In den Stadien der Bundesliga ist er nicht mehr zu sehen. Jetzt hat Ex-Nationalspieler Christoph Kramer einen Roman geschrieben.
Christoph Kramer„Es fällt mir schwer, neue Freundschaften zu schließen“

Christoph Kramer spricht im Interview unter anderem über seinen Roman.
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Man kennt Christoph Kramer aus Fußballstadien oder als TV-Experte am Spielfeldrand. Dass er einmal in einem Verlagsgebäude anzutreffen sein wird, war kaum zu erwarten, bis im vergangenen Jahr publik wurde, dass der Weltmeister von 2014 an einem Roman arbeitet.
Nun sitzt der 34-Jährige als junger Schriftsteller im Haus von Kiepenheuer & Witsch in Köln in einem langgezogenen Konferenzraum, ein paar Exemplare seiner Sommergeschichte mit dem lilafarbenen Cover liegen auf dem Tisch, und Kramer strahlt sichtbare Freude über sein erstes Buch aus.
Herr Kramer, möchten Sie noch mal 15 Jahre alt sein?
Warum nicht? Ich habe zu jedem Zeitpunkt meines Lebens wirklich gerne gelebt. Und es ist ja wirklich viel passiert in meinem Leben.
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Würden Sie dann noch einmal 15 sein wollen mit den Erfahrungen von heute?
Das weiß ich nicht, ob ich das wollen würde. Ich hätte dann schon gern eine innere Gewissheit, dass alles noch einmal so geschieht, wie es passiert ist. Aber ich würde mich andererseits auch gern so wie früher nochmal in die Zeit stürzen, ohne mir großartige Gedanken zu machen.
In Ihrem ersten Roman, den Sie jetzt veröffentlichen, geht es um drei Tage im Leben eines 15-Jährigen mit erster Liebe, mit Ängsten und Freuden eines Heranwachsenden, Küssen, Pickeln und viel Freundschaft. Wenn Sie auf Ihre Zeit mit 15 zurückschauen, was überwiegt dann: die unendliche Freiheit von damals oder die Probleme, die Sie hatten?
Nur die Freiheit. Die Probleme, die ich da beschreibe, hatten damals zwar eine krasse Schwere für mich. Aber heute, und das ist das Schöne, kann ich darüber schmunzeln. Deswegen ist es in der Rückschau auf jeden Fall eine wundervolle Zeit mit endlosen Möglichkeiten.
Gehen Sie dank dieser Erfahrungen heute anders mit Problemen um, weil Sie sich sagen: Ich weiß, dass sich Probleme in der Gegenwart zwar schlimm anfühlen, aber in der Rückschau klein sein werden?
Das Mindset habe ich auf jeden Fall. Die Erlebnisse, die ich beschreibe, sind jetzt 19 Jahre her. Wenn ich in 19 Jahren wieder ein Buch über die Probleme schreibe, die ich heute habe, weiß ich schon jetzt, dass ich darüber schmunzeln werde. Klar, wir sprechen jetzt nicht über gesundheitliche oder richtig große Probleme.
Was bedeutet Freiheit für Sie?
Keine Sorgen zu haben. Da habe ich im Umfeld der Bundestagswahl schon gemerkt, dass sich in der Beziehung gerade etwas ändert. Mich treibt schon um, was mit unserem Land zurzeit passiert.
Was meinen Sie genau?
Wir haben in unserer Familie keine Probleme, und egal, was politisch entschieden wird, es träfe uns nicht als Erstes. Aber ich denke momentan viel über unsere Freiheit nach. Ich habe mir bis jetzt über die Freiheit in unserem Land nie Sorgen gemacht, weil sie selbstverständlich war. Jetzt komme ich aber an einen Punkt, an dem ich meine, die Regierung muss in den kommenden vier Jahren Erfolge erzielen, sodass wir in unserem Land wieder mehr Zufriedenheit spüren. Sonst stehen wir in vier Jahren an einem Punkt, an dem Freiheit vielleicht nichts Selbstverständliches mehr ist.
Als Fußballprofi erarbeitet man sich ja eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit. Ist die Freiheit mit dieser Sicherheit größer als die damals im Sommer vor 19 Jahren?
Sie sprechen es vollkommen richtig an: Ich habe mir natürlich durch meinen Beruf eine riesengroße Freiheit erarbeitet. Ich bin heute finanziell unabhängig, ich muss nicht arbeiten, ich kann mich nur mit Dingen beschäftigen, die mir wirklich Spaß bereiten. Das ist ein unsagbar großes Gut, das ich auch zu schätzen weiß. Und trotzdem: Die Freiheit von damals, mir morgens ein Poldi-Trikot überzuziehen, die Badehose einzupacken und einfach so in den Tag hineinzustiefeln, hat eine ganz andere Qualität. Die fehlt mir manchmal schon.
