Während die russischen Behörden ihr makaberes Versteckspiel um Nawalnys Leichnam fortsetzen, kommen neue Informationen ans Licht.
Putins höhnisches SignalNeue Details zu Nawalnys Tod sprechen für Vertuschung des Kreml
Nach dem Tod von Kremlkritiker Alexej Nawalny gibt es immer mehr Ungereimtheiten, die der bisher veröffentlichten Darstellung der russischen Behörden widersprechen – und auf eine gezielte Tötung des Oppositionspolitikers hindeuten. Die russischen Behörden weigern sich derweil weiterhin, die Leiche Nawalnys an seine Angehörigen zu übergeben. Mindestens 14 Tage soll der Körper des Kremlkritikers nach Angaben von Nawalnys Team unter Verschluss bleiben.
„Die Ermittler haben den Anwälten und der Mutter von Alexej gesagt, dass sie die Leiche nicht herausgeben“, schrieb Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch am Montag auf X (vormals Twitter). Als Grund seien „chemische Untersuchungen“ genannt worden, die am Toten vorgenommen werden sollen.
Jarmysch nannte die Angaben der Behörden eine „offensichtliche Lüge und ein Hohn“, die Leiche Nawalnys werde bewusst versteckt, „um Spuren des Mordes zu verbergen“, führte sie aus.
Russischer Geheimdienst vor Nawalnys Tod in Straflager aufgetaucht
Tatsächlich mehren sich die Zweifel an den Behauptungen des Kremls. So berichtete die russische Menschenrechtsorganisation „Gulagu.net“, die sich der Bekämpfung von Korruption und Folter verschrieben hat, bereits zwei Tage vor dem Tod Nawalnys seien Mitarbeiter des russischen Inlandsgeheimdienst FSB in der Haftanstalt „Polarwolf“ gesichtet worden.
„Es besteht Grund zur Annahme, dass Wanzen und versteckte Kameras ausgeschaltet und demontiert wurden“, schreibt die 2011 vom russischen Menschenrechtsaktivisten Wladimir Osechkin gegründete Organisation.
Mithäftling von Alexej Nawalny schildert „unverständliche Aufregung“ am Vorabend
Zuvor hatte bereits ein Bericht der „Nowaja Gaseta Europa“ für erhebliche Zweifel an der Version der russischen Behörden gesorgt. Demnach habe bereits am Vorabend von Nawalnys offiziellem Todestag eine „unverständliche Aufregung“ in der Strafkolonie Nummer 3 in Jamal geherrscht, schilderte ein Häftling des Gefängnisses der russischen Zeitung.
Die Gefangenen seien „in den Baracken eingesperrt“ und die „Sicherheit verstärkt“ worden, schilderte der Häftling seine Beobachtungen vom Abend des 15. Februars. Zudem seien am späten Abend und in der Nacht mehrmals Autos über das Gelände der Haftanstalt gefahren, zitierte die „Nowaja Gaseta Europa“ den Häftling weiter.
„Ich denke, dass Nawalny viel früher gestorben ist, als bekannt gegeben wurde“
Die ungewöhnlichen Aktivitäten hätten sich schließlich am nächsten Morgen fortgesetzt, schilderte der Mann. Gegenstände der Häftlinge seien beschlagnahmt worden, so wie es vor „Inspektionen“ üblich sei. Normalerweise würden die Häftlinge über derartige Kontrollbesuch jedoch bereits Wochen im Voraus informiert, da auch die Haftanstalt kein Interesse an negativen Vorfällen habe. Diesmal habe es jedoch keinerlei Informationen über eine bevorstehende Inspektion gegeben, erklärte der Häftling.
Gegen zehn Uhr am Freitagmorgen sei der Tod Nawalnys schließlich in der Haftanstalt bekannt geworden, Krankenwagen seien jedoch erst viel später auf dem Gelände gesichtet worden, schilderte der Mann weiter. „Ich denke, dass Nawalny viel früher gestorben ist, als bekannt gegeben wurde“, der russische Oppositionelle sei „höchstwahrscheinlich“ bereits in der Nacht gestorben, vermutet der Mithäftling des Kremlkritikers.
Chronologie spricht für geplante Aktion russischer Behörden
Die Menschenrechtsaktivisten von „Gulagu.net“ weisen unterdessen auf weitere Ungereimtheiten beim von den Behörden geschilderten zeitlichen Ablauf an Nawalnys angeblichem Todestag hin. So gebe die Justiz den Zeitpunkt des Todes für 14.17 Uhr Ortszeit an. Bereits zwei Minuten später sei jedoch eine vorbereitete Pressemitteilung auf der offiziellen Webseite der Justiz veröffentlicht worden, in der erste Details zu dem „Spaziergang“ genannt wurden, den Nawalny kurz vor seinem Tod unternommen haben soll.
