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Ondřej Adámeks „INES“ an der Oper Köln uraufgeführtWie besingt man den Atomtod?

Lesezeit 3 Minuten
Auf dem Bild trägt Hagen Matzeit eine schwarze Lederjacke. Er lehnt die Hand an eine Scheibe, auf der die Evolution des Menschen dargestellt ist.

Hagen Matzeit und Kathrin Zukowski bei Uraufführung von Ondřej Adámeks „INES“ an der Oper Köln

Die Uraufführung der Oper Ines von Oper von Komponist Ondřej Adámek beschreibt die Welt nach einer atomaren Katastrophe.

Der Titel „INES“ der zweiten gemeinsamen Oper von Komponist Ondřej Adámek und Librettistin Katharina Schmitt ist kein weiblicher Vorname, sondern die Abkürzung für die „International Nuclear and Radiological Event Scale“ zur Klassifizierung von Störfällen in Kernkraftwerken. Doch wie inszeniert man den GAU? Wie klingt letale Strahlenkrankheit? Wie besingt man den Atomtod? Der selbst dirigierende tschechische Musiker und die selbst Regie führende Autorin zielen nicht auf dramatischen Realismus, sondern epische Verfremdung. Schlüssig motivieren sie den Übergang von Sprechen zum Singen als Ausdruck von Gefühl, Erinnerung, Trauma und körperlicher Auflösung.

Zwischen „Prolog und fünf Bildern“ kommentieren drei Männer in Schutzanzügen als Chor der antiken Tragödie (David Howes, George Ziwziwadze, Lasha Ziwziwadze) das Schicksal von Orpheus und Eurydike mit Barock-ähnlichen Melismen wie aus Claudio Monteverdis „LʼOrfeo“. Nach einer Kernexplosion irrt O auf der Suche nach der zum Schatten gewordenen E durch die von Patricia Telackos gestaltete postapokalyptische Landschaft aus hunderten weißer Müllsäcke, wie sie nach dem GAU von Fukushima 2011 für radioaktiv verstrahltes Material dienten. Wie Menschen und Natur zerfallen auch Sprache und Musik. Hagen Matzeit wechselt als sich selbst fremd gewordener mythischer Sänger virtuos zwischen Bariton und Countertenor. Ebenso artifiziell wie expressiv stammelt er Phoneme, Silben, Töne, Atem- und Zischlaute. Sein Gesang rührt nicht mehr Tod und Steine zu Tränen, sondern ist selbst erstorben und versteinert.

Uraufführung von „INES“ an der Kölner Oper

Die von Sopranistin Kathrin Zukowski ausgezeichnet gesungene und gespielte weibliche Hauptrolle spaltet sich – vom Atomblitz getroffen – zum Vokalquartett auf. Dazu schildert Dalia Schaechter in der Rolle einer Radiologin die Auswirkungen der tödlichen Strahlendosis mit allen scheußlichen Details. Der physischen Auflösung Eurydikes entspricht die elektronische Verstärkung ihrer und aller anderen Stimmen durch Lautsprecher, die sie von den Körpern lösen und atomisiert erscheinen lassen. Erst im Sterben findet E mit einer geradezu klassischen Opernarie zu strahlendem Belcanto als Inbegriff körperlos reiner Schönheit und Transzendenz.

Das Gürzenich-Orchester beschränkt sich über weite Strecken auf untergründiges Pochen, Tinnitus-artiges Pfeifen und die galoppierenden Punktierungen aus Monteverdis berühmter Toccata-Ouvertüre als nervösem Leitmotiv. Weil der Apokalypse künstlerisch ohnehin nicht beizukommen ist, wenden Partitur, Text und Inszenierung die Katastrophe ins Absurde. Statt wirklich zu überfallen deutet ein Schlagzeuggewitter die verheerende Kernexplosion nur an. Und die kunstvoll verwobenen Partien der drei Eurydike-Doppelgängerinnen (Olga Siemieńczuk, Tara Khozein, Alina König Rannenberg) singen als „Girls from Hiroshima“ kein pathetisches Lamento über den Atombombenabruf 1945, sondern liefern als kesse Swingle-Sisters mit übertrieben „strahlendem“ Grinsen eine jazzige Showeinlage. Wo Tragödie versagt, hilft nur Groteske.

Die Oper von Komponist Ondřej Adámek hat eine eindringliche Botschaft

Der von Rustam Samedov geleitete Chor der Oper Köln übernimmt erst allmählich eine tragende Rolle. Wispernde Geisterstimmen stehen für alle Menschen, die seit 1945 durch nukleare Bomben und Katastrophen ums Leben kamen. Die litaneiartig heruntergebetete Genealogie vom Homo erectus zum Homo neanderthalensis steigert das Kollektiv bis zur Ekstase. Die Kulmination feiert Homo sapiens nicht als Gipfel der Schöpfung, sondern entlarvt die Dummheit der sich selbst als „verständig“ überschätzenden Spezies, die ihre eigenen Lebensgrundlagen vernichtet. Der Klagechor wird zur Selbstanklage der Menschheit, die Orpheusʼ düstere Prophezeiung noch zuspitzt: „Geht weg! Sterbt aus!“.

In Anlehnung an „The Cold Song“ aus Henry Purcells Oper „King Arthur“ schraubt der vereinsamte O am Ende seinen stockenden Gesang silbenweise ins höchste Falsett als Ausdruck seelischer Erstarrung inmitten des atomaren Winters, der sich über die Erde gelegt hat. Damit das Stück nach eindreiviertel Stunden jedoch nicht in gänzlicher Hoffnungslosigkeit schließt, rennt plötzlich ein Mädchen durch die verödete Szene, als wollte es das Publikum fragen: Habt Ihr wirklich noch Zeit, die Rettung der Welt einmal mehr der nächsten Generation zu überlassen?

Zur Veranstaltung

Weitere Aufführungen im Staatenhaus Saal 3 am 22., 26., 28., 30. Juni und 3. Juli. Alle Informationen gibt es hier.