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Bedrohungen nehmen drastisch zuWie NRW-Kommunalpolitiker unter Hass leiden

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Der Bürgermeister von Dormagen, Erik Lierenfeld, wurde aus der Querdenker-Szene heraus massiv bedroht, weil er sich für das Tragen von Gesichtsmasken ausgesprochen hatte.

„Es ist schon so, dass ich gewisse Wege gemieden habe“, sagt Erik Lierenfeld, Bürgermeister in Dormagen. „Oder Strecken im Auto fahre, die ich früher zu Fuß gegangen wäre.“ Wenn man erlebt habe, was ihm widerfahren ist, werde man halt wachsamer und vorsichtiger.

„Gerade kurz- und mittelfristig ist es natürlich so, dass man anfängt, sein Verhalten zu ändern, ohne dass man das will. Das passiert ganz unterbewusst“, erklärt der SPD-Politiker: „Es ist weniger Angst als Sorge, auch um die Familie, Freunde oder die Mitarbeiter.“

Lierenfeld ist im Dezember vergangenen Jahres in einen Shitstorm der Querdenker-Szene geraten, weil er sich in einem Instagram-Video zum Maskentragen in Zeiten von Corona geäußert hat. Die Anfeindungen gingen bis hin zu Morddrohungen. „Das ist wie eine Heuschreckenplage, die über einen herfällt. Es sind nicht nur zwei, drei Briefe, Mails oder Anrufe, sondern das kommt dann dutzendfach auf allen Kanälen“, sagt der Dormagener Stadtchef, der die Pöbeleien und Drohungen zur Anzeige gebracht hat.

2020 wurden in NRW 160 Straftaten gegen Kommunalpolitiker erfasst, 88 davon beziehen sich auf den Shitstorm gegen den Dormagener Bürgermeister. Dortmund beispielsweise war mit acht Fällen vertreten, Köln mit fünf und Düsseldorf mit vier. In erster Linie ging es um Drohungen, Beleidigungen oder üble Nachrede. Körperlich verletzt wurde kein Geschädigter, wie einer Antwort des nordrhein-westfälischen Innenministeriums auf Anfrage des SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Kämmerling zu entnehmen ist. Zuvor lagen die Fallzahlen deutlich niedriger, bestätigte das NRW-Innenministerium auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. 2019 gab es sogar nur 25 registrierte Straftaten gegen Kommunalpolitiker. 2018 waren es 43 Fälle, ein Jahr zuvor waren es 44 und 2016 nur 31 Übergriffe.

Nach Einschätzung der Polizei hätten 2020 insbesondere zwei Faktoren zum Anstieg der Fallzahlen beigetragen, heißt es aus dem Ministerium: Die Kommunalwahlen sowie die Corona-Pandemie. „Die Corona-Pandemie lässt uns spüren, wie sehr Politik unser Leben beeinflusst“, sagte Innenminister Herbert Reul dieser Zeitung. Kritik an den Entscheidungen und Diskussionen gehören zwar „richtigerweise dazu, betonte Reul: „Was aber nicht dazu gehört, sind Beleidigungen, Bedrohungen oder sogar Angriffe auf Politiker. Hier sind die Grenzen der Kritik eindeutig überschritten.“

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Seit dem Flüchtlingsjahr 2015 werden Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker von Teilen der Bevölkerung in Mithaftung genommen für alles, was in Deutschland angeblich schiefläuft. Überall werden Bürgermeister angepöbelt, beleidigt, bedroht. Im Juni 2019 war der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) von einem Rechtsterroristen erschossen worden. Im Herbst 2015 attackierte ein Mann aus fremdenfeindlichen Motiven die Kölner Politikerin Henriette Reker mit einem Messer. Die letzte „eindeutig als Morddrohung zu klassifizierende Drohung“ sei im Juni 2019 eingegangen, teilte das Büro der Oberbürgermeisterin auf Anfrage am Freitag mit. Im Jahr 2020 seien sieben schriftliche Drohungen an die Polizeidirektion Köln zur Einschätzung der Gefährdungslage weitergeleitet sowie eine Anzeige wegen Beleidigung erstattet worden. „Ich habe gelernt, dass solche Schreiben und Kommentare im Netz leider dazu gehören“, sagte Reker. Sie lese auch gar nicht alle Anfeindungen. „Wer mich umbringen will, wird mir vorher wahrscheinlich eh keinen Brief schreiben“, so die OB. Was sie umtreibe, sei „die steigende Verrohung in der Gesellschaft und die immer wieder stattfindenden Übergriffe“ auf Mitarbeitende von Ordnungsamt, Rettungsdiensten oder Polizei. „Dieser mangelnde Respekt vor denjenigen, die für unser Gemeinwohl arbeiten, beschäftigt mich mehr als die paar Drohungen gegen mich“, betonte Reker im Gespräch.

