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Kölner PhilharmonieNiemand hämmert so hartnäckig wie Olga Scheps

Lesezeit 3 Minuten
Olga Scheps lehnt an einer Mauer und schaut seitlich in die Kamera.

Die Kölner Pianistin Olga Scheps trat in der Philharmonie auf.

Die Kölner Pianistin Olga Scheps begeisterte in der Philharmonie, auch wenn sie beim beseelten Chopin beinahe daneben langte.

Der hartnäckig gehämmerte kleine Terzfall aus dem „Precipitato“ in Prokofjews siebter Klaviersonate war geeignet, den Hörer bis nach Hause und womöglich in den Schlaf zu verfolgen – mehr noch als die zweite Zugabe, Liszts überbordende, sich freilich in seliger Hauptstimmendominanz ergehende „Chasse neige“. Besagte Terz ist halt kein netter Kuckucksruf, sondern ein permanenter Stachel an der Schmerzgrenze, eine Klang gewordene Bedrängung und Bedrohung. So muss man sie freilich auch spielen, und die Kölner, in Moskau geborene Pianistin Olga Scheps ist dafür – wie sie jetzt anlässlich ihres gefeierten Klavierabends in der Philharmonie bewies – genau die richtige. Wenn der Flügel bei diesem Martellato nicht geschont wird, dann hat das schon seine Richtigkeit, preiswerter ist dieses unheimliche Stück nicht zu haben. Scheps macht da keine Kompromisse.

Olga Scheps hatte das Konzert nicht gerade himmelstürmend begonnen

Das Konzert hatte mit Beethovens „Pathétique“ und seiner späten As-Dur-Sonate opus 110 nicht schlecht – Scheps spielt nie „schlecht“ –, aber auch nicht gerade himmelstürmend begonnen. Die Feststellung, dass die Rahmensätze der frühen Sonate etwas pauschal, gleichsam ohne Punkt und Komma abgefertigt wurden, klänge ihrerseits pauschal, würde sie nicht im Detail begründet. Da gibt es zum Beispiel in der Einleitung, von Scheps zunächst sehr angemessen als tragisches Portal hingestellt, im fünften Takt ein Bass-B, das die Modulation von c-Moll zur Dur-Parallelen Es anzeigt. Das ist eine echte Schaltstelle, die der Komponist durch ein Sforzato hervorhebt. War das bei Scheps etwa so zu hören?

In opus 110 wiederum realisierte sie den gigantischen Bau der finalen Fuge mit adäquatem Architektur-, mit konsequentem und nie einbrechendem Steigerungswillen. Aber der vorangehende „Klagende Gesang“, den die Fuge dann sozusagen ins Aufbauend-Positive wendet – er blieb emotional und gestisch unterbelichtet.

Olga Scheps zählt zu den inspirierten Chopin-Interpreten der Gegenwart

In der zweiten Hälfte des Abends änderte sich dann mit den vier Chopin-Balladen das Bild grundsätzlich. Olga Scheps zählt, dieser Eindruck festigte sich wieder einmal, zu den inspirierten, nicht nur mit pianistischer Souveränität, sondern auch mit reifstem Verständnis gesegneten Chopin-Interpreten der Gegenwart – woran auch ein Beinahe-Schmiss beim Auswendigspiel nichts ändert.

Die erste, die berühmte g-Moll-Ballade, setzt de facto eine Menschentragödie zwischen Triumph und Katastrophe um, der Gipfelglanz ruft, wie es scheint, notwendig den Untergang herbei. Den Triumph bezeichnet das herrliche Wallenrod-Thema, das Scheps mit strömendem Atem, dabei drängend und bebend, in fortschreitend apotheotischer Auftürmung hinstellte. Umso drastischer und schmerzhafter klang dann das „Abbiegen“ in das finale Desaster. Scheps bewies sich auch hier als Meisterin in der zwingenden dramaturgischen Durchdringung der großen Form, die das Detail nicht unterschlägt, aber schlüssig integriert. Dieser Chopin klingt auch keinen Augenblick sentimental oder angekränkelt, da gibt es harte Wucht und imperialen Glanz, da dominiert die Grandezza des großen Ereignisses, der suggestiv umgesetzten Szene.

Ähnlich bezwingend, indes sehr unterschiedlich in den Farben und Stimmungen, ging es weiter, mit den repetitiven Naturklängen des zweiten, dem herzlichen Walzer-Charme der dritten Ballade. Und Scheps donnert keineswegs durchgehend, sie verfügt allemal über ein substanzreiches, erfülltes piano. Das Geheimnis ihres Crescendo besteht darin, dass der Flügelklang auf einmal laut ist, ohne dass der Hörer den Weg dorthin als Stationenfolge hätte nachvollziehen können. Da wird große Kunst wieder zu zweiter Natur.

Am Schluss filmte Scheps ihr zu Recht jubelndes Publikum mit dem Smartphone. Eine bemerkenswerte „Schubumkehr“, die indes keiner weiteren Rechtfertigung bedarf: Die Hörer dürfen – mit guten Gründen – den Künstler auf dem Podium nicht fotografieren, hinsichtlich der Gegenrichtung sind plausible Einwände nicht erkennbar.