Der Tod Nawalnys sei ein „Zeichen der Schwäche“ Putins, finden Olaf Scholz und Emmanuel Macron. Dafür spricht allerdings nichts.
Kommentar zu Russlands Präsident und Nawalnys TodEin Zeichen der Schwäche – aber nicht von Putin
Kaum kursierte die Nachricht vom Tod Alexej Nawalnys, war man sich im Westen schnell einig. Ob Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron oder US-Außenminister Antony Blinken: Sie alle erklärten den von Menschenrechtlern als Mord bezeichneten Tod des Kremlkritikers zum „Zeichen der Schwäche“ Wladimir Putins und seines Regimes.
Das klingt zwar gut und irgendwie danach, als würde der Kremlchef aus Verzweiflung über eine drohende Niederlage seine Konkurrenz verschwinden lassen, dürfte mit der Realität jedoch nur wenig zu tun haben.
Putin sieht sich in einer Position der Stärke
Es sind vielmehr Deutungen aus der Vergangenheit, aus Zeiten, in denen man sich im Westen gerne eingeredet hat, Russland und insbesondere Putin seien ja gar nicht so schlimm und dass man auch Verständnis für Moskaus Befindlichkeiten aufbringen müsse. Es waren die selbstbetrügerischen „Wandel durch Handel“-Zeiten, die Putin zur Vorbereitung seiner Kriegspläne dienten. Mittlerweile sollte man in westlichen Hauptstädten ein besseres Verständnis des Kremlchefs haben.
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Denn Putin, das zeigt nicht erst der Tod seines prominentesten Kritikers, sieht sich ganz offensichtlich in einer Position der Stärke. Seine Botschaften könnten seit Wochen klarer kaum sein: Da war die Ausdehnung seines absurden Nazi-Vorwurfs auf das Baltikum, die Forderung nach weiteren Eroberungen in der Ukraine und sein Besuch beim vielsagend benannten Forum „Alles für den Sieg“.
Nawalnys Tod ist blanker Hohn des Kremlchefs
Den im Westen populären Oppositionellen unter erbärmlichen Haftbedingungen sterben zu lassen, während die Ukraine-Unterstützer sich zur Sicherheitskonferenz in München einfanden, ist nicht weniger als blanker Hohn des Kremlchefs.
Und so folgte schließlich noch am Wochenende die nächste eindeutige Botschaft. Für Russland sei der Krieg gegen die Ukraine eine Frage von „Leben und Tod“, eine Schicksalsfrage, beteuerte Putin – und ließ damit erneut keinen Spielraum für friedliche Lösungen. Am Dienstag beförderte Putin dann den stellvertretenden Chef der russischen Gefängnisbehörde, auch das ist blanker Hohn.
Parallel ließ der Kremlchef mal wieder seinen notorischen Propaganda-Pöbler Dmitri Medwedew von der Kette. Der ehemalige russische Präsident und nunmehrige Sicherheitsratsvize verlieh Putins Ansprüchen auf gewohnt schrille Weise Nachdruck: Sollte Russland die bisher eroberten Gebiete wieder verlieren, werde man mit Atomschlägen gegen Deutschland, Großbritannien und die Ukraine reagieren, polterte Medwedew also mal wieder los.
Atomdrohungen und Schicksalskrieg: Klare Signale aus Moskau
Entspannter wurde der Tonfall nicht mehr: Auch in Berlin seien „Nazis“ an der Macht, behauptete Medwedew schließlich. Das am Freitag kurz vor Nawalnys Tod unterschriebene Abkommen über eine fortdauernde Sicherheitskooperation zwischen Berlin und Kiew sei bloß ein „neues Bündnis der Nazis mit Bandera“, führte der enge Vertraute Putins aus. Man habe die Worte „zur Kenntnis genommen“, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit dazu am Montag.
Nicht bloß zur Kenntnis genommen hat man derweil hoffentlich die deutlichen Worte, die vom Baltikum zu Wochenbeginn an die westlichen Partner geschickt worden sind: „Ich wähle die höflichsten Worte, die ich wählen kann“, erklärte der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis gegen Ende der Münchner Sicherheitskonferenz mit Blick auf die „Naivität“ manch anderer anwesender Politiker.
Bedrohtes Baltikum: „Putin hat nicht die Absicht aufzuhören“
„Putin hat nicht die Absicht, aufzuhören. Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, ist der völlige Sieg der Ukraine.“ Angst vor der Reaktion Moskaus auf eine Niederlage sei unangemessen, erklärte Landsbergis. „Wir sollten uns mehr darum sorgen, was Putin macht, wenn Russland gewinnt.“ Für unwahrscheinlich hält der Litauer dieses Szenario kurz vor dem zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine offensichtlich nicht: „Die Dinge laufen nicht gut“, so der Christdemokrat. Man müsse die Lage ehrlich bewerten, „bei aller Düsterkeit“.
Dem Westen mangele es nicht an „Kapazitäten“, wurde der Litauer deutlich. „Es mangelt uns an politischem Willen und der nötigen Dringlichkeit“, kritisierte Landsbergis bei X. „Wir müssen jetzt handeln, denn morgen könnte es zu spät sein. Wir brauchen einen Schock, um aufzuwachen. Der Krieg ist nicht vorbei, der Feind ist sehr lebendig und Europas Zukunft steht auf dem Spiel.“
Ein Zeichen der Schwäche – aber nicht von Putin
Der Westen sei für den Kreml ein „offenes Buch“ mit seinen „klaren roten Linien“, den „Meinungsverschiedenheiten“ über Waffenlieferungen und seiner „optimistischen Blindheit gegenüber zunehmenden Risiken“, erklärte der Litauer. Deshalb verlasse er München in einer „etwas düsteren“ Stimmung, machte Landsbergis kein Geheimnis aus seinem Frust über die zuletzt zunehmend träge Haltung des Westens.
Das Baltikum und Moldau sehen sich im schlimmsten Fall als Putins nächste Opfer. Berlin, Paris und Washington sollten die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen – und diesen Staaten gut zuhören. Dann fällt auch die „optimistische Blindheit“, die sich nun wieder im Umgang mit Nawalnys Tod gezeigt hat, ganz schnell hintenüber.
Putin lässt seine Kritiker nicht verschwinden, weil er es muss, sondern weil er es kann. Der Tod des Kremlgegners ist also durchaus ein „Zeichen der Schwäche“, wie von Scholz, Macron und Blinken festgestellt. Nur eben nicht der Schwäche Putins, sondern der eigenen.