AboAbonnieren

Kommentar

Politischer Aschermittwoch
Besser auf die ritualisierte Gegnerbeschimpfung  verzichten

Ein Kommentar von
Lesezeit 5 Minuten
Baden-Württemberg, Biberach an der Riß: Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen ein Feuer, das Demonstranten beim politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen vor der Stadthalle von Biberach an der Riß angezündet haben. Die Veranstaltung wurde aufgrund der Proteste vor der Stadthalle abgesagt.

Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen ein Feuer, das Demonstranten beim politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen vor der Stadthalle von Biberach an der Riß angezündet haben. Die Veranstaltung wurde aufgrund der Proteste vor der Stadthalle abgesagt.

Die Lage offenbar noch nicht unlustig genug, um das Top-Personal der deutschen Parteien von der Tradition abzubringen, einem Saal voller Vormittagstrinker zu erklären, wie doof die Kollegen im Bundes- und Landtag sind.

Der Spaß hatte noch nicht überall begonnen, als er schon wieder aufhörte. In Bayern pumpten sich die CSU-Granden und ihre farblosen Nachahmer von der Konkurrenz gerade wieder zu Höchstleistungen im Schenkelklopfertum auf, da platzte eine Meldung aus Baden-Württemberg in die alljährliche Polter-Routine des sogenannten Politischen Aschermittwochs: Im schwäbischen Biberach mussten die Grünen ihre Veranstaltung kurz vor Beginn absagen.

Aufgrund teils aggressiver Proteste könne man Durchkommen und Sicherheit von Rednern und Gästen nicht garantieren. Mehrere Polizisten wurden verletzt. Winfried Kretschmann, Cem Özdemir, Jürgen Trittin und Ricarda Lang mussten unverrichteter Dinge wieder abreisen.

Lage ist ein Stimmungskiller

Das ist die Lage anno 2024: Im Inland lässt sich ein gemeinsamer Auftritt des Ministerpräsidenten mit einem amtierenden und einem Ex-Bundesminister sowie der Chefin einer Regierungspartei nicht mehr durchsetzen; bundesweit zittert man davor, dass eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei mehrere Landtagswahlen gewinnt; zugleich schmiert die Wirtschaft ab und die Zustimmung nicht nur zur Bundesregierung, sondern auch zur Demokratie ist im Keller. Im Ausland toben Kriege in Europa und Nahost, die USA schwächelt als Führungsmacht des Westens und kann womöglich dessen Sicherheit sowie die Stabilität des eigenen Rechtsstaats nicht mehr lange garantieren.

Klingt, spätestens in dieser Ballung, nach einem Stimmungskiller. Ist aber offenbar noch nicht unlustig genug, um das Top-Personal der deutschen Parteien von der Tradition abzubringen, einem Saal voller Vormittagstrinker zu erklären, wie doof die Kollegen im Bundes- und Landtag sind. Prost Mahlzeit.

Schon früher fragte man sich, warum Spitzenpolitiker aller Parteien dieses erstarrte Event durch eigene Reden ins bundesweite Scheinwerferlicht rücken, statt es ihren Ortskräften und dem Saalpublikum zu überlassen - und damit seinem Gründungszweck als bierselige Brauchtumsrunden in Süddeutschland.

Das ganze Jahr bin ich Staatsmann
CSU-Chef Markus Söder

Doch spätestens in diesem Jahr, als CSU-Chef Söder in Passau viel Energie und Zeit aufwendete, Bayern zur „Ampel- und Wokeness-freien Zone“ und die Grünen zum größten Übel des Vaterlandes zu erklären, während zeitgleich ebendiese Grünen vom Mob verjagt wurden, darf man kurz innehalten.

Dabei geht es nicht einmal darum, dass Söder betonte, „das ganze Jahr bin ich Staatsmann“ (was mit Abstand der beste Witz des Tages war), „aber heute gibt‘s freie Fahrt“ - worauf die alljährlich als Witz getarnte Populismusparade gegen „Berlin“, Ausländer und alles Nicht-Krachlederne folgte. Das wirkt zwar unangenehm in Zeiten, da solche Sprüche dank der AfD längst von den Rednerpulten der Parlamente kommen, geht aber als Brauchtumspflege durch. Oder als Zuspitzung des politischen Kerns der CSU.