Um 14.20 Uhr folgten demnach erste Berichte der staatlichen Agenturen Ria und Tass – und lediglich sechs Minuten nach dem angeblichen Todeszeitpunkt sei beim Propaganda-Sender „RT“ bereits die Rede von einem „Blutgerinnsel“ als Todesursache gewesen. Wenig später habe sich dann auch Kremlsprecher Dmitri Peskow zu Nawalny geäußert.
„Natürlich werden Putin und seine Handlanger alles leugnen“
„Dieses schnelle Timing kann nur eines bedeuten: Alles wurde im Voraus geplant und vereinbart, bis hin zur Pressemitteilung“, schlussfolgern die Menschenrechtsaktivisten. „Jede Minute, Sekunde für Sekunde“, sei vom russischen Geheimdienst FSB „auf Befehl eines Mörders und Diktators“ geplant worden, hieß es weiter. „Natürlich werden Putin und seine Handlanger alles leugnen.“
Auch zum Verbleib der Leiche des Kremlkritikers bleiben weiterhin einige Fragen offen. So berichtet das oppositionelle Onlineportal „Mediazona“ über einen Konvoi der russischen Gefängnisaufsicht, der in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar vom Gefängnis in Charp in die Stadt Salechard gefahren sei. Die Journalisten gehen davon aus, dass Nawalnys Leiche von der langsam fahrenden Kolonne, die auf Videoaufzeichnungen zu sehen ist, transportiert wurde. Seitdem verliert sich die Spur des Leichnams jedoch.
Nächtlicher Konvoi nahe Straflager: Wo ist Nawalnys Leiche?
Ein Mitarbeiter des örtlichen Notfalldienstes schilderte der „Nowaja Gaseta Europa“ am Sonntag derweil, der Körper Nawalnys weise blaue Flecken und ein als Folge von Herzmassagen typisches Hämatom auf der Brust auf. Eine Obduktion soll demnach zumindest bis zum Sonntag nicht stattgefunden haben. Selbst gesehen hat der Mann die Leiche eigenen Angaben zufolge nicht, die Informationen stammen offenbar von einem Kollegen. Die russischen Journalisten hielten die Schilderungen jedoch für glaubhaft.
Die Vereinten Nationen und der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatten zuletzt eine unabhängige Obduktion von Nawalnys Leichnam gefordert. Dass Russland eine solche Untersuchung zulässt, gilt allerdings als nahezu ausgeschlossen. Der Kreml zeigte sich am Wochenende erbost über Mordvorwürfe gegenüber der russischen Regierung.
Julija Nawalnaja will Kampf ihres Mannes fortführen
Kremlchef Wladimir Putin schweigt unterdessen weiterhin zum Tod seines schärfsten Kritikers, auch zu den spontanen Gedenkveranstaltungen in Russland äußert sich der Kremlchef, der bei den im März anstehenden „Wahlen“ in Russland ohne ernstzunehmende Konkurrenz ins Rennen geht, bisher nicht. 27 EU-Staaten machen den Kremlchef unterdessen für den Tod Nawalnys verantwortlich.
Auch Nawalnys Team ist sich sicher, dass der Kremlkritiker gezielt auf Befehl des russischen Diktators ermordet wurde. Sie wisse genau, warum Putin ihren Mann getötet habe, erklärte Nawalnys Frau Julija am Montag – und kündigte an, bald über die Hintergründe berichten zu wollen.
Wladimir Putin schweigt – und befördert Vizechef der Gefängnisbehörde
Die „Namen und Gesichter“ der Täter werde man herausfinden, versprach Nawalnaja in einer Videobotschaft zudem und kündigte an, den politischen Kampf ihres Mannes fortsetzen zu wollen. „Ich fürchte mich nicht – fürchtet ihr auch nichts“, zitierte sie Worte, die bereits ihr Mann seinen Landsleuten stets mit auf den Weg gegeben hatte.
Am Dienstag folgte dann aber doch noch Regungen des Kremlchefs, die als indirekte Kommentare zu Nawalnys Tod verstanden werden können. Die Ankündigung von Julija Nawalnaja habe Putin sich nicht angeschaut, teilte Kremlsprecher Peskow mit. Der Kremlchef nutzte seine Zeit offenbar lieber dafür, den stellvertretenden Leiter der russischen Gefängnisbehörde, Waleri Bojarinew, für seine „Verdienste“ auszuzeichnen, berichtete die russische Staatsagentur Ria unterdessen.
„Bojarinew erhält drei Tage nach Putins Mord an Nawalny den Rang eines Generaloberst“, schrieb Nawalnys Wegbegleiter Ivan Zhdanov bei X – und sprach von einer „persönlichen Auszeichnung für Folter und Mord“ für den Behördenchef, „der die Folterung von Alexej Nawalny überwachte“. Es ist ein Signal des Hohns, das Putin an diesem Dienstag sendet.