Die Ballets Trockadero de Monte Carlo tanzen auf Spitze mit prächtigen Tütüs und viel Glitzer. Soweit, so klassisch. On top: Es sind alles Männer. Leiter Tory Dobrin im Gespräch.
Männerballet Trockadero kommt nach Köln„Tütü, Tiara, falsche Wimpern, fettes Make-Up“
Die Ballets Trockadero de Monte Carlo tanzen auf Spitze mit prächtigen Tütüs, Glitzer auf dem Kopf und dicker Schminke. Soweit, so klassisch. On top: Es sind alles Männer. Mit Humor. Nun kommen die berühmten Trocks aus New York wieder nach Köln Stolze 50 Jahre ist die Company alt und tritt 2024 in Deutschland einzig in der Kölner Philharmonie auf. Tory Dobrin, der sie seit 44 Jahren leitet, schaut entspannt beim Videotelefonat aus seiner mit kunsthandwerklichen Mitbringseln aus aller Welt geschmückten Wohnung.
Welche Aufführung haben Sie kürzlich gesehen, die Sie mochten?
Tory Dobrin: Ich war beim New York City Ballet und fand es toll. Ich wollte „Symphony in C“ von George Balanchine sehen, eines meiner Lieblingsballette. Wir haben erst kürzlich eine neue Choreographie erstellen lassen, die darauf basiert.
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Traditionell hat Ihr Repertoire viel mit russischer Balletthistorie zu tun. Dann kam der Angriff Russlands gegen die Ukraine.
Was da passiert, ist fürchterlich. Wir haben einiges geändert, in unseren Veröffentlichungen, in den Fake-Biographien der Tänzer, und das Solo „Russian Dance“ heißt jetzt „Golden Tsarina“, das mit der Ballerina im langen goldenen Mantel. Naja, viele der Choreographen des russischen Balletts waren Franzosen, wie Maurice Petipa.
Wie kamen Sie in New York auf russisches Ballett?
Das war Mitte der 80er Jahre. Die russischen Companien kamen selten rüber. Aber dann startete das Kabelfernsehen. Ein Sender brachte sonntags diese alten russischen Ballette: „Dornröschen“, „La Bayadere“, mit den frühen Ballerinen. Ich habe mich total verknallt. Als Tänzer wandte ich das, was ich da sah, auf der Bühne an. In den frühen 90ern dann, als ich Direktor der Trocks war, besuchte ich mal einen Ballettabend eines der besten Ensembles der USA, und da gab’s keine Tütüs. Nur Strumpfhosen, Trikots. Wow. So fing das an bei den Trocks, dass WIR diese älteren russischen Ballette machen, die man kaum mehr sieht im Westen. Eine Freundin, die in St. Petersburg getanzt hatte, Elena Kunikova, hatte eine Menge Videos. So suchte ich einige Ballette aus, die wir dann über die Jahre einstudiert haben.
Also nicht nur aus Protest gegen schmuckloses neoklassisches Ballett?
Nicht Protest. Ich hatte den Eindruck, unser Publikum wollte diese alte Welt sehen, Tütü, Tiara, falsche Wimpern, fettes Make-Up, big personalities.
Welche Reaktion im Publikum hat Sie am meisten überrascht?
In den 80er-Jahren waren wir mal beim Grenada-Festival in Spanien. Ein großes Event für Wohlhabende. Die Leute hatten wohl das Ballet de Monte Carlo erwartet. Denn als die Swan Queen erschien, der erste Auftritt einer Drag-Figur, bemerkten wir Unruhe im Publikum. Viele Zuschauer standen auf und gingen. Noch nie habe ich edel gekleidete Leute sich so schnell bewegen sehen. Aber klar, am nächsten Tag sprach sich die Sache rum, und das Publikum war super. Einmal, in Mexico City, brach nahebei ein Vulkan aus. Jemand im Publikum machte Krawall: das sei wegen dem, was wir da machten, wir seien verantwortlich.
Wie kamen die Trocks aus ihrer Nische raus?
