Thomas Kundt ist Tatortreiniger. In unserer Serie „Wie es ist“ erzählt der 44-Jährige, wie es ist, täglich mit dem Tod konfrontiert zu sein.
Wie es ist, Tatortreiniger zu sein„Ich treffe Menschen in ihren verwundbarsten Augenblicken“
- In unserer Serie „Wie es ist“ erzählen Menschen von einem außergewöhnlichen Schritt in ihrem Leben, einem außergewöhnlichen Hobby, einer Eigenschaft oder einem Beruf.
- In dieser Folge: Thomas Kundt, Desinfektor, Tatortreiniger und Autor.
„Hallo, ich bin der Tatortreiniger, ich muss hier heute sauber machen“, sage ich in jeder neuen Wohnung, wenn ich sie betrete. In den Händen trage ich dann allerlei Reinigungsmittel, doch dieser Satz, diese Begrüßung, ist Teil meines Mittels, um mit der Situation umzugehen. Andere Tatortreinigerinnen und Tatortreiniger hören Musik bei der Arbeit. Das kann ich nicht, ich bin Gefühlsmensch. Jedes Lied wäre automatisch mit diesem Leichenfundort, mit dem Schicksal, das er widerspiegelt, verknüpft. Ich könnte nie wieder Radio hören.
Stattdessen lasse ich meine Gedanken kreisen, während ich Blut und Leichenflüssigkeit wegwische, Maden entferne, Boden erneuere, Gerüche neutralisiere und den gesamten Raum desinfiziere. Ich lasse die Gedanken zu, die Bedrückung, die Betroffenheit, die Fragen. „In welcher Gesellschaft leben wir, in der Menschen einsam sterben?“, frage ich mich häufig. Teilweise muss bei Leichenfunden zunächst geklärt werden, ob es überhaupt Angehörige gibt, bevor Erbe und Nachlass geregelt werden können. Das ist hart.
Wenn es Angehörige gibt, macht das genauso betroffen. Ich treffe Menschen in einer ihrer verwundbarsten Augenblicke und sehe immer menschliche Schicksale. Es gibt Kunden, die schreiben mir jedes Jahr zu Weihnachten eine Karte. Sie denken an mich und sind dankbar, für das, was ich gemacht habe. Das habe ich vorher nicht gedacht, und es macht etwas mit einem.
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Ich erfahre die intimsten Geheimnisse der Menschen, ich erfahre und sehe Sachen, die selbst die Angehörigen bisher nie gesehen und gewusst habe. Das sind Geheimnisse, die ich wieder mitnehme und nicht verrate. Ich gehe nicht zu den Angehörigen hin und sage „Übrigens hat ihr Bruder Kacke in Gläsern gesammelt“. Ich denke, die Hinterbliebenen haben ein Recht darauf, den Angehörigen so in Erinnerung zu bleiben, wie sie sie kannten.
Täglicher Umgang mit dem Tod
Wenn ich eine Wohnung dann nach Stunden, Tagen, Wochen, teilweise Monaten verlasse, mein Job getan ist, verabschiede ich mich. Mit diesem Verabschieden schließe ich ein Stück weit ab, lasse das Schicksal ein kleines Stück aus dem Kopf heraus.
Das ist wichtig für mich, um mit der Situation umzugehen. Das muss man können, wenn man Tatorte als Beruf reinigt, wenn man jeden Tag mit dem Tod konfrontiert ist. Ich bin davon überzeugt, dass Pessimistinnen und Pessimisten, Menschen, die negativ durchs Leben gehen, den Job nicht machen sollten. Ich bin eine Frohnatur, ein lebensbejahender Mensch und ich glaube, das ist sehr wichtig.
Ich bin extrem dankbar für meinen Beruf, meine Berufung. Vorher habe ich als Finanzdienstleister gearbeitet, habe Schlips und Kragen getragen. Ich hätte mir niemals vorstellen können, diesen Job zu machen. Damals habe ich mich für alte Dinge interessiert, habe dann einmal aus der Wohnung eines verstorbenen Großvaters einen alten Schrank geholt. Ein befreundeter Polizist meinte dann, wenn ich kein Problem habe, in Wohnungen hineinzugehen, wo Leute gestorben sind, wäre vielleicht Tatortreinigung etwas für mich.
Intensiv Arbeiten, intensive Freizeit
Dann nahm dieses Spiel seinen Lauf, ich habe mich erkundigt und dafür interessiert. Als der erste Tatort kam, stand ich bedeppert da, habe mir eigentlich gesagt, das mache ich nie wieder. Daraus sind fast zehn Jahre geworden, ich habe mich total verändert, bin mit dem Beruf gewachsen. Es gab früher im Vertrieb das Motto „Intensiv arbeiten, intensive Freizeit“. Also wenn du gute Umsätze machst, dann verdienst du gut Geld und kannst dir eine tolle Freizeit machen. Dann kannst du dir ein tolles Hotel leisten und ein tolles Auto ...
Ich sehe mittlerweile, dass intensiv arbeiten und intensive Freizeit sehr wertvoll sind. Ich arbeite wirklich sehr intensiv, tagtäglich, aber mein Verständnis von intensiver Freizeit hat sich verändert. Das ist für mich die Zeit, die ich nutzen kann, um Sachen mit meinem Sohn zu unternehmen, mit Freunden zusammen zu sein, mit Familie Zeit zu verbringen, schöne Augenblicke zu haben. Diese Zeit genieße ich umso mehr, weil ich täglich sehe, dass sich das Leben von einer Sekunde auf die andere komplett ändern oder vorbei sein kann...
Um mit Vorurteilen aufzuräumen, interessante, skurrile Geschichten vom Tatort zu erzählen und mit den Schicksalen selbst umgehen zu können, hat Thomas Kundt mit Tarkan Bagci das Buch „Nach dem Tod komm ich“ geschrieben. 2023 geht er zudem zum zweiten Mal auf Tour. „Ich möchte eine soziale Botschaft senden, vermitteln, was ein Tatortreiniger tagtäglich erlebt“, sagt Kundt über seine Tour. „Es wird auch den einen oder anderen Augenblick geben, wo man einen Kloß im Hals hat. Am Ende des Tages sollen die Leute sich unterhalten fühlen“. Nach Köln kommt er mit der „Was am Ende bleibt“-Tour am 2. Mai ins Theater am Tanzbrunnen.
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Alle Eingaben werden vertraulich und anonymisiert behandelt. Es gilt unsere Datenschutzerklärung. Weitere Hinweise kommen den Gewinnern mit der Gewinnbenachrichtigung zu. Das Gewinnspiel endet am 26. April 2023 um 12 Uhr.
Veranstalter des Gewinnspiels ist die M. DuMont Schauberg Expedition der Kölnischen Zeitung GmbH & Co. KG. Bei einer Teilnahme gelten unsere AGB für Gewinnspiele als akzeptiert. Die Gewinner werden per E-Mail benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.