Public Enemy („Fight the Power“) hat mit ihrem Mix aus Rap und wuchtiger Sozialkritik einst einen neuen Sound geprägt. Nun hat Vordenker Chuck D sein Leben gemalt.
Rapper Chuck D malt seine Autobiografie„Es braucht eine ganze Nation, um uns aufzuhalten“

Rapper Chuck D von Public Enemy bei einer Rally für Bernie Sanders
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Chuck D malt auch während des Interviews. „Ich male immer“, sagt er und hält zum Beweis einen Pinsel in die Zoom-Kamera. Hin und wieder schaut er auf, doch schnell senkt sich sein Blick zurück auf den Zeichenblock. Was malt er denn? „Figuren“, antwortet er. „Ich male, was mir durch den Kopf geht.“ Welche Art von Figuren, das sagt er nicht.
Vielleicht malt er ja sein Amerika anderthalb Jahre vor der nächsten Präsidentenwahl. Dort, so scheint es, ist man sich über nichts mehr einig. Das Land wirkt gespaltener denn je, gerade wenn es um die Themen Waffenbesitz, Schwangerschaftsabbruch und Klimaschutz geht. Sogar Wahlergebnisse, die Basis von Demokratie, werden angezweifelt.
„Public Enemy“ lancierte 1988 eines der einflussreichsten Hip-Hop-Alben
Chuck D, der eigentlich Carlton Ridenhour heißt, ist als Rapper und Aktivist bekannt. Mit seinen aggressiven, gesellschaftskritischen Texten hat er den Sound seiner Gruppe Public Enemy bestimmt. Das Album „It Takes a Nation of Millions to Hold Us Back“ von 1988 gilt als eines der einflussreichsten Hip-Hop-Alben überhaupt. „Es braucht Millionen von Menschen, eine ganze Nation, um uns aufzuhalten.“
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Nun ist ein Buch mit seinen Bildern erschienen. Der Titel „Livin' Loud“ steht für seine Lust auf Attacke sowie seinen Mut und seine Entschlossenheit, die Stimme gegen Rassismus, Ungerechtigkeit und Unterdrückung zu erheben. So wie es Martin Luther King Jr. einst tat. Der schwarze Bürgerrechtler erinnerte die Regierung unablässig an das in der Unabhängigkeitserklärung zu Papier gebrachte amerikanische Versprechen: Ein jeder Mensch hat ein Recht auf „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“.
Chuck D malt seine Autobiografie
Chuck Ds Buch ist eine gemalte Autobiografie. Die Bilder zeigen seine Kindheit, seine Liebe zu Baseball und Basketball, seine Idole. Unter anderem hat er King gemalt, James Brown, der ihn mit „Say It Loud, I Am Black And I Am Proud“, dem Song, der zum Slogan wurde, „auf die dritte Klasse und den Rest meines Lebens“ vorbereitete, und Marvin Gaye, der mit seinem Album „What“s Going On“ dem Motown-Soul ein politisches Bewusstsein gab. „Motown ist mein Blut“, schreibt der 62-Jährige in einem der Texte, die seinen Bildern beigestellt sind.
Als Kind habe ich lange Spaziergänge in Gebieten gemacht, in denen ich nicht hätte sein sollen.
Er malte auch das Viertel, in dem er aufgewachsen ist. Roosevelt, Long Island, nahe New York, war „eine schwarze Stadt, umgeben von weißen Städten“, sagt er. „Als Kind habe ich lange Spaziergänge in Gebieten gemacht, in denen ich nicht hätte sein sollen. Aber das war mir egal.“
„Kultur ist bedeutender als Regierungen“
Diese Unbeirrbarkeit spiegelt sich auch in seiner Musik wieder. Sie sollte eine Informationsquelle sein, eine Art Nachrichtenportal für die ganze Wahrheit, nicht nur für die weiße. Bis heute will er mit seinen Songs Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenbringen. „Kultur“, sagt er, „ist bedeutender als Regierungen.“
Schwarze in den USA erfahren immer wieder, dass das persönliche Glück von der Hautfarbe abhängt. Die sozialen Unterschiede wurden gerade in der Corona-Pandemie offenkundig. Afroamerikaner waren besonders betroffen, weil sie häufiger in Armut leben und seltener eine Krankenversicherung oder Zugang zu einem gut ausgestatteten Krankenhaus in der Nachbarschaft haben.
Mit ihrem Song „911 Is A Joke“ prangerten Public Enemy schon 1990 den Missstand an, dass es Rettungsdienste weniger eilig haben, wenn medizinische Notrufe aus schwarzen Vierteln kommen.
