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Kommentar zu Talkshows
„Stop making stupid people famous“ ist ein guter Rat

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Lesezeit 3 Minuten
Maischberger Weidel ARD 200922

AfD-Politikerin Alice Weidel war am Dienstagabend bei „Maischberger“, Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht parallel im ZDF.

Sahra Wagenknecht bei „Markus Lanz“ und Alice Weidel bei „Maischberger“ – am Dienstagabend bekamen mal wieder die abseitigsten Positionen des politischen Spektrums in Deutschland von den öffentlich-rechtlichen Sendern die größte Bühne. Während Wagenknecht im ZDF munter ihre krude Sicht auf den russischen Angriff auf die Ukraine darbieten konnte, erzählte AfD-Politikerin Alice Weidel in der ARD ähnlichen Unsinn – nur eben in AfD-Blau getüncht. Das sorgt für Kritik – zurecht.

Die Gäste-Auswahl und Themengewichtung deutscher Talkshows rücken nicht zum ersten Mal in den Fokus. Bereits 2015, als viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, und während der Corona-Pandemie mussten sich Lanz, Maischberger, Will und Co. den Vorwurf des False Balancings gefallen lassen.

Scharfe Kritik von Jan Böhmermann: „In Sachen Irrsinnsverbreitung höchst ausgewogen“

„Idee zur Rettung der ARD: Warum nicht einfach mal eine Nazifrau zu Maischberger einladen und ihr dort eine gebührenfinanzierte Bühne zur Verbreitung ihres Nazimülls bieten?“ ätzte Comedian Jan Böhmermann auch jetzt prompt in Richtung der „Maischberger“-Redaktion. „Weil unser öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Sachen Irrsinnsverbreitung höchst ausgewogen ist, schenkt Lanz zum Ausgleich nachher Sahra Wagenknecht die gebührenfinanzierte Bühne für knackige Putinpropagandaarbeit von der anderen Seite“, fügte der TV-Moderator an und schloss damit auch die Talkshows seines eigenen Senders in seine Schelte mit ein.

Allein blieb Böhmermann mit seiner Kritik nicht, auch Journalist Markus Decker meldete sich zu Wort: „Wenn Alice Weidel im Bundestag spricht, dann verlassen regelmäßig größere Teile der Abgeordneten den Saal. Es kann nicht sein, dass Rassismus und Demokratieverachtung dann im Fernsehen hoffähig gemacht werden“, schrieb der RND-Politikexperte. „Das ist ein Beitrag zur Zerstörung der Demokratie.“

Umfragen sehen breite Unterstützung für Sanktionen gegen Russland

Diesen Vorwurf dürfte man bei ARD und ZDF nicht gerne hören – so richtig wehren können sich die Talkshow-Redaktionen dagegen allerdings nicht. Während Umfragen der deutschen Gesellschaft eine breite Unterstützung der Sanktionen gegen Russland auch bei eigenem Verzicht attestieren, kriegen ausgerechnet die polarisierenden Randpositionen, die sogar im Bundestag gerne mit Ignoranz bedacht werden, bei den beiden Sendern am Dienstagabend viel Sendezeit – und das nicht zum ersten Mal.

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Das riecht tatsächlich nach „False Balancing“. Darunter verstehen Medienforscher eine falsch gewichtete Darstellung von gesellschaftlichen Streitpunkten in den Massenmedien. Wenn also nur wenige die Meinung von Wagenknecht und Weidel teilen, sollten sie demnach nicht als gewichtige Repräsentanten der Menschen in Deutschland in Talkshows auftauchen, sondern maximal als der Randaspekt, den sie auch politisch darstellen. Splitter statt „Spaltung“ – darum geht es.

Die Botschaften verfangen – auch wenn Talkshow-Moderatoren dagegen halten

Hintergrund dieses immer wieder vorkommenden Fehlers dürfte auch sein, dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Kontrolle über ihre Talkshow-Formate weitgehend aus der Hand gegeben haben. Die Moderatoren und ihre Produktionsfirmen haben die Hoheit über Themen und Gäste-Auswahl – und orientieren sich dabei vor allem an der Quote. Und offenbar nur wenig daran, was journalistisch richtig oder falsch wäre. Dass sowohl Markus Lanz als auch Sandra Maischberger ihren umstrittenen Gästen probierten, Paroli zu bieten, ändert daran auch nur wenig. Die Botschaften verfangen.

Wir leben in einer Demokratie, also müssen natürlich alle zu Wort kommen dürfen – auch die, die Putins Propaganda wiederkäuen. Die Frage, ob das auch für alle in der gleichen Lautstärke und auf gleich großer Bühne möglich sein muss, muss man dennoch stellen. „Stop making stupid people famous“, lautete einst eine Binsenweisheit im Journalismus. Das war kein schlechter Ratschlag.