Wiener Philharmoniker unter ViottiDer wohl ungewöhnlichste Dirigent besucht Köln

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Lorenzo Viotti

Lorenzo Viotti

Lorenzo Viotti ist eine seltene Erscheinung in der Welt der Klassik. Mit den Wiener Philharmonikern trat der Dirigent nun in Köln auf.

Lorenzo Viotti entspricht ganz und gar nicht dem Dirigenten-Typus, den man üblicherweise am Pult der Wiener Philharmoniker erlebt. Der 34-Jährige ist in den sozialen Medien aktiv, liebt Hip-Hop, treibt leidenschaftlich Sport und hat keine Scheu, teilentblößt in Fitnessmagazinen zu posieren.

Seine prestigereiche Chefposition bei der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam hat er mit Ablauf der kommenden Spielzeit gekündigt, weil sie ihn nach eigenem Bekunden in seiner persönlichen Entwicklung hemmte. Work-Life-Balance statt Karrierefieber - das ist fraglos eine gesunde Haltung, für die der Schweizer auch familiäre Gründe hat: Er möchte nicht das Schicksal seines Vaters Marcello Viotti erleiden, der sich in seiner Dirigententätigkeit verzehrte und mit 50 Jahren an einem Schlaganfall starb.

Lorenzo Viotti mit den Wiener Philharmonikern in Köln

Lorenzo Viotti war bereits 2023 beim Gürzenich-Orchester zu Gast und wird dort auch das Eröffnungskonzert der kommenden Saison dirigieren - neben einem weiteren Sonderkonzert mit russischen Sinfonien. Der slawischen Romantik galt auch das Programm, das ihn nun mit den Wiener Philharmonikern in die gut besuchte Kölner Philharmonie führte. Den Anfang machten zwei russische Orchesterwerke, die einander in der Intensität des Farbauftrags ähnlich, ansonsten aber völlig gegensätzlich sind: Nikolai Rimsky-Korsakows „Capriccio espagnol“ ist Musik des gleißenden Sonnenlichts, von iberischer Tanzfolklore durchglüht. Sergej Rachmaninows „Toteninsel“ dagegen evoziert - wie das berühmte Böcklin-Gemälde, das als Vorlage diente - eine Atmosphäre lastender Schwere und Morbidität.

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Mit der postkartenbunten Bravour des „Capriccio espagnol“ landeten die Wiener und ihr junger Maestro gleich zu Beginn einen Volltreffer - aber im Grunde ist da nicht viel zu interpretieren: Wenn ein Orchester dieser Klasse an den Pulten sitzt, realisiert sich das Stück von selbst. Das ist bei der „Toteninsel“ ganz anders: Hier baut sich auf der sanften Unwucht des grundierenden Fünfachtelmetrums ein faszinierendes Spiel der unmerklich gleitenden Tönungen, der beständig wechselnden Lichtverhältnisse auf, das Lorenzo Viotti meisterhaft steuerte und entfaltete. Was das schwere Blech, die tiefen Holzbläser und geteilten Kontrabässe da miteinander in den dunkelsten Klangregionen anrührten, war keineswegs trübe oder schlammig, sondern mit maximaler Detailschärfe geformt und von bezwingender haptischer Kraft.

Ekstatischer Jubel in der Kölner Philharmonie

Das große Schlussstück, Antonín Dvořáks Sinfonie Nr. 7, hat Lorenzo Viotti hier bereits vor sieben Jahren dirigiert, damals mit dem Mahler Chamber Orchestra. Dessen sportiver Drive gehört nicht zu den primären ästhetischen Zielen der Wiener Philharmoniker; entsprechend ging es diesmal bedeutend gewichtiger, opulenter, luxurierender zu. Bei insgesamt eher ruhigen Tempi wusste Lorenzo Viotti, der gelernte Schlagzeuger, seine Vorstellung von klarem, effektivem Timing zwar jederzeit durchzusetzen.

Trotzdem fragte man sich, ob das Stück nicht doch härter, rauer und spröder ist, als man es hier zu hören bekam und ob diese (für den musizierfreudigen böhmischen Meister ja eher ungewöhnlichen) Qualitäten nicht stärker herausgearbeitet werden müssten. Im Saal gab es an der Stimmigkeit dieser Darstellung indes keinen Zweifel; nach der Zugabe, dem ersten Ungarischen Tanz von Brahms, steigerte sich der Jubel geradezu ins Ekstatische.

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