Das Kölner Gürzenich-Orchester kehrte mit einer Mahler-Aufführung unter Lorenzo Viotti aus der Sommerpause zurück.
Saisonauftakt in der Kölner PhilharmonieGürzenich-Orchester beweist auch ohne Roth starke Leistung
Der Block Z in der Kölner Philharmonie mit schwarz gewandeten Chorsängerinnen und -sängern prall gefüllt, darunter auf dem Podium ein riesiges spätromantisches Orchester mit Glocken und anderem – da dürfte der Musikfreund, ohne auch nur einen Ton gehört zu haben, schnell spitz kriegen, dass eine Mahler-Aufführung ansteht. Genauer: eine Aufführung seiner zweiten oder achten Sinfonie. Tatsächlich stand zur Saisoneröffnung des Gürzenich-Orchesters die zweite, die Auferstehungs-Sinfonie auf dem Programmzettel.
Die ist zweifellos häufiger im Konzertsaal zu hören, aber die Besetzung dürfte doch schon ein Unikat sein: Den „schwarzen Block“ formierte weder eine Profischar noch einer jener wohl etablierten Konzertchöre, von denen es in Köln schließlich eine ganze Menge gibt, sondern ein „Bürgerchor“. Der geht wie das „Bürgerorchester“ auf eine Initiative der Ära von François-Xavier Roth zurück, dessen Name ausweislich des Programmheftes einer (verfehlungsbedingten) „damnatio memoriae“ anheimgefallen zu sein scheint. Wenn es so wäre, schüttete man freilich das Kind mit dem Bade aus, denn daran, dass gerade der Bürgerchor ein verdienstvolles und auch nachhaltiges Projekt ist, konnte jetzt kein Zweifel bestehen.
Singbegeisterte Kölner beteiligen sich unter dem Universitätsmusikdirektor
Michael Ostrzyga, Kölner Universitätsmusikdirektor, stellt die Formation aus „normalen“ singbegeisterten Kölnern zusammen und erledigt jeweils auch die Einstudierung. Beethovens Neunte, Strawinskys Psalmensinfonie und nun eben die Mahler-Zweite – eine beachtliche Agenda hat sich da bereits aufgebaut. Der Auftritt am Ende des fünften Satzes ist relativ kurz, hat es aber in sich, wenn da nur Laien am Werk sind: Gleich der Einsatz in dreifachem pianissimo, dann die störanfälligen Quasi-A-cappella-Stellen, die harmonischen Wechsel, schließlich die triumphale Schluss-Aufgipfelung – das alles kann schnell wie gewollt und nicht gekonnt klingen.
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Davon konnte jetzt aber keine Rede sein: Mitunter knallten ein paar Stimmen aus der großen Masse heraus, insgesamt aber war der Klang ziemlich homogen, rund, satt, also gut gestützt – und angesichts des Massenaufgebots sehr diszipliniert in der Artikulation, Phrasierung und (mit Abstrichen) der Intonation. Lorenzo Viotti, der Dirigent der Aufführungen, dürfte mit diesem Input nur wenige Probleme gehabt haben.
Lorenzo Viotti setzte auf dramatische Kontraste
Der Italiener war anstelle des aus städtischen Diensten ausgeschiedenen Roth engagiert worden. Da kehrte also niemand zurück, weshalb das Konzertmotto „Rückkehr“ auch etwas in der Luft hing. Das machte aber nichts, zumal die Aufführung (der Rezensent besuchte den Sonntagabend) auch jenseits des Bürgerchors viele schöne Blumen blühen ließ (nicht durchweg, mitunter haperte es hörbar an der Koordination der Gruppen). Viotti fuhr im Wesentlichen eine Interpretationslinie der starken dramatischen Kontraste, die zuweilen schon in Opernnähe gerieten. Das brutale Aufbegehren der Unisono-Bässe gleich am Anfang zeitigte genauso einen szenischen Effekt wie die etwas provozierende Süße des Seitenthemas. Hier forderte der temperamentvolle Mann am Pult einen kantablen Wohllaut ein, der schon an Puccini denken ließ.
Sei's drum, die Mahler'sche Idiomatik zwischen Trauermarsch und Choral, Zusammenbruch und Ekstase, auch die Raumklangeffekte mit Zulieferungen aus dem Off gelangen nach- und eindrücklich. Weniger opernhaft als vielmehr angemessen schlicht kam das Altsolo „O Röschen roth!“ im vierten Satz aus dem Mund der Mezzosopranistin Claudia Mahnke, der sich im Finale noch die Sopranistin Siobhan Stagg gewinnend hinzugesellte.
Mit diesem Konzert hat beim Gürzenich-Orchester das einjährige Interregnum „nach Roth“ begonnen. Das Ensemble wird es ohne Zweifel professionell durchstehen, wie gerade die hochengagierte, in der Spielkultur durchweg ansprechende Leistung (der Blechbläserriege gebührt ein Sonderlob) zu Saisonbeginn zeigte. Arbeit mit unterschiedlichen Dirigenten über eine schließlich nicht unendliche Zeitperiode hinweg kann im Übrigen auch inspirierend und belebend wirken.