Am Wochenende gingen erneut Hunderttausende gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Überall im Land werden weitere Demos folgen. Das will geplant sein – doch wer sind eigentlich die Köpfe der Bewegung?
Demos gegen RechtsextremismusWer die Köpfe der neuen Demokratiebewegung sind
Die Republik ist in Bewegung geraten. Auch am vergangenen Wochenende gingen bundesweit Hunderttausende gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Die Stärke dieser Proteste ist, dass sich auf ihnen Menschen unterschiedlicher politischer Ausrichtung zusammenfinden. Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Erfahrungen, in Großstädten und im ländlichen Raum. Wir stellen fünf von ihnen vor.
Christoph Bautz ist Geschäftsführer der Organisation Campact, die die Demonstrationen nicht nur in der Mobilisierung, sondern auch mit bisher rund 800.000 Euro unterstützt.Der 51-Jährige ist Demo- und Kampagnenprofi. Vor 20 Jahren hat er gemeinsam mit Mitstreitern die Kampagnenorganisation Campact gegründet und arbeitet seitdem als ihr Geschäftsführer. In diesen Jahren hat Bautz gelernt: „Wenn sich ein Fenster für gesellschaftliche Veränderungen öffnet, ist es wichtig, schnell handlungsfähig zu sein.“
„Durch die Correctiv-Recherchen ist ein Momentum entstanden, das durch Akteure wie Campact verstärkt wurde“, sagt er. Campacts Rolle ist dabei keine kleine. „Wir erreichen mit unserem Verteiler 3,5 Millionen Menschen, die wir aufrufen können, sich an Protesten zu beteiligen.“ Das Momentum dieser Wochen reiche aber nicht aus, meint Bautz. „Es geht jetzt darum, das zu verstetigen und zu schauen, dass wieder mehr handlungsfähige zivilgesellschaftliche Strukturen entstehen, Leute sich organisieren und den öffentlichen Raum nicht den Rechten und der AfD überlassen.“
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Er stellt klar: „Wir werden die AfD nicht allein mit Straßenprotesten zurückdrängen.“ Bautz sieht die demokratischen Parteien in der Pflicht, zu handeln. Die Demonstrationen seien eine Aufforderung dazu.
Luisa Neubauer, demoerfahrene Frontfrau der Klimabewegung Fridays for Future, hat am Samstag auf der Berliner Großkundgebung gesprochen.
Sie steht jetzt jedes Wochenende auf einer Bühne: erst in Berlin, dann in Hamburg, jetzt wieder in Berlin. Was die 27-Jährige von dort sieht, sei „eine geteilte Euphorie über den Gedanken, dass wir tatsächlich etwas gegen rechte Gefahren und Demokratiefeinde machen können“. Ähnlich wie bei den Klimaprotesten „sagen die Menschen: Die Welt ist schlecht, aber sie muss nicht so bleiben“.
Einstehen für Demokratie zentral für Klimabewegung
Fridays for Future ist in den vergangenen fünf Jahren zu einer bundesweit vernetzten Mobilisierungsmaschine geworden – und spielt jetzt eine zentrale Rolle dabei, die Proteste im ganzen Land zu etablieren. „Solche Proteste fallen aber nicht einfach vom Himmel“, erläutert Neubauer, „sondern dahinter steckt auch eine soziale Infrastruktur: Leute kennen sich, wissen, wie man Technik beschafft und Bühnen baut, wie man ein großes Plenum organisiert, wie man die Netzwerke erweitert und Redelisten organisiert. Fridays for Future ist einer der großen Akteure in diesem Land geworden, die diese soziale Infrastruktur mit am Leben gehalten haben. Eine lebendige Zivilgesellschaft zaubert man nicht herbei, das ist richtig harte Arbeit.“
Das Einstehen für Demokratie sei eine zentrale Aufgabe der Klimabewegung, sagt Neubauer: „Für uns hängt das eng zusammen. Wir werden gegen die Klimakrise nicht kämpfen können, wenn die Faschisten uns die Demokratie einreißen.“ Und auch, wenn die aktuelle Protestwelle einmal abebbt, wird etwas zurückbleiben. Da ist sich die 27-Jährige sicher. „Demonstrationen haben nicht nur einen Aufmerksamkeitseffekt, sondern auch einen Mobilisierungseffekt. Deswegen wird das ganz wichtig bleiben in diesem Jahr. Was wir gerade auf der Straße erleben, ist ein sehr mutiger Beginn in diesem sehr schwierigen Jahr.“
Düzen Tekkal, deutsch-jesidische Autorin und Gründerin der Bildungsinitiative GermanDream und der Menschenrechtsorganisation Hawar.help, unterstützt mit den beiden Organisationen die „Gemeinsam Hand in Hand“-Großkundgebung in Berlin. Auch sie hat auf der Kundgebung gesprochen.
Aus den Demonstrationen dieser Wochen könne etwas entstehen, sagt die 45-Jährige. Ihre Ansprüche sind hoch: „Wir müssen eine Vision entwickeln. Es reicht nicht, immer nur gegen die AfD zu sein. Es ist zu billig.“ Die Frage sei: „Was macht uns besser als die AfD?“ Seit Jahren arbeitet die in Hannover geborene Tochter jesidischer Eltern an dieser Vision. Nun sieht sie einen entscheidenden Moment gekommen. „Dieses Land will zu wenig“, sagt sie. „Jetzt aber geht es darum, welches Land wir sein wollen. Wir sind eine Einwanderungsgesellschaft, die uns auch vor Herausforderungen stellt, aber die auch unfassbaren Reichtum bedeutet.“
In Berlin hat sie vor drei Wochen schon einmal gesprochen, bei der ersten größeren Demo gegen den Rechtsruck. „Die Demonstrationen haben die sonst schweigende Mehrheit der Gesellschaft erreicht“, sagt sie. Nicht die Politikerinnen und Politiker, sondern die Zivilgesellschaft selbst müsse die Brandmauer sein gegen rechts.
