Der Fall
Ein Wagen wird aus dem Meschenicher See gezogen. Die Leiche im Kofferraum entpuppt sich als Florin Baciu, Teilhaber einer Reifenhandel-Firma mit Kontakten zur Raser-Szene. Aha, denkt man, die Raser-Szene, mal wieder ein "Tatort", der das "Wort zum Sonntag" doubelt. Weit gefehlt. Baciu ist bereits der zweite Tote innerhalb der ersten Sendeminuten.
Zu Anfang sehen wir das Kölner Team, Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) eine Treppe in der JVA hochstürmen. In einer Zelle hat sich ein Häftling erhängt. Der entpuppt sich als Matthes Grevel (Moritz Grove), Inhaber des Reifenhandels. Die erste Stunde dieses "Tatort" erzählt in Rückblende. Für Ballauf steht Grevel von Anfang an als Täter fest, Schenk zweifelt. Der Zuschauer weiß, wie das ausgeht. Und kann doch nichts tun.
Die Auflösung
Nach einer Viertelstunde war dieser Autor überzeugt davon, dass Matthes Grevels Sohn den Mord begangen hat, Baciu hatte seinen Vater gemobbt, seine Mutter und sogar seine kleine Schwester angemacht. Alles klar?
Es lief völlig anders. Grevel saß zurecht in der JVA, er hat den Mord ausgeführt, den Bacius Ex-Freundin, eine junge Bauunternehmerin (Lana Cooper), geplant hatte. Er brauchte das angebotene Geld, um seine Firma zu halten. Die Wendung mag überraschen, aber nicht um der Überraschung willen. Im Gegenteil, sie unterstreicht noch einmal das eigentliche Thema des 72. Falles des Kölner Teams (Buch: Johannes Rotter).
Das Thema
Die Erosion des Mittelstandes natürlich. Davon erzählt der "Tatort" ja häufiger. Aber selten so eindrücklich wie hier. Regisseur Sebastian Ko verweilt lange und detailreich bei der Durchsuchung im Haus der Grevels, bei der Einweisung von Matthes Grevel in den Knast, beim ersten Besuch seiner Frau (Lavinia Wilson) im Gefängnis, der in einer Vergewaltigung endet. Erniedrigung reiht sich an Erniedrigung.
Die Currywurst
Isst Freddy Schenk diesmal allein. Ballauf zieht derweil einsam seine Runden im Schwimmbad der Sporthochschule. Das Verhältnis zum Dauerpartner scheint zerrüttet. Sehr schön, wie Ballaufs freiwillige Einsamkeit mit der erzwungenen des zunehmend verzweifelten Matthes Grevel kontrastiert wird. Am Ende hat sich unser Ermittlerpärchen wieder, schließlich hatten beide Recht. Aber die Bitterkeit bleibt.
Das Fazit
"Mitgehangen" ist der stärkste Kölner Fall seit langem. Schlüssig, spannend, sehr gut gespielt von Grove, Wilson, Cooper und auch Sebastian Hülk als halbseidener Mechaniker Otto Ziemer - vor allem jedoch äußerst präzise in seiner Millieuschilderung. Sie seien doch nur eine stinknormale, langweilige Familie, schreit der Sohn auf. Eben.
Wenn der Sonntagabendkrimi seinen Zuschauern das Gefühl gibt, auch ihrem Alltag könnte jederzeit der Boden unter den Füßen weggezogen werden, dann hat er wohl etwas richtig gemacht.