Bowie, Madonna und Daft Punk verdanken ihm ihre größten Hits. Wir sprachen Nile Rodgers vor seinem Konzert im Kölner Tanzbrunnen.
Superstar kommt nach KölnWarum Nile Rodgers seine Wäsche von Hand wäscht
„Sehen Sie das? Die Klamotten, die hier überall hängen?“ Nile Rodgers, lebende, oder besser gesagt, überlebende Musiklegende, weist auf das Zimmer irgendwo in Nashville hinter sich im Zoom-Fenster. „Ich bin ein sehr wohlhabender Mann, habe Millionen von Dollar verdient, aber meine Kleidung wasche ich noch immer selbst von Hand.“
Die Stücke, die der Gitarrist Ende der 1970er mit seinem kongenialen Basspartner Bernard Edwards für Chic geschrieben hat – „I Want Your Love“, „Good Times“, „Le Freak“ –, sie klingen immer noch genauso, wie sich die Halston-Hosenanzüge und -Wickelkleider der Schönen und Berühmten im Studio 54 angefühlt haben müssen; edelste Stoffe, die die am sorgfältigsten epilierten Beine Manhattans umspielten wie der Frühlingswind.
Aber Nile Rodgers weiß eben auch, wie man nach dem Disco-Exzess die Flecken aus den teuren Stücken herausbekommt, „und das traue ich sonst niemandem zu“. Das Elegante mit dem Praktischen zu verbinden, musste Rodgers früh lernen, seine Mutter hatte ihn mit 14 Jahren bekommen, zusammen mit seinem jüdischen Beatnik-Stiefvater hielt sie Hof im Village, Lenny Bruce und Richard Pryor, Thelonious Monk und Eartha Kitt waren regelmäßige Gäste.
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Nile Rodgers' Familie hatte ein dunkles Geheimnis
Die Boheme-Familie hatte ein dunkles Geheimnis. Mutter und Stiefvater waren heroinabhängig, bald auch Rodgers vier Halbbrüder. Er selbst fing mit 13 an, Drogen zu nehmen, bevorzugte allerdings Alkohol und Kokain – und blieb dabei hochfunktional. Lernte erst Flöte, dann Klarinette im Schulorchester, bevor er schließlich zur Jazz-Gitarre wechselte.
Die Musik war ein Hobby, er wollte Wissenschaftler werden, „aber an meinem ersten Tag auf dem College hing ein Zettel am Schwarzen Brett: Musiker gesucht, und ich brauchte einen Job“. Der Job war eine Stelle in der Band der Sesamstraße. Rodgers bekam ihn sofort, weil er vom Blatt spielen konnte. „Für einen so jungen Menschen verdiente ich eine Menge Geld, und ich habe nie zurückgeblickt.“
Er jammte, noch nicht volljährig, mit Jimi Hendrix, begleitete Aretha Franklin im Apollo Theater. Und lernte Bernard Edwards kennen. Zusammen gründeten sie die Big Apple Band, die sie dann zur Hochglanzformation Chic aufpolierten.
Deren Einfluss auf die Popgeschichte kann man nicht hoch genug einschätzen. Sowohl die Sugarhill Gang als auch Grandmaster Flash & The Furious Five wählten „Good Times“ als Grundlage ihrer frühen Rap-Singles. Und Rodgers verdankt diesen frühen Aufnahmen (und denen mit Sister Sledge) seine spätere Karriere als Hit-Garant, von Diana Ross‘ „Upside Down“ über Bowies „Let’s Dance“, Madonnas „Like a Virgin“ und Duran Durans „Wild Boys“ bis hin zu Daft Punks „Get Lucky“.
Seine Arbeitsweise, erzählt Rodgers, ändere er je nach Künstlerin oder Künstler: „Meine Philosophie ist: Wenn ich mit dir arbeite, werde ich Teil deiner Band. Ich will dir helfen, deinen Song kompositorisch besser zu machen.“ Weshalb er auch bei fast jeder Aufnahme, die er produziert hat, den Gitarrenpart übernimmt, übrigens immer noch auf der Hitmaker Stratocaster von Fender, die er sich 1973 in einer Musikalienhandlung in Miami gekauft hat, denn „keine Gitarre klingt so wie die“.
Rodgers ist seinen alten Werten immer treu geblieben. Als stolzesten Moment seines Lebens bezeichnet er eine Zufallsbegegnung mit dem Jazz-Pianisten Harold Mabern. Gerade hatten Chic ihre Single „I Want Your Love“ veröffentlicht, deren Klavierakkorde Rodgers im Geist des Coltrane-Pianisten McCoy Tyner komponiert hatte. Mabern klopfte Rodgers auf den Rücken und sagte zu ihm: „Ich höre, was du da machst, junges Blut.“
Warum Nile Rodgers seine Songs nie zweimal auf dieselbe Weise spielt
Und genau genommen, sagt Rodgers, mache er ja noch heute Jazz: „Wenn du mich einen einfachen Song wie ‚Le Freak‘ spielen siehst, verspreche ich dir, dass ich den nie zweimal auf dieselbe Weise gespielt habe. Ich gebe den Leuten genug vom Riff, damit sie wissen, dass es ‚Le Freak‘ ist, aber meine Fills und meine kleinen Ausrastmomente, wie ich sie nenne, die sind jeden Abend anders.“
Alte Werte. Und doch wird man kaum andere 70-Jährige finden, die dem Geist der Zeit ähnlich weit voranschreiten. In den vergangenen Jahren haben fast alle großen Musikstars die Rechte an ihren Songkatalogen zu Geld gemacht. Die Idee dazu hatten Nile Rodgers und sein Manager Merck Mercuriadis. Vor fünf Jahren gründeten sie den „Hipgnosis Songs Fund“. Zu dessen Portfolio gehören inzwischen die Lizenzrechte von knapp 300 bekannten Künstlern, von Neil Young bis Justin Bieber.
„Die Musikbranche“, sagt Nile Rodgers, „ist die einzige Branche, in der man sich Geld für ein Projekt leiht, es dann zurückzahlt, aber das fertige Produkt gehört immer noch der Plattenfirma. Leute wie ich, die nicht anders können, als zu schreiben, aufzutreten, zu spielen, weil wir es lieben, werden zu Sklaven gemacht: Wir besitzen nicht, wofür wir längst bezahlt haben.“
Deshalb können heute die Plattenfirmen Master-Aufnahmen an Streaming-Plattformen lizenzieren und vom großen Geld nur einen kümmerlichen Rest für die Künstlerinnen und Künstler übrig lassen. Die grundlegende Geschäftsidee hinter Hipgnosis, sagt Rodgers, sei, die Künstler in eine neue Verhandlungsposition zu bringen. „Wir können den Streamingdiensten sagen: Ihr wollt Justin Bieber? Dann müsst ihr das hier bezahlen, um Justin Bieber zu bekommen.“
Nile Rodgers tritt als Nile Rodgers & Chic am 2. August im Kölner Tanzbrunnen auf.