Es war ein Häuflein Jungs, keine professionellen Tänzer, aber mit Tanztraining, Komiker mit Interesse an Drag. So suchten sie ein Loft, wo sie bei Midnight-Shows auftreten konnten. Sie stellten einen Auftritt zusammen, ein paar Zuschauer kamen. Sie machten noch ein paar Shows, und, glauben Sie mir, die hatten keine Ahnung, dass dies 50 Jahre andauern würde. Eine Journalistin schrieb im „New Yorker“ in den 70ern einen freundlichen Artikel über die Company; das war ein großer Impuls. Gute Presse zu haben. Solche Artikel schickt man an Theater und Festivalleiter, und die interessieren sich dann. Ist heute anders.
Sie waren selber Tänzer bei den Trocks und hörten mit 45 Jahren auf, als Sie auch schon Direktor waren. Wie bekommen Sie neue Tänzer? Machen Sie Auditions mit 500 Bewerbern?
Bloß nicht! Meist schreiben uns Tänzer eine E-Mail, sie würden gern vortanzen. Wir laden sie ein, am Training teilzunehmen, wo immer wir gerade proben. Wenn sie gute Kandidaten sind, bitten wir sie, mehrere Trainings mitzumachen, und, falls sie gefallen, dann noch ein bisschen mitzuproben. Worauf ich achte: Ist jemand ein guter Tänzer? Sieht man fast sofort. Wie er sich verhält den anderen gegenüber. Schließlich: gute Manieren. Pünktlichkeit, Höflichkeit, ordentliche Kleidung. Das deutet auf die Professionalität hin, die wir benötigen als Company, die viel tourt. Wir brauchen wirkliche Team player.
Sind Tänzer heute anders als früher?
Besser! Als ich zur Company kam, gab man mir ein paar Spitzenschuhe, und das war mein erstes Mal. Heutzutage haben viele schon vorher auf Spitze gestanden. Sie verstehen das.
Wie ist es, auf Spitze zu tanzen?
Wenn Mädchen lernen auf Spitze zu tanzen, ist es Teil des Ballett-Lernens. Unsere Jungs sind aber schon Profi-Tänzer. Hier noch Spitze hinzuzufügen, ist kein Problem. Falls man nicht an Sehnenentzündung oder Blasen leidet, fühlt es sich gut an. Denn manche kommen nicht ganz hoch auf halber Spitze. Mit dem Spitzenschuh macht es mehr Spaß, ist auch herausfordernder, und du bist größer. Höher. Ein bisschen, aber immerhin.
Worauf sind Sie besonders stolz nach 50 Jahren?
Darauf, dass es uns immer noch gibt. Aus einer Company, die nicht viel Respekt erntete, wurden wir eine, die innerhalb von nur 20 Jahren ans Bolshoi-Theater kam, nach Südamerika, Japan, Frankreich, Deutschland, in wichtige Theater weltweit. Und als ich 1980 zur Company kam, waren keine Kinder im Publikum, nicht mal irgendwo nahebei. 40 Jahre später sind da viele Kinder. Unser Programm ist kein Kinderstück, aber eine tolle Einführung ins Ballett für Kids. Also ermutige ich Eltern, ihre Kinder mitzubringen und ihre Eltern.
Für die diesjährige Tour, die die Trocks auch nach Kananda, China, Italien und Japan führt, hat die Compagnie aus ihrem Repertoire ein Jubiläumsprogramm zusammengestellt: Darunter der mittlerweile längst zum Kult gewordene zweite Akt aus Tschaikowskis Schwanensee nach der Choreografie von Lew Iwanowitsch Iwanow. Dazu kommen Paquita nach Marius Petipa ebenso wie die Choreografie Go for Barocco, mit der die Ensemblemitglieder in schwarz-weißen Trikots die elegante neoklassische Formsprache George Balanchines persiflieren
Sieben Aufführungen im Rahmen des Kölner Sommerfestivals in der Philharmonie, 16. bis 21. Juli, jeweils um 20 Uhr, Samstag auch um 15 Uhr, Sonntag nur um 14 Uhr. Online erhalten Sie hier Tickets, zudem an allen bekannten Vorverkaufsstellen und bei Tickethotlines Kölner Philharmonie: 0221 – 280 280