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Raffael im Taschen VerlagSchöner wird's in diesem Leben nicht mehr

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Umweltaktivisten der Gruppe Letzte Generation stehen in der Gemäldegalerie Alte Meister an dem Gemälde Sixtinische Madonna von Raffael.

Die „Sixtinische Madonna“ von Raffael ist auch bei Klimaaktivisten beliebt.

Für den Kölner Taschen Verlag sind Superlative gerade gut genug. Das gilt auch für das opulente Werkverzeichnis zu Götterliebling Raffael.

Man könnte beinahe auf den Gedanken kommen, dass diese grandiose Zumutung von einem Buch das erste seiner Art ist, dass Raffael, dem Götterliebling, annähernd gerecht wird. Der von den Raffael-Experten Michael Rohlmann, Frank Zöllner, Rudolf Hiller von Gaertringen und Georg Satzinger verfasste Band versammelt außer 112 Gemälden sämtliche gesicherte Freskenzyklen, Architekturprojekte und Wandteppiche des Renaissance-Künstlers, der eben mehr als nur ein begnadeter Maler war.

Wie zu Lebzeiten ist für Raffael allein der Superlativ gut genug: Der Prachtband aus dem Kölner Taschen Verlag enthält das laut Verlagsangaben bislang umfangreichste Werkverzeichnis des Künstlers, zahlreiche brillante Neuaufnahmen, ausklappbare Tafeln und gelehrte Texte, die sich zwischen dem opulent ausgebreiteten Werk freilich etwas zu verlieren drohen. Während Maße und Gewicht (knapp sechs Kilo) eher an einen Grabstein als an eine Studienausgabe erinnern, ist das Innere voller überwältigendem Leben. Unter den Kunstbüchern sind Taschens XXL-Bände die Kathedralen.

Im Idealfall wäre der Band zu Raffaels 500. Todestag erschienen

Gerade für eine Renaissancelegende erscheint dies mehr als angemessen – der Raffael-Band folgt in Anspruch und Ausstattung denen zu Leonardo, seinem vielleicht noch etwas berühmteren Zeitgenossen, und Michelangelo, Raffaels großem Rivalen im päpstlichen Rom. In der mit der Papierwaage gemessenen Wertung des Kölner Verlags zieht Raffael damit in der ewigen Konkurrenz der beiden wieder gleich.

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Im Idealfall wäre der Band vor zwei Jahren zu Raffaels 500. Todestag erschienen oder wenigstens rechtzeitig zum aktuellen Weihnachtsgeschäft. Andererseits gehört Raffael zu jenen Künstlern, die über die Wechselfälle der Zeit erhaben scheinen, deren Werke immer aktuell und faszinierend sind. Süßes geht halt auch noch nach den Festtagen, könnte man spotten, und wäre wahrlich nicht der Erste, der sich über all jene reizenden Putten, anmutigen Madonnen und wohlerzogenen Jesuskinder aus dem Hause Raffaels mokiert.

So leicht es nämlich fällt, sich seinen verführerischen Motiven hinzugeben, so leicht fällt es uns heute auch, vor ihnen die Augen zu verdrehen. Raffaels Ideale stammen nicht einfach nur aus einer anderen Zeit. Sie scheinen nicht einmal von dieser Welt zu sein. Das macht sie so großartig und zugleich so aufreizend in ihrer Seligkeit - seine Jesuskinder forderten es geradezu heraus, vom Surrealisten Max Ernst übers Knie der Muttergottes gelegt zu werden.

Der Umschlag des besprochenen Bands mit Putten im Himmel und Gelehrten auf der Erde

Der Umschlag des besprochenen Bands

Auch mit der heute von Künstlern gerne eingeforderten, zu Raffaels Zeiten aber illusorischen Distanz zu den Mächtigen, kann der Liebling seiner Zeitgenossen nicht dienen. Während Leonardo als Hexenmeister verrufen war und Michelangelo als unausstehlich galt, kletterte Raffael dank seines diplomatischen Geschicks die Karriereleiter hinauf. Als führender Innenausstatter des Vatikans hatte er seinen Anteil an der vom Ablasshandel finanzierten Prunksucht, die mit Luthers Reformation das Gegenteil seiner auf gesellschaftlichen Ausgleich bedachten Verführungskunst erreichte. Es passt ins Bild, dass Papst Leo X. den stadtbekannten Schürzenjäger Raffael zum Kardinal ernennen wollte.

Der Hauptverfasser des Taschen-Bands, Michael Rohlmann, führt die Leser mit großer Belesenheit durch Raffaels Leben, seine Zeit und sein enormes Werk, wobei sich bei den Kölner XXL-Bänden stets die Frage aufwerfen lässt: welche Leser? Hat jemand die Muße, sich von den herrlichen Reproduktionen wegzureißen und die Mühsal des Schwelgens im Stehen (oder des weit vorgebeugten Sitzens) durch Lektüre zu verlängern? Welche öffentliche Bibliothek stellt dieses Werk quer ins Regal, nachdem uns die moderne Buchdruckkunst gelehrt hat, dass die Zeit unhandlicher Folianten endgültig vorbei sei? Gekauft werden wird aber auch sicherlich dieser Luxusband, bei dem einem der Luxus geradezu neureich ins Auge springt.

An seiner prästabilisierten Harmonie stören sich bis heute Raffaels Verächter - die allerdings beinahe immer auch zähneknirschende Bewunderer sind. Verglichen mit Leonardo wirkt er geheimnislos, verglichen mit Michelangelo wie glattgeschliffen, sein Werk scheint keine Mühen, kein Ringen mit dem Gegenstand zu kennen. Dabei wissen wir längst, dass Raffael seine Bilder penibel vorzeichnete, die hingetupfte Mühelosigkeit seiner Gemälde war die Frucht unzähliger Studien.

Dem geduldigen Leser erlaubt der Kölner Raffael-Band einen ertragreichen Blick in die Werkstatt eines Künstlers, der einerseits ein früh Vollendeter war, aber zugleich gerade erst begonnen hatte, seine Möglichkeiten zu erkunden. In späten Raffael-Gemälden wie der „Verklärung Christi“, dem geradezu bodenständigen Porträt Papst Leos X. und vor allem dem Halbakt der „kleinen Bäckerin“ Margherita Luti zeigt sich eine in seinem Werk bis dahin unbekannte Alltäglichkeit, eine leicht angeraute Schönheit, die seine Bilder weniger unwirklich erscheinen lässt. Als er starb, im Alter von lediglich 37 Jahren, wusste Raffael alles über die Malerei. Das Leben schien er gerade erst entdeckt zu haben.

„Raffael. Das Gesamtwerk“, Taschen Verlag, 720 Seiten, 150 Euro