Doch genau darüber sollten die Aschermittwochskomiker, nicht nur bei der CSU, einmal nachdenken: Besteht ihr politischer Kern wirklich darin, die anderen demokratischen Parteien zu beschimpfen? Denkt jemand ernsthaft, die Normalbürger freuen sich nach dem Werktag schon darauf, die Aschermittwochsreden am Abend in der Mediathek johlend nachzuschauen? Oder wünschen sich die Wähler nicht eher, dass die Parteien über neue Konzepte nachdenken? Über Antworten auf den Ausnahmezustand - vielleicht sogar gemeinsame?

Das soll beileibe kein Plädoyer dafür sein, angesichts der Krisenballung keine Parteien mehr zu kennen und eine demokratische Einheitsfront zu bilden. Und es spricht ja, auch in Krisenzeiten nichts gegen Karneval, Fasching und andere ausgelassene Feiern. Die Älteren erinnern sich aber an die Stimmung nach dem 11. September 2001 oder an Festumzug, der wegen eines Golfkrieges abgesagt wurde, und erkennen: Bei so viel Ernsthaftigkeit sind wir derzeit noch nicht angekommen.

Wäre nicht der Verzicht auf den Auftritt konsequenter gewesen?

Nun hätte niemand etwas davon, den Narren die Session madig zu machen, oder den konstruktiven Wettstreit der Parteien zu zähmen. Aber die ritualisierte Gegnerbeschimpfung am Aschermittwoch fällt ganz sicher in keine dieser Kategorien. Und wenn etwa in Vilshofen ein bedröppelter SPD-Chef Klingbeil wie zur Entschuldigung für die folgenden Flachwitze zunächst die Krisen der Welt aufzählt: Wäre dann nicht der Verzicht auf den Auftritt konsequenter gewesen?

Sicher: Wäre es nur der Aschermittwoch, müsste man sich nicht aufregen. Doch an diesen überkommenen Rituale hält die Politik ja allerorten fest: Innerhalb der Ampel-Regierung wird entlang der Parteilinien taktiert und gefoult, als habe man den Ausnahmezustand noch immer nicht erkannt. Dasselbe Spiel läuft im Bundestag, wenn sich Bundeskanzler und Oppositionsführer als Glaskinn und Klempner beschimpfen, weil dann die eigenen Leuten klatschen. Von all dem wenden sich immer mehr Wähler gelangweilt, genervt oder gar angewidert ab.

Im Passauer CSU-Saal erhielt Markus Söder den größten Applaus für seine Absage an eine schwarz-grüne Koalition im Bund. So wie, ebenfalls in Passau, Sahra Wagenknecht dafür, die Ampel als dümmste und gefährlichste Regierung Europas zu beschimpfen. Doch anders als Wagenknecht muss sich Söder allerdings fragen, wie sich die Union stabile Regierungen in Bund und Ländern künftig vorstellt, wenn er neben der AfD auch die Grünen zur Unpartei stilisiert.

Seine Kollegen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo die AfD in Umfragen stabil stärkste Kraft ist, stehen bereits in diesem Herbst vor dieser Frage. Und trotzdem beharken sich die demokratischen Parteien im Wahlkampf lieber untereinander, als über Konzepte für den aktuellen Ausnahmezustand nachzudenken. Dass große Teile der Bevölkerung ihnen deshalb nicht zutrauen, die Gefahr des Rechtspopulismus und Nationalismus einzuhegen, zeigen die bundesweit seit Wochen anhaltenden Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus.

Man muss sicher nicht auf jeden Gaudi verzichten, wenn die Lage ernst ist. Aber es gibt eben auch Zeiten, da darf man fragen, wer am Ende wohl zuletzt lacht.