Daten in den sozialen Netzwerken benötigt

Wurden die Anfeindungen gegen Kommunalpolitiker früher meist in den Staatsschutzabteilungen von Polizei und Staatsanwaltschaften bearbeitet, kümmert sich seit 2019 auch die „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime“ (ZAC) in Köln um diese Fälle. Und zwar immer dann, wenn es sich wie im Erlass definiert „um Personen in exponierter Stellung“ handelt, erklärt Staatsanwalt Christoph Hebbecker, der Sprecher der ZAC. „Außer Kommunalpolitikern können dies beispielsweise noch Geistliche, Journalisten oder Aktivisten sein, die sich öffentlich geäußert haben.“

Um die Straftaten aufzuklären, werden fast immer die Daten der Täter in den sozialen Netzwerken benötigt. „Das Aussageverhalten der Anbieter dieser Plattformen jedoch ist oft äußerst problematisch, wobei man nicht alle über einen Kamm scheren kann“, sagt Hebbecker. Gute Erfahrungen mache die ZAC mit Google, wo es im Wesentlichen um Kommentare bei Youtube gehe: „Die antworten häufig zeitnah, nachdem wir sie über ein spezielles Tool für Ermittlungsbehörden direkt angefragt haben.“ Lange Zeit seien die Erfahrungen mit Facebook „zwar sehr durchwachsen“ gewesen, „neuerdings klappt das aber etwas besser, gibt es hin und wieder Auskünfte.“

Fast nie eine Antwort von Twitter

Völlig anders aber sei dies bei Twitter oder der russischen Plattform vk.com, auf der oftmals ungehindert Hetze bis hin zu Hakenkreuzen oder Holocaust-Leugnungen geduldet würde. „Da bekommen wir nahezu nie eine Antwort.“ Auch spätere Anfragen, die offiziell über die Behörden des Landes gestellt werden, würden meist nichts bringen. „Die justiziellen Rechtshilfeersuchen im Bereich der digitalen Hasskriminalität sind aufwändig und führen regelmäßig zu keinen verwertbaren Ergebnissen, auch weil Antworten oft erst nach Monaten kommen“, so der ZAC-Sprecher. Daten wie die IP-Adressen sind dann schon lange nicht mehr nachzuvollziehen.

Dennoch würden einige Fälle aufgeklärt, etwa wenn die Plattform-Betreiber Informationen mitliefern, mit denen die Täter ihre Accounts ursprünglich angemeldet haben, so der ZAC-Sprecher. Die Ermittlungen bezüglich der Anfeindungen gegen den Dormagener Bürgermeister indes dauerten noch an.

Er habe schon deshalb weitergemacht, „weil ich sonst das Gefühl hätte, ich überlasse diesen Menschen das Feld“, sagt Lierenfeld, der erstmal 2014 zum Stadtoberhaupt gewählt wurde. Sein Eindruck sei, dass sich die Situation durch Corona noch einmal drastisch verschärft habe. „Wir vor Ort werden als Eingriffsverwaltung wahrgenommen, etwa unser Ordnungsamt war natürlich viel präsenter als sonst.“ Ob in schriftlicher Form, in hitzigen Telefonaten oder Beschimpfungen in Ämtern und gegen Mitarbeitende des Ordnungsamtes auf der Straße, die teilweise angespuckt würden. „Die Anfeindungen sind vielfältig und heftig“, so Lierenfeld.