Superreiche leben in einer Parallelwelt. Sie befeuern die wirtschaftliche Ungleichheit und die ökologische Katastrophe. Warum regt sich kaum jemand auf?
Der schwimmende ExzessWenn Superreiche in See stechen
Ein Multimilliardär sorgt sich um seine Mitmenschen. Hollywoodmogul David Geffen schickte zu Beginn der Corona-Pandemie 2020 einen Instagram-Post hinaus in die Welt: „Sonnenuntergang gestern Abend ... isoliert in den Grenadinen, um dem Virus zu entgehen. Ich hoffe, alle sind in Sicherheit.“
Das Bild zeigte seine Superjacht „Rising Sun“ in der Karibik vor malerischer Inselkulisse. Anklang fand Geffen trotz seines offenkundigen Mitgefühls für den Rest der Menschheit nicht. Im Gegenteil: Er erntete einen heftigen Shitstorm.
Das könnte daran gelegen haben, dass die Mehrzahl der Instagram-Nutzer sich nicht wie er an Bord eines schwimmenden 138-Meter-Luxusdomizils begeben konnte, um dem Virus zu entkommen. Eine der freundlicheren und zudem noch konstruktiven Repliken lautete: Geffen solle seine Jacht der Stadt New York spenden, um sie als Krankenhaus nutzen zu lassen.
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Abgekoppelte Lebenswirklichkeit
Diese Anekdote erzählt nicht nur von der Instinktlosigkeit Geffens, sondern auch von der abgekoppelten Lebenswirklichkeit der Superreichen. Es handelt sich um eine exklusive Elite, über deren genauen Reichtum oft wenig bekannt ist. Diesen verbergen sie hinter Stiftungen, Offshore-Konten oder komplizierten Holdingstrukturen.
Keine Pandemie und kein Krieg kann den Superreichen etwas anhaben – es sei denn, man ist russischer Oligarch, taucht auf und hat seine Superjacht nicht rechtzeitig aus europäischen Gewässern holen lassen. So erging es dem Putin-Vertrauten Andrei Melnitschenko. Mit Blaulicht kreuzten italienische Behörden im März des Vorjahres im Hafen von Triest auf und setzten während eines Werftaufenthalts seine „Sailing Yacht A“ fest. Melnitschenko stand auf Sanktionslisten.
Für die meisten Milliardäre verliefen die vergangenen Jahre deutlich entspannter: Superreiche mehren ihren Besitz in Krisenzeiten. Die kapitalismuskritische Hilfsorganisation Oxfam hat nachgerechnet dass sie ihr Vermögen während der Corona-Krise zum Teil verdoppelten. Demnach kamen die immensen staatlichen Wirtschaftshilfen vorrangig jenen zugute, die von steigenden Aktienkursen profitierten. Das US-Magazin „Forbes“ verzeichnete in den beiden Pandemiejahren 573 neue Milliardäre.
Superreiche: Der Champagner ist aus
Für Superreiche ähnelte die Pandemie einem Goldrausch. Für viele Normalbegüterte brach jede finanzielle Sicherheit zusammen.
Das Auseinanderdriften von Reichen und Armen hatte Konsequenzen – auch für die Reichen: Im November 2022 meldete der Luxuskonzern LVMH, dass seine teuersten Champagnerflaschen zur Neige gingen. Topmarken würden knapp, die Produktion müsse angekurbelt werden.
Der Konzern LVMH, zu dem Edelmarken wie Louis Vuitton, Dior oder Tiffany gehören, generiert drei Viertel seiner Einnahmen bei den Superreichen. Und die müssen nicht schlecht schlafen, bloß weil Heizkosten oder Gemüsepreise sprunghaft ansteigen. LVMH-Chef Bernard Arnault eroberte im Vorjahr im Ranking der Multimilliardäre den ersten Platz – vor dem bis dahin führenden Tesla-Chef und potenziellen Mars-Eroberer Elon Musk.
Nun ließe sich einwenden, dass hier der Neid der Zukurzgekommenen spricht. Aber so einfach ist es nicht, wie das Beispiel der Superjachten zeigt. Der französische Soziologe und Politikwissenschaftler Grégory Salle hat darüber den angriffslustigen Essay „Superyachten. Luxus und Stille im Kapitalozän“ (Suhrkamp Verlag) verfasst. Er stellt erst einmal klar: „Eine Handvoll Superreicher amüsiert sich auf dem Meer – na und? Na und alles.“
„Exzess Kennzeichen unserer Zeit“
Für ihn sind die schwimmenden Paläste ein Symbol dafür, dass der „Exzess zum Kennzeichen unseres Zeitalters“ geworden ist. Er spricht von einer „unvertretbaren Vermögenskonzentration“ in einem „schwindelerregenden Ausmaß“. Die zumindest finanziell Glücklichen seien kaum mehr eingebunden in demokratische Entscheidungsprozesse. Sie machen ihr eigenes Ding.
Die Entwicklung materialisiert sich Salles Ansicht nach in eben jenen Superjachten. In der Pandemie hat der Markt der Superjachten einen ungeahnten Aufschwung erlebt. Werften mit dem nötigen Fachwissen verweisen potenzielle Kunden inzwischen auf die Warteliste.
