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„Nie Verantwortung übernommen“Amthor geht bei „Hart aber fair“ auf Wagenknecht los

Lesezeit 6 Minuten
Philipp Amthor warf Sahra Wagenknecht bei „Hart aber fair“ vor, „Spuren der Verwüsstung“ in der Parteienlandschaft hinterlassen zu haben. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Philipp Amthor warf Sahra Wagenknecht bei „Hart aber fair“ vor, „Spuren der Verwüsstung“ in der Parteienlandschaft hinterlassen zu haben. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Warum waren die AfD und BSW bei den drei wichtigsten Landtagswahlen im Osten so stark? Bei „Hart aber fair“ wurde nach Antworten gesucht.

Mit der Wahl in Brandenburg sind die drei wichtigsten Landtagswahlen in Ostdeutschland vorüber. Wie in Thüringen und Sachsen fuhr die AfD ein starkes Ergebnis ein, und „am BSW führt kein Weg vorbei“, analysierte Louis Klamroth zu Beginn seiner „Hart aber fair“-Sendung (“Nach den Wahlen - wie zerrissen ist die Republik?“) die Lage. Und stellte - wie könnte es anders sein - die Warum-Frage.

„Man vertraut den alten Parteien nicht mehr“, antwortete Katharina Warda (Soziologin und Autorin). Beide Parteien bedienten im unterschiedlichsten Ausmaß rassistische und rechte Narrative, die im Osten seit den 90er-Jahren Tradition hätten: „Die sozialen Probleme im Osten werden gerne erklärt seitens der Politik über rassistische Narrative: Man müsste die Ausländer loswerden, dann bekommt die Oma mehr Rente.“ Dadurch würde ein falsches Feindbild produziert und Verantwortung verschoben. Man dürfe das Thema Migration nicht als Lösung für andere Probleme darstellen, warnte auch Schriftstellerin Juli Zeh. „Das sind zwei getrennte Sachverhalte. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass es Kausalität gibt.“

Louis Klamroth (Mitte) diskutierte mit seinen Gästen zum Thema: „Nach den Wahlen - wie zerrissen ist die Republik?“ (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Louis Klamroth (Mitte) diskutierte mit seinen Gästen zum Thema: „Nach den Wahlen - wie zerrissen ist die Republik?“ (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Will man dem Applaus glauben, sah das Studiopublikum dies ähnlich. Empört hingegen reagierte Sahra Wagenknecht: „Dass wir plötzlich eine Begeisterung für Rassisten entfaltet haben sollen, ist erstaunlich“, wies sie von sich, was Warda hier „vom Stapel ließ“. Solche Debatten hätten die AfD stärker gemacht. „Wenn man die als Rassisten diffamiert, die sagen, man muss unkontrollierte Migration reduzieren und Einwanderung stoppen, diffamiert man größten Teil der Bevölkerung als Rassisten“, konterte sie. Das „Narrativ“ der „naiven Willkommenskultur“ hätte vermittelt, es gäbe keine Probleme.

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Montagsdemo-Mitorganisatorin: „Wir haben Angst vor der Zukunft“

„Jetzt habe ich fünfmal das Wort Narrativ gehört“, lenkte Klamroth den Fokus vom ARD-Studio nach Dahme/Mark in Brandenburg. Dort hatte sich der Moderator wieder einmal unters Volk begeben und eine Montagsdemonstration besucht. „Wir demonstrieren, um zu zeigen, dass wir hier Probleme haben. Es muss sich etwas ändern“, forderte Fleischereifachverkäuferin und Mitorganisatorin Doreen Lorsch. Ihre Sorgen würden zu wenig aufgegriffen und dann ins rechte Eck geschoben. „Das hat die Leute geärgert und zusätzlich wütend gemacht“, wusste sie und fügte hinzu: „Man fühlt sich vergessen.“

Die letzten Worte gingen Klamroth offenbar nicht aus dem Kopf. Was sie damit meinte, fragte Lorsch am Montag in der Live-Sendung: „Es geht dort oben in der Politik immer um Migration, das Problem aber besteht schon länger“, sprach sie von vielen Herausforderungen. Zwei Dörfer weiter hätten sowohl der Fleischer, der Bäcker, der Konsum, die Bank wie auch der Blumenladen zusperren müssen. „Wir haben Angst vor der Zukunft“, wurde die Fleischereifachverkäuferin emotional, „wir haben Angst, wo die Reise hingeht und dass man uns vergisst“.

Doreen Lorsch, Fleischereifachverkäuferin aus Brandenburg, klagte im Gespräch mit Louis Klamroth: „Man fühlt sich vergessen.“ (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Doreen Lorsch, Fleischereifachverkäuferin aus Brandenburg, klagte im Gespräch mit Louis Klamroth: „Man fühlt sich vergessen.“ (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

„Sie haben das wahnsinnig freundlich formuliert“, kannte Zeh aus ihrer dörflichen Brandenburger Nachbarschaft deutlich „griffigere Sätze“. Einerseits fühlten sich Menschen in strukturschwachen Regionen bei Entscheidungen vergessen, andererseits stünden insbesondere die Grünen inzwischen „metaphorisch“ für einen übergriffigen Staat: „Wenn es darum geht, Probleme zu lösen, sollen wir die private Sphäre ändern und Verantwortung zur Weltenrettung beitragen“, schilderte sie die Wahrnehmung der Menschen: „Dieser Zweiklang erzeugt einen kreischenden Störton im Ohr und ist ein Grund für die Aggression gegen 'die da oben'.“

Amthor zu Wagenknecht: „Sie haben in der Parteienlandschaft Spuren der Verwüstung hinterlassen“

Die SPD (in der Talkshow vertreten durch Generalsekretär Kevin Kühnert) war zumindest diesmal etwas aus dem Schneider, hatte doch der örtlichen Landtagsabgeordnete Erik Stohn das Gespräch mit den Montagsdemonstranten in Dahme/Mark bereits gesucht. Die CDU hingegen hätte das bisher nicht getan, machte die frühere CDU-Wählerin Lorsch aus der Enttäuschung keinen Hehl.