Tekkal warnt aber auch: „Wir müssen die Spaltungsdynamiken in der Gesellschaft überwinden“, sagt sie und meint auch die neue Bewegung. Es gebe „Zerstörungskräfte aus allen Richtungen“, es werde versucht, „zu verunglimpfen, zu verunmöglichen, zu relativieren“. Sie fordert: „Es darf keinen Platz geben auf diesen Demos für Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und religiösen Extremismus. Wir müssen es schaffen, diesen großen gemeinsamen Nenner Demokratie aufrechtzuerhalten, von liberal bis säkular bis konservativ bis links. Jeder muss sich auch mit gemeint und mit abgeholt fühlen.“
Gerade die „bürgerlichen Kräfte“, die manchmal von den linken Ritualen auf den Demos abgeschreckt sind, müssten gehalten werden. Niemand dürfe sagen: „Die sind uns zu rechts, die haben hier nichts verloren. Dann haben wir wieder nicht verstanden, dass wir uns als Demokraten vereinen müssen. Ja, die Brandmauer gegen Rechtsextreme wurde insbesondere vom konservativen Milieu eingerissen, mit verheerenden Folgen. Aber jetzt brauchen wir die Kräfte aus den bürgerlichen Lagern, damit dieses breite Bündnis tragfähig ist in die nächsten Jahre hinein.“
Niclas Heins, Landesvorsitzender der Jungen Union Hamburg, will auch Konservative bei Demos gegen die AfD sehen. Am 10. Januar veröffentlichte Correctiv die Recherche über das Potsdamer Treffen mit AfD-Politikern und Rechtsextremen. Am Abend des 11. Januar demonstrierte Niclas Heins zusammen mit anderen vor der Hamburger Parteizentrale der AfD. Der 29-Jährige hat als JU-Landeschef in der Hansestadt die CDU-Jugend gemeinsam mit Jusos, Grüner Jugend und Jungliberalen zum Protest aufgerufen. „Ich glaube, jeder Demokrat war von der Berichterstattung von Correctiv erschrocken“, sagt Heins. „Gerade die bürgerliche Mitte ist aufgefordert, sich dem entgegenzustellen und die Demokratie gegen Verfassungsfeinde zu verteidigen.“
Er findet: „Auch Konservative sollten Teil der demokratischen Proteste gegen die AfD sein – gerade, weil die AfD immer wieder so tut, als wäre sie eine konservative Partei. Das ist sie aber nicht, sondern in großen Teilen rechtsextrem.“ Nicht alles, was bei den Protesten gegen die AfD zu sehen und zu hören ist, findet er richtig. „In Hamburg gab es auch Plakate, auf denen ‚Zionismus ist rechts‘ stand“, sagt Heins. So etwas habe auf den Demonstrationen nichts zu suchen. „Die Veranstalter sollten dafür sorgen, dass man sich auf das fokussiert, worum es wirklich geht.“
Angela Klier, Leiterin des Kompetenzzentrums für Gemeinwesenarbeit und Engagement, organisiert gemeinsam mit der Initiative Demokratisches Erzgebirge die Demonstration „Nie wieder ist jetzt“ in Aue-Bad Schlema. Die 62-Jährige hat im Erzgebirge schon alles an rechtsextremen Gruppierungen gesehen: die NPD, den III. Weg, die Freien Sachsen – oft mit denselben Akteuren. Aufgegeben hat sie nicht. „Ich versuche hier seit 2002 die Menschen zusammenzubringen, zu vernetzen und eine demokratische Front aufzubauen“ sagt sie. Die „Freien Sachsen“ seien „nicht die Mehrheit, und nicht alle, die dort mitlaufen, sind selber rechtsextrem“. Aber dennoch ist das Erzgebirge ein schwieriges Pflaster für politische Arbeit. „Viele Menschen hier sind einfach zurückhaltend. Ich frage mich dann immer: Wenn es hart auf hart kommt, wie wird sich diese schweigende Mitte entscheiden?“
Die ersten Antworten bekommt sie in diesen Tagen, und sie stimmen hoffnungsvoll. Obwohl die Freien Sachsen auch ihre Kundgebung zu unterwandern versuchen. Sie schrieb auf Facebook nur: „ Alle Menschen sind uns willkommen, die unsere Grundordnung, unser Grundgesetz achten.“
Was Klier besonders hoffnungsvoll stimmt: „Die großen Wohlfahrtsträger waren sofort dabei. Die evangelische und katholische Kirche auch. Das ist wichtig, weil viele Gemeinden seit Corona gespalten sind. Und es gibt hier Evangelikale, die offen die AfD bewerben. Es gibt Demokratiefeinde auf verschiedenen Ebenen im Erzgebirge. Und deswegen fand ich es aber so wichtig und so gut, dass sich Kirche und Wohlfahrtsträger hier für uns positionieren und Haltung zeigen.“ Ihr Fazit: „Es dreht sich gerade etwas.“