Auch Black Lives Matter ist Thema des Buches
Zuletzt veranschaulichten die Black-Lives-Matter-Proteste nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd, wie tief verwurzelt die Ungleichheit noch heute in den USA ist. „I can“t breathe“ waren Floyds letzte Worte im Mai 2020, während ein weißer Polizist auf seinem Hals kniete. „Ich bekomme keine Luft mehr.“ Chuck Ds Bilder zu rassistischem Hass und Polizeigewalt findet man ab Seite 214. Dort steht auch die wohl bedeutendste Zeile des Buches, weil sie Menschlichkeit definiert: „Ja, alle Leben sind wichtig, aber kein Leben ist wichtig, wenn das Leben der Schwarzen nicht zählt.“
Chuck D gilt als eine Stimme seiner Generation, so wie Bob Dylan in den Sechzigerjahren, der der Bürgerrechtsbewegung die Songs lieferte. Hatte er nie Angst davor, aus der schweigenden Masse herauszutreten und seine Meinung zu sagen? „Ich bin die meiste Zeit still. Ich höre lieber zu, als dass ich rede“, sagt Chuck D. „Ich musste etwas unternehmen, und ich hatte das Glück, mich mit meiner Kunst zu Wort melden zu können.“
Ist er heute noch genauso wütend wie früher? „Ich würde sagen, ich bin doppelt so alt und doppelt so klug“, sagt er. „Wenn man doppelt so klug ist, weiß man, wie man mit seiner Wut umgeht.“ Ist das Buch als Aufforderung zu verstehen, ebenfalls „laut“ zu leben? „Ich denke, Kunst steckt in jedem, aber es ist schwierig, Kunst aus jedem herauszuholen. Mein Buch soll Menschen dazu ermutigen, das zu verwirklichen, was sie in ihrem Leben erreichen wollen. Man kann es schaffen, indem man es einfach weiterversucht“, sagt er.
Kämpfen gegen Donald Trump
Chuck D malt vor allem mit Wasserfarben und Tinte. Viele Bilder muten wie Gerichtszeichnungen an. Die Gesichter drücken den Ernst der Lage aus. Sie gehören Menschen, die gegen etwas angehen. Der Soundtrack, den Public Enemy erschaffen haben, das wird beim Betrachten deutlich, ist heute genauso aktuell wie damals.
Als Donald Trump US-Präsident war, ging der Musiker mit der Rap-Rock-Supergruppe Prophets of Rage auf Welttournee. Trump ist die schrillste spaltende Stimme in den USA – immer noch. „Indem wir Trump bekämpften, kämpften wir gegen den Faschismus des 21. Jahrhunderts“, sagt Chuck D. Auch ihn hat er gezeichnet.
Hat er Angst davor, dass Trump ein zweites Mal Präsident werden könnte? „Ich habe keine Angst. Ich bin verwirrt“, antwortet er. „Was ist mit der neuen Generation los?“, fragt er sich. Ihn besorgt, dass zu viele Menschen nicht aus der Vergangenheit lernen, dass sie diese ausblenden oder gar leugnen. Seine Devise lautet: „Know your history!“ Beachte deine Geschichte – falls nicht, sagt er, werde es neuen Demokratiefeinden immer wieder leicht fallen, Menschen zu täuschen.
Spike Lee, Harry Belafonte und sein eigener Vater sind seine Helden
Zwei Stimmen haben Chuck D besonders geprägt: „Er ist die Stimme der Stimmlosen“, sagt er über Harry Belafonte, den schon seine Eltern bewunderten. Gemeinsam mit dem Regisseur Spike Lee hatte der Sänger und King-Weggefährte Public Enemy 2013 in die Rock & Roll Hall of Fame eingeführt. Sein größter Held aber scheint sein eigener, 2016 gestorbener Vater zu sein, der ihm Halt verlieh, wenn er sich verloren fühlte, wie er sagt. „Ich habe meine Stimme von meinem Vater geerbt. Wenn er uns anschrie, wurde es gehört.“
Der Public-Enemy-Song „Fight the Power“ von 1990 wird bis heute gehört, denn so wuchtig wie hier wird die Forderung nach einem gerechten Amerika selten gestellt: Bekämpfe die Mächtigen! Unvergessen ist das Lied auch, weil Chuck D Elvis Presley darin als Rassisten bezeichnet.
Er hat die Provokation seitdem immer wieder relativiert, denn sie richtet sich nicht gegen Presley persönlich, sondern gegen das vorwiegend von Weißen beherrschte System, das Schwarze ausnutzt oder die schwarze Selbstständigkeit unterhöhlt. Ein System, von dem Presley profitierte. Schwarze Künstler haben zwar die amerikanische Musik geprägt. Schwarze Plattenbosse wie einst Berry Gordy von Motown sind aber die Ausnahme. Das gilt für viele Branchen und Lebensbereiche.
„Elvis war ein Wegbereiter, aber...“
Presley bewunderte schwarze Künstler. Er schlich in Gospelgottesdienste und Konzerte von Schwarzen und wurde schließlich reich und berühmt, weil er ein weißer Sänger war, der wie ein schwarzer performte. Einerseits setzte er sich über die Rassentrennung hinweg. Andererseits hängte er schwarze Künstler wie Big Mama Thornton ab, die „Hound Dog“ im Original gesungen hatte.
„Elvis war ein Wegbereiter“, schreibt Chuck D im Buch über den King of Rock „n“ Roll. „Aber das waren Little Richards, Bo Diddley, Fats Domino, Chuck Berry und Jerry Lee Lewis auch.“ Auch sie sind Kings.
Wie lange werden Public Enemy „Fight The Power“ noch spielen müssen? Vermutlich sehr lange. „Der Zustand Amerikas neigt sich derzeit stark in Richtung der weißen, reichen, mächtigen, imperialistischen, ausbeuterischen, geldgierigen und opportunistischen Kapitalisten“, sagt Chuck D. „Wir müssen uns selbst retten und aufhören, uns darauf zu verlassen, dass andere Menschen großartige Antworten für uns finden.“