Der russische Weltklassepianist wurde in der Philharmonie wie ein Popstar empfangen.
Kölner PhilharmonieSpielte Grigory Sokolov nicht so schön, müsste es dem Hörer grauen
Am Schluss des üppigen Zugabenreigens mit Chopin und anderem erklang, im Bogenschlag zum Anfang des Konzerts, Bach: Die berühmte Busoni-Bearbeitung des Orgelchorals „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“. Vonseiten des Pianisten war dieser Anruf kaum die verklausulierte Bitte, man möge ihn nach mehr als zweieinhalb Stunden endlich vom Podium lassen. Zwar war der Beifall des Publikums in der ausverkauften Kölner Philharmonie unerbittlich, ging teilweise sogar in einen Klatschmarsch über. Aber man weiß aus Erfahrung auch, dass Grigory Sokolov nach sechs Zugaben – diesmal außer Bach/Busoni Skrjabin, Purcell und dreimal Chopin – definitiv Schluss macht.
So oder so aber fällt da etwas merkwürdig auseinander. Der russisch-spanische Weltklassepianist wird wie ein Popstar gefeiert, obwohl er genau das von seinem Habitus her nicht ist: In sich gekehrt, kaum einen Blick ins Zuhörerrund werfend und ohne die Miene auch nur zur Andeutung eines Lächelns verziehend, kommt er, irgendwie eine Kreuzung aus Pinguin und Marionette, aus dem Off an den Flügel, spielt und geht wieder. In einer Extremdeutung könnte man sogar von einer Geste der Publikumsverachtung sprechen – zu welcher der Gast ob des hartnäckigen und gerne pausenfüllenden Hustens sogar Grund gehabt hätte. Freundlicher und vielleicht zutreffender ist die Annahme einer extremen geistigen und mentalen Unabhängigkeit: Wenn Sokolov in seine Musik sinkt, versinkt alles um ihm herum. Und was er dann aus deren Abgründen herausholt, das ist allemal besonders, aufregend, vielleicht auch verstörend – gleichgültig dürfte es so schnell niemanden lassen.
Chopins Mazurken geraten Grigory Sokolov zu Psychogrammen der Depression
Indes ragte auch an diesem Abend aus der interpretatorischen Hochebene womöglich noch ein Gipfel heraus. Das war die Chopin-Sektion mit sieben auf Anhieb und vom pianistischen Anspruch her unauffälligen Mazurken (opus 30 und opus 50). Sokolov ist kein Adept eines zerbrechlichen, kränklich überfeinerten Chopin-Spiels, dafür ist sein Anschlag bei aller quasi-natürlichen Brillanz zu direkt, zu konzis, zu „ehrlich“.
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Immerhin aber ist die Mazurka ein polnischer Tanz im Dreiertakt, bei dessen Darstellung man es zur Not bei einem freundlichen Folklorismus belassen könnte. Davon aber konnte hier keine Rede sein. Es gibt da Stellen, wo sich die Musik eigentümlich festfräst, aus dem Gefängnis bestimmter Halbphrasen nicht mehr herauszufinden scheint, sich in einer ausweglosen Kreisbewegung verliert. Das nimmt Sokolov unerbittlich ernst, realisiert es mit bohrender Intensität – mit dem Ergebnis, dass diese Mazurken, jedenfalls einige von ihnen, zu Psychogrammen der Depression werden. Wenn er nicht so schön spielte, müsste den Hörer eigentlich das Grauen ankommen.
Weniger auffällig, aber ebenfalls bezwingend gerieten die beiden rahmenden Programmteile: Am Beginn stand Bach mit den vier Duetten aus der Klavierübung und der c-Moll-Partita. Sokolov romantisiert diese Musik keineswegs, luzide kommen der Kontrapunkt und die rhythmischen Impulse aus den tieferen Partiturschichten. Aber er poetisiert sie schon – etwa in der Sarabande der Partita – mit großartiger Sanglichkeit. Ganz leise klingt da dann doch das Charakterstück des 19. Jahrhunderts voraus. Und gerade Schumann, auch Chopin, ging bekanntlich – und hörbar – bei Bach in die Schule.
Tatsächlich kamen dann auch noch Schumanns „Waldszenen“ dran, sodass die Agenda zu zwingender Einheit fand. Die „Waldszenen“ wurden eine Zeitlang eher geringgeschätzt, als Abgesang auf die frühe Klaviergenialität des Komponisten. Dazu besteht indes kein Grund, zumal dann nicht, wenn man sie so wie Sokolov erklingen lässt. Der ließ etwa den „Vogel als Prophet“ mit seinen quälend unaufgelösten Sekundvorhalten schier impressionistisch zerfallen. Das war bizarr und skurril und keineswegs auf deutsche Art waldeslustig.