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Alexander Melnikov in der Kölner PhilharmonieDiese Performance holt die Zuhörer aus ihren Sesseln

Lesezeit 3 Minuten
Alexander Melnikov trägt eine eckige Brille und schaut ernst in die Kamera. Sein Gesicht ist hell erleuchtet, der Hintergrund, wo auch ein Flügel steht, ist dunkel.

Alexander Melnikov

Der Auftritt des Pianisten Alexander Melnikov mit dem Mahler Chamber Orchestra war zwar nicht fehlerfrei, aber trotzdem bravourös.

Mendelssohns zweites Klavierkonzert – das opus 40 von 1837 – hat immer im Schatten des Erstlings, des opus 25 von 1831 gestanden. Warum eigentlich? Auch dieses Stück quillt über von schönen Melodien, gestalterischer Eleganz und pianistischer Verve, mag es wie das Schwesterwerk auch nicht ganz die Höhe anderer romantischer Klavierkonzerte, etwa derjenigen von Schumann und Brahms, erreichen.

Lobenswert also, dass Alexander Melnikov für einen weiteren Auftritt in der ihm gewidmeten Porträt-Reihe in der Kölner Philharmonie just das opus 40 wählte. Und nicht nur das: Vielmehr präsentierte er es – mit dem Mahler Chamber Orchestra unter seinem russischen Landsmann Maxim Emelyanychev – von denkbar bester Seite. Denn man kann die Komposition auch – das ist wohl kaum zu leugnen – als flüssige und glatte Gefälligkeit mit Schmachteinlagen präsentieren, sie ist gegen solche Zurichtung weniger gefeit als andere Klaviermusik.

Alexander Melnikov spielt in der Kölner Philharmonie

Aber Melnikov umschiffte die Klippen einer sentimental „unterspielenden“ Interpretation mit einiger (nicht völlig fehlerfreier) Bravour, gestaltete die Verläufe vielgestaltig, mit nie nachlassender Intensität in der Binnenartikulation und -dynamik. Er fügte ruppige Akzente in den motorischen Drive, ließ es mit geschmacksicherem Rubato singen und klingen, sorgte für spannende Satzübergänge, stellte immer wieder schöne „Szenen aus dem Klavierleben“ hin. Schade, dass als Zugabe – auch hier in Begleitung des Orchesters – ein etwas nichtssagender Hindemith folgte, an dieser Stelle wäre durchaus eines von Mendelssohns herrlichen „Liedern ohne Worte“ angezeigt gewesen.

Melnikovs feuriges Temperament, das man der leicht skurrilen Bühnenerscheinung des Künstlers auf Anhieb gar nicht zutraut, machte tendenziell auch den Begleitern Beine, und das, obwohl die von Haus aus alles andere als Schlafmützen sind. Das bewiesen sie gleich mit der Eröffnungsnummer, zwei Sätzen aus Mozarts „Idomeneo“-Ballettmusik, deren zündend-aggressive Darbietung mit dramatischen Zerklüftungen und Pausen allemal ahnen ließ, dass es sich bei dieser Oper um eine mühsam verhinderte Tragödie handelt.

Dieses Stück holt die Kölner Zuhörer aus ihren Sesseln

Am Schluss dann Beethovens Siebte in einer Darbietung, von der der Rezensent bekennt, schon lange nicht mehr eine derart vitale, packende, den Zuhörer schier aus den Sesseln holende gehört zu haben. Zweifellos ist das Mahler Chamber Orchestra bereits von Haus aus ein schlummernder Vulkan. Der muss dann allerdings auch zum Ausbruch gebracht werden – was an diesem Abend der junge Dirigent bewirkte.

Dessen exaltierter Bewegungsfuror mochte spontan befremden, aber sobald man die Augen schloss, merkte man, auf das Klangergebnis konzentriert, dass es hier keineswegs (nur) um Show ging. Die geschwinden Tempi, die das Orchester zumal im Scherzo zu einer atemberaubenden, rhythmisch geschärften Brillanz provozierte (wobei von den Orchestersolisten die Flötistin beeindruckte), die großen Fallhöhen zwischen piano und forte, die dramatischen Crescendi und die markante Herausstellung gegenläufiger Impulse aus der Tiefe der Partitur zeigten, dass Emelyanychev hier die besten und fruchtbarsten Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis einbrachte.

Wie etwa im Trio des Scherzo das Horn-Ostinato mit der Wechselsekunde recht eigentlich das Anschwellen des Apparats zu triggern vermochte, das zeugte von einem tiefen Verständnis Beethoven’scher Klangdramaturgie. Dieses Spielniveau zu erreichen, dürfte vielen wohletablierten Klangkörpern nicht so leicht fallen.