Während andere im Sommer die Füße hochlegen, geben André Patten und Kevin Kader vom Verein „Land in Sicht“ richtig Gas und beleben die Kölner Literaturszene mit immer neuen Ideen.
„Land in Sicht“Kölner Literatur-Initiative füllt mit innovativen Veranstaltungen das Sommerloch
Eine Lesungsreihe mit Nachwuchsautoren, literarische Streetart-Spaziergänge in Ehrenfeld, Kurzgeschichten-Nächte im Rheinauhafen und eine ganz neue Reihe zum Klassen-Bewusstsein im Literaturbetrieb – hinter all dem steht die Initiative „Land in Sicht“. Ein kleiner Verein ohne große Büros oder Festangestellte, der die Kölner Literaturlandschaft seit fast zehn Jahren mit immer neuen Ideen und Formaten prägt.
Während im Sommer in der Stadt sonst kulturelle Flaute herrscht, organisiert „Land in Sicht“ allein im Juli und August jede Menge Veranstaltungen. „Es hat sich in den letzten Jahren so ergeben, dass wir einen Fokus auf den Sommer legen. Was sich eigentlich in die Kölner Literaturlandschaft ganz gut fügt“, sagt André Patten, der „Land in Sicht“ 2014 zusammen mit Kevin Kader ins Leben gerufen hat. „Es ist die Frage, ob es diese Sommerpause für Kulturformate überhaupt geben sollte. Das wird ja jetzt auch gerade in Bezug auf Theater diskutiert.“
Fest steht: Es gibt auch im Sommer viele Leute, die Lust auf Literatur haben: „Das Publikum ist einfach sensationell in Köln und das ist nicht selbstverständlich.“ 300 kamen zur „Short Story Night“ im Juli– ein Riesenerfolg für eine Reihe, bei der neben bekannten Namen wie Ronja von Rönne immer auch lokale Autoren und Autorinnen dabei sind, die nicht unbedingt schon jeder kennt.
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Warum die „Short Story Night“ trotz Sommerferien und ohne großes Marketing-Budget so gut läuft? Durch ihre jahrelange literarische Arbeit haben André Patten und Kevin Kader natürlich ein Gefühl dafür, welche Autoren und Autorinnen mit ihren Geschichten an einem Abend gut zusammenpassen könnten. Genauso wichtig ist ihnen aber auch, dass sie Menschen zusammenbringen: „Wir wollen Veranstaltungsformate, die es einfach machen, in Kontakt zu treten. Mit anderen, die sich auch für Literatur interessieren, aber auch mit den Autoren und Autorinnen.“
Denn Literatur zu schreiben kann eine genauso einsame Tätigkeit sein wie Lesen. Umso wichtiger ist „Land in Sicht“ das gemeinsame Erleben und Reden über Bücher. "Wir hatten die Idee, so ein Format zu machen wie eine Kurzfilmnacht der Literatur. Für große Verlage sind Kurzgeschichten nicht so interessant. Wir wollten diesem Format gerne eine größere Bühne geben und das mit dem Kino zusammen denken”, sagt André Patten. Das „Sion Sommerkino“ habe das Experiment 2021 zusammen mit ihnen gewagt und es wurde sofort „wahnsinnig gut angenommen“.
„Wir wollen Autoren und Autorinnen am Anfang ihrer Karriere motivieren“
Besonders freuen sich die Macher von „Land in Sicht“, wenn sie mit ihren Veranstaltungen Autoren und Autorinnen am Anfang ihrer Karriere motivieren können. Sammy Challer war zum Beispiel bei der letzten „Short Story Night“ dabei und hatte schon 2020 den Kölner Förderpreis für junge Literatur gewonnen, der auch von "Land in Sicht” initiiert wurde. „Seine Kurzgeschichte ist sehr gut beim Publikum angekommen und er meinte, dass ihn das bestärkt, seinen Weg als Autor weiterzugehen – genau wie der Förderpreis.“
Das alles und noch viel mehr stemmen André Patten und Kevin Kader, die sich im Studium an der Kölner Universität kennen gelernt haben, übrigens neben ihrem Haupt-Job. André Patten arbeitet als Referent bei der Unesco, Kevin Kader ist Bier-Sommelier und hat gerade die Brauerei Blauer Tapir gegründet. Gerade haben sie für den Literatur-Förderpreis 188 Einsendungen in zwei Wochen durchgearbeitet, ein Teilnahme-Rekord, sagt André Patten. „Viel zu lesen, aber eigentlich ist das ja cool und zeigt, dass auch ein großer Bedarf da ist.“
Außerdem müssen sie unter anderem immer wieder Anträge für Fördergelder stellen. Inzwischen berücksichtigen sie dabei zwar auch ihren eigenen Arbeitsaufwand. „Aber wenn wir gezwungen sind, etwas zu streichen, dann streichen wir zuerst bei uns. Uns ist sehr wichtig, die Autorinnen und Autoren fair zu bezahlen, die heute ohne Lesungs-Honorare nicht mehr leben können.“
Das Thema liegt vor allem Kevin Kader schon lange am Herzen, der Mitte Juli die neue Reihe „Eine andere Klasse“ ins Leben gerufen hat. Im Kunsthafen diskutierten Schreibende die Frage, wie es der akademisch geprägte Literaturbetrieb mit klassenbezogener Marginalisierung und Diskriminierung hält. „Das hat natürlich auch mit meiner eigenen Biografie zu tun“, sagt er. „Viele Autoren und auch die Gate-Keeper in den Verlagen rekrutieren sich zum großen Teil aus dem akademisch geprägten Bildungsbürgertum. Und wenn wir schon eine Klassengesellschaft haben, dann sollten wir auch darüber sprechen. Gerade im Kulturbetrieb, der sich selbst immer als super-divers und sensibel für bestimmte Diskriminierungsformen rühmt.“
Optimistisch sind die „Land in Sicht“-Macher mit Blick auf die Kölner Literaturszene: Inzwischen gibt es hier wieder jede Menge gute Autoren und Autorinnen in Köln, sagt André Patten. Um die Jahrtausendwende sah das noch anders aus – damals wanderten viele nach Berlin ab. „Für andere Kulturstandorte wie Köln war es sehr schwierig, junge Talente zu halten.“ Aber das habe sich zum Glück geändert, auch inhaltlich tauche die Stadt wieder viel mehr in Texten auf. „Es ist schön zu sehen, wie sich das entwickelt hat in den vergangenen Jahren.“ Das liege wohl auch an den neuen Studiengängen für literarisches Schreiben an der KHM und der Universität, meint André Patten. Ganz sicher aber auch an „Land in Sicht“.
Die nächsten Termine
13.08. Streetart-Lesungen mit Jung-min und Thorsten Krämer.
16.08. Short Story Night mit Deniz Utlu, Kathrin Weßling, Gunther Geltinger, Natalie Harapat und Philipp Böhm.
26.08. Straßengeschichten mit Joachim Geil und Jennifer de Negri.
09.09. Lesungen der Finalisten und Finalistinnen des Kölner Förderpreises für junge Literatur 2023 ab 19 Uhr im VHS-Forum im Rautenstrauch-Joest-Museum. Der Eintritt ist frei. Auch das Publikum vergibt einen Preis.
11.09. "Eine andere Klasse"