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„Für Kollegen schämen”: Corona-Aktion spaltet Schauspielwelt

Lesezeit 5 Minuten

Berlin – Die Videos sind nur wenige Minuten kurz und lassen viele doch ratlos zurück. Mehrere Schauspielerinnen und Schauspieler haben satirisch gemeinte Clips veröffentlicht - als Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung.

Darunter sind Namen, die Millionen aus dem Fernsehen kennen. Jan Josef Liefers, Ulrich Tukur, Volker Bruch, Ulrike Folkerts etwa. Nach einigen Stunden nehmen die ersten Beteiligten ihre Videos wieder runter - die Aktion stößt am Freitag auf viel Kritik.

Unter dem Motto #allesdichtmachen waren rund 50 Beiträge veröffentlicht worden, etwa auf der Plattform YouTube. Liefers bedankte sich in seinem Video - mit ironischem Unterton - „bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben”.

„Babylon Berlin”-Star Bruch sagt in seinem Satireclip, er appelliere an die Regierung: „Macht uns mehr Angst. Die Menschen im Land brauchen diese Angst jetzt.” Und Richy Müller atmet abwechselnd in zwei Tüten. „Wenn jeder die Zwei-Tüten-Atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr”, sagt er. „Also bleiben Sie gesund und unterstützen Sie die Corona-Maßnahmen.”

Etliche Kollegen reagieren empört. „Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben”, twitterte Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist. „Heute bisschen für Kollegen schämen”, schrieb Christian Ulmen bei Instagram. Elyas M'Barek kritisierte: „Mit Zynismus ist doch keinem geholfen.” Jeder wolle zur Normalität zurückkehren, und das werde auch passieren.

Satiriker Jan Böhmermann hielt der Aktion bei Twitter entgegen, das einzige Video, das man sich ansehen solle, „wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat”, sei die ARD-Doku aus der Berliner Charité mit den Titel „Station 43 – Sterben”. Dazu stellte er den Hashtag #allenichtganzdicht und einen weinenden Smiley.

Beifall gab es hingegen vom früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der die Aktion auf Twitter „großartig” nannte. Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sprach von einem „Meisterwerk”, das „uns sehr nachdenklich machen” sollte. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar twitterte: „Das ist intelligenter Protest.” Und auch der Verschwörungserzähler Attila Hildmann, der sich „ultrarechts” nennt, verbreitete die Aktion.

Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung distanzieren sich erste Teilnehmer von der Aktion. So verschwinden etwa Videos von Heike Makatsch, Trystan Pütter und Meret Becker von der YouTube-Seite. Kunst müsse Fragen stellen können, sagte „Tatort”-Star Becker später bei Instagram. „Aber diese Aktion ist nach hinten losgegangen.” Sie werde das Video runternehmen lassen. „Und ich entschuldige mich dafür, dass das falsch verstanden werden konnte.”

Sie lasse sich impfen, erklärte Becker, sie trage Maske, halte Abstand und lasse sich testen, wenn sie mit Menschen in Kontakt trete. Dass die Aktion instrumentalisiert werde von der rechten Seite, sei das Letzte, was sie gewollt habe. „Ich möchte auch nicht mit Aluhütchen oder dergleichen verglichen werden.”

Es sei eine vielleicht zu zynisch gestaltete Kunstaktion gewesen, sagte Becker. Und erklärt dann genauer, wo sie eigentlich Fragen aufwerfen wollte. Sie kritisiert etwa, in der Pandemie sei immer eine Tür für die Wirtschaft offengehalten worden. Die Theater seien zu, aber die Flieger voll. Menschen müssten zur Arbeit gehen, damit die Industrie weiterlaufe. „Wir hätten vielleicht mehr das sagen sollen, was eigentlich gemeint ist”, sagte Becker.

Sie habe das auch geäußert und gezweifelt. Die Kunstfreiheit oder das Infragestellen von Dingen hätten sie dann doch überzeugt mitzumachen. „Jetzt gibt's auf die Nase”, sagte Becker. Auch der beteiligte Schauspieler Ken Duken schrieb bei Instagram, er distanziere sich von rechtem Gedankengut. Er habe sich auch nicht über Opfer lustig machen wollen. „Ich befürworte sinnvolle Maßnahmen und eine Impfstrategie. Diese Aktion ist gründlich in die Hose gegangen.”

Im Impressum der Seite allesdichtmachen.de war der wenig bekannte Regisseur Bernd Wunder als verantwortlich genannt. Wunder sagte der dpa, er sei nicht der Initiator, sondern Teil einer großen Gruppe. Es gehe bei der Aktion darum, die Angemessenheit der Maßnahmen zu diskutieren. Auf seinem - inzwischen auf privat gestellten - Instagram-Account ist teils heftige Kritik gegen Corona-Maßnahmen zu finden, Befürworter werden „Coronazis” genannt. Dies würde er heute nicht mehr wiederholen, sagte Wunder.

Schauspieler Kida Khodr Ramadan („4 Blocks”) reagierte entsetzt. „Ey, ich mag euch Kollegen, immer noch”, sagte er bei Instagram. Aber sie sollten sich genau Gedanken machen. „Es sterben Menschen an dieser fucking Krankheit.” Er sei ebenfalls angefragt worden, habe aber ein schlechtes Gefühl dabei gehabt. Er sei von den „Erfindern der Aktion” nie aufgeklärt worden, was das solle.

Die Kunst- und Kulturszene leidet seit mehr als einem Jahr schwer unter den Corona-Maßnahmen. „Manche unserer Kolleg*innen haben sich an dieser Aktion beteiligt, manch andere verurteilen sie aufs Schärfste”, teilte etwa der Vorstand des Bundesverbands Schauspiel (BFFS) mit. Der Verband erinnerte unter anderem an Menschen, die im Krankenhaus arbeiten. Er verwies auch auf die Existenzängste, die auch Schauspieler derzeit hätten.

Bei Verständnis für die Lage von Künstlerinnen und Künstlern kam viel Kritik am Vorgehen der Prominenten auch aus der Politik. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hätte sich „deutlich mehr Empathie für die Menschen gewünscht, die vom Coronavirus betroffen sind oder im Gesundheitssystem harte Arbeit leisten”. Es gehe in dieser Naturkatastrophe um die Rettung von Menschenleben, „das dürfen wir nie vergessen”. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) machte den Initiatoren ein Dialogangebot.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke), auch Vorsitzender der Kulturministerkonferenz, sagte: „Zynismus und Hohn sind unangebracht.” Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD), wies darauf hin, die Kultur sei überproportional getroffen. „Ironie und Sarkasmus aber lösen diese aktuellen Widersprüche in die falsche Richtung auf und drohen zynisch zu wirken.” Zynismus könne nicht die richtige Haltung sein. Die Bundesregierung hält sich mit Bewertungen zurück.

© dpa-infocom, dpa:210422-99-317153/9 (dpa)