nach den beiden ersten Attacken berappelt er sich noch, baut sich selbst wieder auf; nach der dritten ist dann definitiv Schluss.

Mahlers Hammer spektakulär inszeniert

In der aktuellen Aufführung der schwärzesten aller Mahler-Sinfonien durch die Wiener Philharmoniker unter dem jungen finnischen Durchstarter Klaus Mäkelä in der Kölner Philharmonie kam der Hammer, ein riesiges Holzungetüm, auch optisch imposant zur Geltung: Er war nicht irgendwo im riesigen Apparat versteckt, sondern, mit Bock, spektakulär gleich vorne links an der Rampe postiert.

Man verfolgte es tatsächlich mit einiger Beklemmung, wie der Hammerschläger sich jeweils etwa 20 Takte vor dem Ereignis aufmachte, das Ungetüm packte und hochhob und dann zur vorgeschriebenen „Eins“ herunterfahren ließ. Das gelang beim zweiten Mal mit überzeugender rhythmischer Präzision, beim ersten Mal wurde das Momentum äußerst knapp verfehlt (kann passieren!). Der Schlag selbst tönte übrigens ziemlich trocken, nicht unbedingt nach Apokalypse, aber für Lautstärke sorgte hier wie auch sonst das Orchester weidlich genug, da gab es ordentlich was auf die Ohren.

Wiener Philharmoniker überraschen mit Schärfe und Aggressivität

Klar, so muss das bei diesem Werk auch sein. Und es mag auf Anhieb sogar erstaunen, zu welch kompromissloser Schärfe und Aggressivität das von Haus aus auf einen gerundeten romantischen Grundklang (der für die musikalische Moderne nicht durchweg von Vorteil ist) abonnierte Wiener Weltorchester diesmal auflief. Gleich am Anfang wurde mit den einigermaßen gewaltsam durchgepulsten Marsch-Vierteln die dominante Linie etabliert. Da hörte man in den Bässen auch immer wieder mal kräftig das Holz. Dafür war sicherlich in erster Linie Mäkeläs Dirigat verantwortlich – wobei sich die Formation dem hochenergetischen Kraftstrom, der da permanent vom Pult ausging, erkennbar willig überließ. Das konnte es auch: Mäkelä verfügt über das souveräne Handwerk der legendären Panula-Schule an der Sibelius-Akademie in Helsinki: Er macht nicht in klein-klein, lässt es auch mal laufen, formt die großen Bögen, ist aber an Nervenpunkten stets hellwach zur Stelle – wenn es etwa darum geht, aus dem Dickicht der kontrapunktischen Partitur Gegenstimmen herauszuholen, sie körperlich leuchten und glühen zu lassen.

Ein Stück überwältigender Gegensätze

Darum muss es bei einer zielführenden Interpretation der Sinfonie tatsächlich zentral gehen: Die Grundfarbe ist, wie gesagt, „schwarz“, und die Felder von Überschwang und melodischer Exaltation, von (scheinbarem) Glück und Ekstase rufen die – sie dann überwältigenden – Gegenkräfte umso unerbittlicher auf den Plan. Ein Beispiel dafür war die Formulierung des Alma-Themas jeweils am Schluss von Exposition und Reprise im ersten Satz. Mahler schreibt zu diesem musikalischen Porträt seiner Ehefrau die Vortragsbezeichnung „Schwungvoll“. Nun ja, was ist „schwungvoll“? Nicht jedenfalls bedeutet es unbedingt „schneller“ – damit würde man es sich als Dirigent zu einfach machen. Gemeint ist wohl eher eine besondere Intensität und Dringlichkeit des Gestischen, die herzustellen vor allem die auch diesmal famosen Wiener Geigen wie nur wenige andere berufen sind. Nur: Mäkelä führte in der Reprise plastisch vor, wie dieses Thema an seiner Entfaltung gehindert wird, nicht mehr richtig durchdringt, über Anläufe nicht hinauskommt. Da lauert, obwohl der Satz äußerlich jubelnd endet, im Untergrund immer schon Feindlich-Negatives.

Unangefochtene Wiener Idyllen gab es am ehesten noch in den diesmal vertauschten Mittelsätzen (in der Diskussion um die Satz-Reihenfolge ist allerdings bis heute kein eindeutiges Ergebnis erzielt worden). Rubato-Charme, Hörner-Interventionen und großartige Streicher/Bläser-Wechselspiele sorgten hier immer wieder für Illusionen – oder soll man sagen: Utopien – jener heilen Welt, der die Sinfonie als Ganzes eine Absage erteilt. Wie auch immer: Mahlers Ideal einer als Musik erklingenden Welt dürfte diese Aufführung auf weite Strecken nahegekommen sein.