Wo auch sonst kann man sich so angenehm distinguieren wie auf einem Schiff, siehe Geffens Karibiktrip. Schon vor Corona lagen nach Schätzungen bei der Monaco Yacht Show Schiffe im Wert von mehr als 4 Milliarden Dollar im Hafen. Es soll Jachten geben, bei denen aus den Duschen Champagner perlt. Einige Exemplare verfügen sogar über Raketenabwehrsysteme oder gleiten dank einer ausgeklügelten Spiegeltechnik beinahe unsichtbar über die Weltmeere.
Melnitschenkos in Triest konfiszierte „Sailing Yacht A“ gilt als die größte private Segeljacht mit einer Länge von 143 Metern – inklusive acht Decks, U-Boot und gläsernem Unterwasserobservatorium.
Für die Besitzer spielt es keine Rolle, wenn das Volltanken mal eben mit 1,5 Millionen Dollar veranschlagt wird. Die enormen Betriebskosten fallen weniger ins Gewicht, wenn das Schiff unter der Billigflagge der Bermudas oder der Cayman Inseln fährt. Dem verschärften europäischen CO2-Handel, gewissermaßen einer Klimasteuer, unterliegen Jachten genauso wenig wie Privatjets.
In den Jachten manifestiere sich, so Salle, all das, was unsere Epoche ausmache: „die rasante Zunahme wirtschaftlicher Ungleichheit, die Beschleunigung der ökologischen Katastrophe, der Fortbestand juristischer Ungerechtigkeit“.
Da verwundert es, wieso die Superreichen nicht längst schon auf der moralischen Anklagebank schmoren oder wenigstens schnurstracks zur Kasse gebeten werden – gerade was die durch sie verursachten Umweltkosten betrifft.
Das World Inequality Lab, eine Denkfabrik um den Ökonomen Thomas Piketty, hat Daten veröffentlicht, die die „taz“ für Deutschland heruntergebrochen hat: Demnach liegen die Emissionen der reichsten 0,001 Prozent in Deutschland bei etwa 11.700 Tonnen pro Kopf und Jahr – dem Tausendfachen des Durchschnittsdeutschen. Klar wird: Superreiche sind überdurchschnittlich beteiligt an der Zerstörung unseres Planeten.
Dennoch diskutieren wir vorrangig darüber, auf wie viel Grad das Wasser im städtischen Freibad erwärmt werden darf und welcher Heizungstyp im Einfamilienhaus künftig eingebaut werden soll. An den Pranger gestellt werden besorgte Klimakleber auf Autobahnen und nicht rücksichtslose Milliardäre hinter ihrer Teakholzreling.
Wie wäre es mit einer Klimasteuer für Reiche, orientiert am Vermögen? Im Sonnen- und Milliardärsstaat Kalifornien scheiterte so ein Plan – an einer von den Reichen selbst finanzierten Gegenkampagne. Das Thema bleibt aber auf dem Tisch. Und sollten die superreichen Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht ebenso CO2-Rechte für ihre dreckschleudernden Fortbewegungsmittel einkaufen müssen?
Vielleicht tut sich gerade etwas. Der Amsterdamer Flughafen Schiphol will Privatjets bis Ende 2025 von der Rollbahn verbannen. Ob andere Airports folgen? Bislang verhält es sich mit der Beliebtheit von Jets ähnlich wie mit jener von Jachten: Die Zahl der Privatflüge nimmt zu – auch auf Kurzstrecken wie zwischen Hamburg und Sylt. Von deutschen Flughäfen aus haben im Vorjahr so viele Privatmaschinen abgehoben wie nie zuvor.
Der Politologe Salle konstatiert: „Die Welt der Superreichen ist ein Paradebeispiel für einen atemberaubenden Taschenspielertrick: die Fähigkeit der Reichsten, sich von den gesellschaftlichen und umweltbezogenen Kosten zu befreien. In einer Meisterleistung wälzen sie diese Kosten auf die anderen gesellschaftlichen Gruppen ab, darunter auch auf die ärmsten.“
In seinem Buch zitiert Salle den zynischen Ausspruch eines Wirtschaftsanwalts: „Wenn der Rest der Welt erfährt, wie es ist, auf einer Jacht zu leben, wird man die Guillotine wieder hervorholen.“
Kapitalismussatire „Triangle of Sadness“
Zumindest im Kino wird diese Gerechtigkeitslücke in den Fokus gerückt. Dafür braucht es in der Kapitalismussatire „Triangle of Sadness“ keine Guillotine. Regisseur Ruben Östlund hat sich in seinem gepriesenen Kinofilm einen Spaß daraus gemacht, die ultrareichen Passagiere eines Luxustörns aus ihrer Komfortzone zu katapultieren.
Eben noch ließen sie sich auf ihrer Superjacht per Helikopter Nutella zum Frühstück einfliegen, schon verschlägt es sie nach einer Piratenattacke auf eine einsame Insel. Ganz oben in der sozialen Hierarchie findet sich plötzlich jemand von ganz unten: Allein die philippinische Toilettenfrau besitzt die Kenntnisse, um einen Oktopus fürs Abendessen zu fangen.
Empört fordern die eben noch Privilegierten Gerechtigkeit in ihrer kleinen Inselwelt. Sie haben vergessen, dass sie bis eben noch diejenigen waren, die auf Kosten der anderen lebten.