„Wenn sich kein Brandenburger Kollege findet, komme ich selbst vorbei“, wollte das Philipp Amthor (CDU, Bundestagsabgeordneter) nicht im Raum stehen lassen. Für Klamroth war das eine willkommene Gelegenheit: „Wenn Amthor vorbeikommt, ruf an, dann kommen wir auch wieder vorbei“, bat er Doreen Lorsch.

Bei „Hart aber fair“ verhedderten sich die Gäste mal wieder im Thema Migration, von links: Juli Zeh, Philipp Amthor, Sahra Wagenknecht und Moderator Louis Klamroth. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Bei „Hart aber fair“ verhedderten sich die Gäste mal wieder im Thema Migration, von links: Juli Zeh, Philipp Amthor, Sahra Wagenknecht und Moderator Louis Klamroth. (Bild: WDR / Oliver Ziebe)

Die CDU wäre jedenfalls um Aufarbeitung von Fehlern bemüht, lenkte Amthor ein. Man dürfte allerdings nicht nur ein „schwarz-weißes Zerrbild zeichnen“, fand Kevin Kühnert deutliche Worte, nach dem Motto: „Das ist die Gesamtscheiße in diesem Land, deshalb stinkt es.“ Niemand müsse sagen, dass alles „tutti“ sei in Deutschland. Doch die Politik hätte in vielen Bereichen schon viel gemacht, verwies er auf Einkommensarbeit und den Rentenwert.

„Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten 20 Jahren zum Nachteil der Bevölkerung verändert“, widersprach Sahra Wagenkecht. „Das kann man pauschal nicht sagen“, stimmte dem Kühnert nicht zu. Als die Parteigründerin Probleme wie wachsende Ungleichheiten aufzählte, eskalierte das Wortgefecht zwischen den beiden Politikern. Klamroth war das offenbar nicht genug, er holte auch noch Philipp Amthor in die Schlacht (“Sie haben viel genickt. Bei dem, was Frau Wagenknecht gesagt haben. Jetzt hart mit dem Kopf geschüttelt. Warum?“).

Der ließ sich das nicht zweimal sagen: Sahra Wagenknecht hätte in 20 Jahren Politik nicht ein Gesetz durchgebracht, nutzte der seine Chance. „Sie haben in der Parteienlandschaft Spuren der Verwüstung hinterlassen. Eine Partei nach der nächsten - das ist die Wahrheit.“ Dass Wagenknecht fast 30 Jahre einer Partei angehört hätte, bestätigte für ihn nur seine Aussage: „Und nie Verantwortung übernommen. Es ist einfach zu sagen, alles ist schlecht gelaufen in diesem Land. Wenn Sie Verantwortung übernehmen, haben wir auch schlaue Kommentare“, klang seine Kritik fast wie ein Versprechen.

Amthor verweist spöttisch auf Wagenknechts Ehemann

Er könnte es bald wahrmachen, schließlich steht in Sachsen und Thüringen die CDU und in Brandenburg die SPD vor der Herausforderung, mit dem BSW eine Koalition zu bilden. Während bei einigen Themen die Positionen deckungsgleich wären, zitierte Kühnert den SPD-Ministerpräsident des Landes Brandenburg Dietmar Woidke: Dieser hätte klar gesagt, „die Landesregierung hat bisher kein Außenministerium und Verteidigungsministerium und das wird auch in der nächsten Landesregierung nicht passieren.“ Genauso unwahrscheinlich wären Waffenlieferungen an die Ukraine, und „auch keine Friedenskonferenz im Potsdamer Landtag, zu der Wladimir Putin anreisen wird“.

Sahra Wagenknecht sah das anders: „Die Landesregierung kann und muss Position beziehen, wenn zwei Drittel der Menschen im Osten große Sorgen haben“, verwies sie darauf, dass eine Einbeziehung der Landesregierungen in die Außenpolitik in der deutschen Verfassung verankert wäre. „Da sind Sie aber tief in die Geschäfte der Bundesregierung reingegangen, um diesen Kniff rauszufinden“, kommentierte Kühnert erstaunt. „In der Verfassung steht es auch nicht“, zeigte sich Amthor ebenfalls überrascht von Wagenknechts „neuer Rolle als Verfassungsexpertin“. In Deutschland hätte man gute Erfahrungen gemacht, keine „Neben-Außenpolitik“ aus dem Landtag heraus zu betreiben.

Dann zitierte der CDU-Mann ein „historisches Beispiel“, bei dem es persönlich wurde: „Als Helmut Kohl 1989/90 die Wiedervereinigung verhandelt hat, da bin ich froh, dass nicht Ihr Ehemann Oskar Lafontaine aus dem Saarland als Ministerpräsident gefragt wurde. Dann hätten wir heute noch eine Mauer zwischen Ost und West.“ (tsch)