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„Tor des Jahres“Die legendäre WDR-Erfindung wird 50 Jahre alt

Lesezeit 4 Minuten

Ulrik Le Fevre (hinten Mitte, Nummer 11) bei seinem Schuss zum „Tor des Jahres“.

Köln – Die Sendung begann um 18.15 Uhr, und in der Ankündigung stand: „Eishockey: Deutschland – Polen in Bad Tölz. Auslosung Tor des Jahres. Ski-Weltcup in Kitzbühel. Berichte von den Fußball-Regionalligen.“ Programmpunkt zwei war ein Novum, das nun Jubiläum feiert. Am Sonntag vor 50 Jahren, also am 16. Januar 1972, kürte der WDR im Rahmen der ARD-Sportschau erstmals den Torschützen des Jahres.

Die Jury bestand aus dem Sportschaupublikum, das seine Stimme zeitgemäß noch per Post abgab. Die gute alte Postkarte erfuhr durch die Idee des WDR-Redakteurs Klaus Schwarze, der 1971 in der Sportschauredaktion auf die Einführung einer „Wahl zum Tor des Monats“ gedrängt hatte, eine kolossale Aufwertung.

Die Idee zum Tor des Jahres entstand auf einer Reise

Er hatte auf Dienstreisen von der BBC-Idee „The Grand stand“, einer spektakulären Szene zum Abschluss der Sportsendung, erfahren und daraus seine Idee vom Tor des Monats/Jahres entwickelt. Sie wurde zu einer Erfolgsgeschichte – und zum Markenzeichen der ARD-Sportschau, die seit 4. Juni 1961 in Köln produziert wird. Der erste Gewinner kam dann auch ganz aus der Nähe, aber nicht vom heimischen 1. FC Köln, sondern vom rheinischen Rivalen Borussia Mönchengladbach, dem Deutschen Meister jener Tage.

Auf Ulrik Le Fevre, einen Dänen, entfielen 95 717 Stimmen. Sein Tor gewann mit riesigem Abstand vor dem Frankfurter Bernd Nickel (27 500) und Schalkes Dribbellegende Stan Libuda (25 456). Mit seiner Jongliereinlage beim 7:0 gegen Tabellenführer Schalke 04 war Le Fevre schon Torschütze des Monats im Oktober 1971 geworden, nun kam noch eine Medaille hinzu.

Le Fevre erzählte dass er damals „ganz normal interviewt“ worden sei und dann einen Sieger aus dem Berg von Postkarten ziehen musste. Auch dieser Preis – zwei Karten für ein Länderspiel – ging an einen Dänen, denn seine Landsleute beteiligten sich eifrig an der neuartigen Wahl.

Was Le Fevre nicht wusste: Er hatte Glück gehabt, dass sein Kunststück am 23. Oktober 1971 auch von Erfolg gekrönt war. Denn wenn wir seinem damaligen Kapitän Günter Netzer glauben dürfen, hätte er ansonsten was erlebt: „Ich war zunächst stinksauer dass Ulrik mir den Ball nicht gegeben hat. Ich war frei, er hätte abspielen müssen. Da hat er Glück gehabt, dass er dann so ein Tor schießt.“

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Der erste Torschütze des Jahres, der von 1969 bis 1972 in Mönchengladbach spielte und zwei Meisterschaften mit gewann, lebt längst wieder in seiner Heimat Vejle, aber sein großer Moment wird ihm regelmäßig ins Bewusstsein gerufen. „Ich wusste sofort, dass das kein normales Tor von mir war, wenngleich ich in diesem Moment nicht an ein »Tor des Monats« oder gar »Tor des Jahres« gedacht habe.“ Wurde es aber. „Die Leute hier in Dänemark vergessen das nie“, sagte er 2018 in einer ARD-Doku. Seither hat es 49 weitere Schützen gegeben. Für die meisten war es der Treffer des Lebens, auf den sie immer wieder angesprochen werden. Es sei denn, es waren mehrere – wie bei Klaus Fischer, der mit gleich drei Treffern, alles Fallrückzieher, Rekordtorschütze des Jahres ist. Karl-Heinz Rummenigge, Günter Netzer, Lothar Matthäus und der Spanier Raúl in seiner Schalke-Zeit schafften es zweimal aufs Podest. Die meisten Sieger trafen im Trikot der Nationalmannschaft (10), wobei es einmal eine Siegerin war: Nia Künzers Golden Goal im WM-Finale 2003 stach die Männer aus. Bisher ein Einzelfall, obwohl zwölf weitere Frauen unter den 566 Torschützen des Monats waren.

1977 war die Sportschau-Idee auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, 2 796 091 Einsendungen flatterten in Köln ein. Klaus Fischers Fallrückzieher im November 1977 im Testspiel gegen die Schweiz hält den Allzeitrekord – fast 1,5 Millionen Stimmen. „Das hat uns fast umgehauen“, gestand ARD-Moderator und Sportchef Ernst Huberty damals in der Sendung. Auch wegen der Umstände. Huberty beschwerte sich schon über die Postkartenflut im Zuge der ersten Wahl, weil die Säcke zunächst einfach in seinem Büro abgestellt worden waren. Die Auszählung band Ressourcen, so dass man schließlich auf die Idee kam, weibliche Gefängnisinsassen aus der Strafanstalt Köln-Klingelpütz damit zu beauftragen, die über diese Ablenkung nicht unglücklich waren.

Bis 1996 wurden die Sieger per Postkarte ermittelt

Bis 1996 wurden die Sieger des Monats und der des Jahres per Postkarte ermittelt, dann trat die Telefonabstimmung sukzessive an ihre Stelle. 2000 wurde die letzte Postkarte eingesendet. Heute geht alles per Internet.

Das Andenken an das Markenzeichen wurde nicht zu allen Zeiten von der Sportschau-Redaktion hochgehalten. Als sie in einen Großraumbüro umzog, hieß es: Altlasten raus. Dazu zählten auch die Leitz-Ordner, die die Abstimmungsergebnisse enthielten. Glücklicherweise rettete sie ein Redakteur vor der Vernichtung, weshalb wir auch heute noch genau wissen, wie viele Teilnehmer es bei der Wahl zum ersten Tor des Jahres gab: 233 334. Das ist doch mal eine Frage für eine Stammtischwette.