Wir kennen zahlreiche Bücher von Schauspielern oder Musikerinnen. Fußballprofis schreiben eher selten bis nie Romane. Was hat Sie dazu motiviert?
Ich mag das Genre, und ich wollte schon länger ein Buch schreiben. Natürlich hätte ich eine Biografie verfassen können oder irgendetwas über das WM-Finale 2014 …
… wo Sie nach einem Schultercheck des Argentiniers Ezequiel Garay nach einer halben Stunde ausgewechselt werden mussten …
… aber genau das alles ist ja oft genug erzählt, und solch ein Buch hätte ich als zu erwartbar empfunden. „Christoph Kramer im WM-Finale“ ist ja keine geile Geschichte mehr. Deswegen wollte ich in ein anderes Genre wechseln und über etwas anderes schreiben – eben die Geschichte des 15-jährigen Chris.
Nun heißt dieser Chris genau wie Sie, er ist ein Heranwachsender, der hofft, Fußballprofi zu werden, alles spielt in Solingen und Umgebung. Da erkennt man viele Parallelen zu Ihnen, aber es ist trotzdem ein Roman. Wie viel Wahrheit steckt in der Geschichte, was ist erfunden?
Die Story ist schon teilweise fiktiv. Die Gedanken und die Gefühlswelt, die darin verarbeitet sind, sind aber nahezu hundertprozentig meine.
Es gibt ein schönes Zitat des Dichters Jean Paul, das heißt: „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“. Wie war denn das Schreiben für Sie, das Abtauchen in die Vergangenheit?
Das Zitat kenne ich noch gar nicht, aber es trifft absolut zu. Ich habe ungefähr ein Dreivierteljahr an dem Roman geschrieben und fand es wunderschön, noch einmal in diese Zeit einzutauchen. Jetzt hoffe ich, dass das Buch beim Leser ähnliche Gefühle auslöst. Es spielen ja viele Momente eine Rolle – Sommer im Schwimmbad, der erste Kuss, die ersten Partys –, die die meisten Menschen auch kennen. Ich hoffe, dass dann beim Lesen diese Bilder, die jeder in sich trägt, wieder zurückkommen.
Haben Sie noch Bezüge zur Zeit damals in Ihrer Jugend?
Auf dem Dach der alten Scheune, das ich ja auch im Roman beschreibe, bin ich noch häufig. Ich mag die Felder und die Wälder dort, wo ich aufgewachsen bin. Das ist alles ein Stück Heimat für mich. Und wenn ich mal Zeit brauche oder einfach mal einen stressigen Tag hatte, fahre ich dorthin, gehe eine Runde spazieren, und fühle mich wohl dort. Heimat finde ich wichtig, es ist einfach entschlackend schön dort.
Gehen Sie auf Klassentreffen?
Ja! Wir haben im April unser 15-jähriges Abijubiläum. Unser zehnjähriges war wegen Corona ausgefallen. Klar gehe ich dahin, ich freue mich darauf. Wir waren ungefähr 100 Leute im Jahrgang und rund 80 habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Ich will allein schon wissen, wie die heute alle aussehen und ob ich sie noch erkenne.
Der Erzähler Chris in Ihrem Roman greift sich in schwierigen Momenten immer wieder einmal an seine Kreuzkette. Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ich glaube nicht im Sinne irgendeiner Religion, aber ich glaube an eine höhere Macht. Und bete auch. Aber das hat nichts mit Religion zu tun.
Haben Sie auch vor Spielen gebetet?
Ja auch. Ich bete regelmäßig, aber meistens bedanke ich mich dann, für das Leben zum Beispiel.
Wer schreibt, liest ja auch viel. Wie ist das bei Ihnen?
Ich lese auch gern, aber erst seit vier, fünf Jahren. Und auch nur Romane.
Welche Bücher haben Sie gern gelesen?
Sehr gerne Benedict Wells, der ist für mich ein Popstar.
Gab es Fußballkollegen, mit denen Sie sich über Literatur austauschen konnten?
Eher nicht. Auf längeren Busfahrten wird eher Mario Kart gespielt, als über Bücher gesprochen. Das mag es auch mal gegeben haben, aber es war eher selten ein Thema.
Ihre Hauptperson Chris fliegt im Roman aus der Jugendmannschaft von Bayer Leverkusen. Auch das ist eine Parallele zu Ihrem Leben. Sie beschreiben, wie sich damals die Trauer in Wut und Motivation verwandelt hat. Ist das ein Muster in Ihrem Leben?
Ja, und ich bin glücklich darüber. Denn diese Fähigkeit kann man sich nicht aussuchen. Ich bin froh, dass mich Niederschläge, Trauer, negative Erlebnisse eher antreiben, als dass sie mir den Stecker ziehen.
