René Jacobs dirigiert in Köln Joseph Haydns unbekanntes Meisterwerk Missa Cellensis und macht daraus ein mustergültiges Ereignis.
Kölner PhilharmonieWenn Haydn auf Oper macht, muss man ihn auch so singen
Diesmal also keine konzertante Oper, sondern eine Messe. Auf steter Suche ist René Jacobs freilich hier wie dort: Greift er bei seinen Opernproduktionen gerne auf verschollene Urfassungen zurück, die ungewohnte Lesarten ermöglichen, so stellte er bei seinem jüngsten Auftritt in der Kölner Philharmonie das weithin unbekannte Meisterwerk eines nun sehr bekannten Komponisten vor: Haydns Missa Cellensis (1766-1773), die fälschlich – sie ist schließlich der Jungfrau Maria gewidmet – als „Cäcilienmesse“ firmiert. „Cellensis“ bezieht sich auf die steiermärkische Wallfahrtskirche Mariazell, für die auch eine zweite spätere Haydn-Messe, eben die Mariazeller Messe, bestimmt war.
Kanonisch geworden sind nur die sechs letzten, im Umfeld von „Schöpfung“ und „Jahreszeiten“ komponierten Hochämter, von denen sich die Missa Cellensis stilistisch markant unterscheidet. Repräsentieren die Spätwerke die reife Wiener Klassik, so steht das ausladende frühere Stück noch deutlich in der Tradition der barocken Kantatenmesse. Da wird zwischen koloraturengespickter Opernarie und strenger Fuge im stile antico ein breites Spektrum abgedeckt. Der junge Haydn stellt das alles sozusagen ins Schaufenster – auch um zu zeigen, was er künstlerisch so draufhat. Und das ist viel: Das betrifft weniger die unstrittige technische Souveränität, sondern vielmehr die ungewöhnliche expressive Dichte und Eindringlichkeit. Hier ersteht zwischen festlichem Jubel und tiefer Trauer eine ganze Welt.
Die Zürcher Sing-Akademie besticht durch Klangschönheit, Homogenität und artikulatorische Präsenz
So muss man es selbstredend auch aufführen. René Jacobs, dessen im engeren Sinn dirigentisches Metier begrenzt sein mag, gelang das jetzt großartig. Der Mann hat halt – das bewies gleich Haydns eingangs gespielte „Trauersinfonie“ – ein gutes Händchen zumal für vokale, aber auch instrumentale Valeurs, für differenzierende Abstufungen und Abschattungen, die immer neue Klangbilder entstehen lassen und den Hörer durchgehend bei der Stange halten. Beispiele dafür waren das „Crucifixus“ im „Credo“ mit seiner intensiv herausgestellten chromatischen Bitterkeit und das „Sanctus“, wo mit Oboen, harfenden Streichern und leise pulsierendem Chor wahrhaft himmlische Entrückung Platz griff. Dann die exzellent gebauten Haydn'schen Chorfugen, die Jacobs nie flächig durchsingen ließ, sondern deren interne Dramaturgie er etwa mit dynamischen Binnenwechseln mustergültig herausstellte.
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Das geht selbstredend nur mit souveräner Assistenz seitens der beteiligten Kräfte. Die hatte Jacobs in jeder Hinsicht zur Verfügung: Die Zürcher Sing-Akademie ist ein Profiensemble, das in gleicher Weise durch Klangschönheit, Homogenität und artikulatorische Präsenz besticht. Ein „Kyrie“ ist da tatsächlich ein „Kyrie“ und kein „Yrie“. Die Sopranhöhen strahlen gelassen, und in den Fugen entfaltet sich der Kontrapunkt mit messerscharfer Präzision – jeder Stimmgruppeneinsatz wird da zum Ereignis. Der Klang bricht auch nicht ein, wenn er aus dem Forte ins piano zurückgeht, alles hat Substanz und Kontur.
Die Vokalsolisten Mari Eriksmoen (Sopran), Kristina Hammerström (Mezzo), Mark Milhofer (Tenor) und Christian Senn (Bariton) standen da nicht zurück, neigten trotz ihrer Stilnoblesse auch nicht zur Zurückhaltung. Wenn Haydn auf Oper macht, muss man ihn halt auch so singen. Lediglich Eriksmoens im Timbre schier engelgleicher Sopran wirkte im schnellen Tempo etwas aufgeregt. Rundum überzeugend schließlich das auf Originalinstrumenten agierende Kammerorchester Basel, das zielgenau die Mitte zwischen knackigem Zugriff und geschmeidiger Eleganz (in den Streichern) fand.