Traurig waren Sie auch, als Sie im vergangenen Sommer in einem Video den Abschied von Borussia Mönchengladbach bekannt gegeben haben. Hat sich seitdem diese Traurigkeit auch in Wut oder in Motivation umgewandelt?
Nein, eher in Frieden. Ich war zwar traurig, aber es war keine negative Trauer.
Sondern?
Die Trauer, dass etwas, das mein Leben war, zu Ende geht. Ich wusste ja, dass irgendwann der Tag kommt, im Leben hat alles seine Zeit, insofern war das auch vollkommen okay so. Ich war einfach traurig, dass ich nicht mehr jeden Tag zum Training, zu meinem Verein fahren kann.
Sie hatten sich nach Ihrem Abschied von Borussia Mönchengladbach verwundert gezeigt, dass im vergangenen Sommer kein Verein Interesse an Ihnen gezeigt hat. Sie wollten ja am Ende sogar ohne Gehalt spielen. Haben Sie eine Erklärung für dieses Desinteresse?
Nein. Deswegen hatte ich mich ja gewundert.
Aber Sie bleiben dem Fußball erhalten. Was reizt Sie für Ihre Zukunft mehr, Trainer oder Manager zu sein?
Also dann schon eher Trainer als Manager. Ich mache gerade meine Trainerlizenzen, und glaube, ich muss für meinen Seelenfrieden erst einmal als Trainer arbeiten.
Warum als Trainer?
Ich kann ja nicht im Fernsehen immer nur allen erklären, wie es besser geht, sondern muss es dann auch irgendwann besser machen. Erklären können viele.
Es gab in der Fußballwelt eine Riesendiskussion über die Entscheidung von Jürgen Klopp, als Global Head of Soccer zum Unternehmen Red Bull zu gehen. Ist das ein Schritt, den Sie nachvollziehen konnten?
Ich kann gar nicht sagen, ob Ja oder Nein, weil ich nicht in seinem Körper oder in seinem Kopf stecke. Am Ende würde ich meinen, wenn Jürgen Klopp zu irgendeinem Schluss kommt, dann wird er sich darüber mehr als einmal Gedanken gemacht haben. Wenn er sagt, er möchte den Schritt gehen, dann muss man das akzeptieren und respektieren. Natürlich kann jeder andere für sich sagen, er hätte nicht so gehandelt. Aber am Ende entscheidet doch der, der es macht.
Hinter der Debatte steckt ja auch die Rivalität zwischen den Traditionsvereinen und jüngeren Fußballklubs. Sie haben den Großteil Ihrer Karriere bei einem der bedeutendsten Traditionsvereine Deutschlands gespielt. Können Sie diese Diskussion zwischen diesen beiden Lagern nachvollziehen?
Klar kann ich die nachvollziehen. Als Fußballfan und Vereinsanhänger musst du es ja auch machen, es gehört zum guten Ton dazu. So wie du als Gladbacher Köln und als Kölner Gladbach verabscheuen musst. Aber wenn wir uns jetzt allen eine Flasche Wahrheit eingießen, dann wollen alle Kölner das Derby, und alle Gladbacher wollen es auch, weil es für beide Vereine das geilste Spiel überhaupt bedeutet.
Also drücken Sie den Kölnern die Daumen für den Aufstieg?
Ich will nächste Saison zum Derby gehen. Und ich kann doch nicht ernsthaft behaupten, in Köln ist die Stimmung schlecht, da ist nichts los. So wie ein Kölner nicht ernsthaft sagen kann, in Gladbach herrscht tote Hose.
Noch einmal zurück zu Ihrem Roman. Es geht darin auch viel um Freundschaft. Was bedeutet Ihnen Freundschaft?
Alles.
Ist es als Prominenter schwieriger, neue Freundschaften zu schließen? Etwa weil Sie immer befürchten müssen, die Person hat gar kein Interesse an Ihnen, sondern an nur an Ihrem Ruhm oder Geld?
Das denke ich überhaupt nicht. Aber ich merke, dass ich nicht gut darin bin, neue Menschen in mein Leben zu lassen. Es fällt mir schwer, neue Freundschaften zu schließen. Ich bin sehr froh über meine alten.
Als Experte sind Sie oft mit Ihrem ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Per Mertesacker zusammen, mit dem Sie sich auch gern auf lustige Weise zoffen. Verbindet Sie beide eine Freundschaft?
Voll! Er ist ein Freund von mir.
Dann ist das Zoffen ohne Risiko?
Er hat an einigen Stellen einfach andere Ansichten von Fußball als ich. Das ist auch okay. Ich probiere immer für meine Meinung einzustehen. Und natürlich ist das ohne Risiko, Per kann das ab. Manchmal schafft er es, vernünftig zu kontern. Und wenn er nicht kontern kann, dann guckt er halt wie ein totes Kamel (lacht). Aber wir mögen uns total.