Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

BRD und DDREinigungsvertrag vor 25 Jahren unterzeichnet

Lesezeit 5 Minuten

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l) und DDR-Staatssekretär Günther Krause bei der Unterzeichnung der Urkunden zum Einigungsvertrag am 31.08.1990.

Berlin – Wenn man auf die Bilder von der Unterzeichnung des Einigungsvertrages am 31. August 1990 schaut, fällt einem vor allem der fast noch junge Mann auf, der seine Unterschrift für die Bundesrepublik Deutschland unter das Dokument setzt. Es ist Wolfgang Schäuble, nach keine 50 Jahre alt, noch unversehrt und als Innenminister schon einer der wichtigsten Männer in der Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl.

Es ist frappierend, dass er 25 Jahre später noch immer einer der mächtigsten Politiker des vereinigten Deutschland ist; einer der ganz wenigen Akteure jener Jahre, der noch immer in der ersten Reihe die Politik mitbestimmt – neben ihm gibt es aus dieser Klasse nur noch Angela Merkel  und Gregor Gysi.

Der Verhandlungsführer der DDR-Regierung, Staatssekretär Günter Krause, ist heute Geschäftsführer eines Müllverwertungsunternehmens, nachdem er zuvor politisch und geschäftlich mehrfach Schiffbruch erlitten hatte. Wenn man will, kann man in dem Lebensweg beider Männer Parallelen zu dem Schicksal der von ihnen vertretenen Staaten erkennen. 

40 Jahre innige Gegnerschaft

Die Zeremonie im (Ost-) Berliner Kronprinzenpalais war der Schlusspunkt zweimonatiger, höchst komplexer Verhandlungen ohne jegliches Vorbild. Das fast 1000 Seiten umfassende Vertragswerk regelte nicht weniger als die Vereinigung zweier Staaten gegensätzlicher Gesellschaftssysteme, die 40 Jahre innige Gegnerschaft geprägt hatte. Im Wesentlichen ging es darum, Rechtssicherheit im Vereinigungsprozess zu schaffen, indem die in der Bundesrepublik herrschenden Rechtsnormen auf das Beitrittsgebiet übertragen wurden.

45 Paragrafen regelten alle Bereiche des Lebens: Von der Übernahme des Vermögens sowie der Schulden der DDR durch die Bundesrepublik über die Sonderrechte der Deutschen Reichsbahn bis zu den Kehrbezirken der Bezirksschornsteinfeger.

Ein zentrales Problem stellte das Bodenrecht dar. Wie sollte nach der Vereinigung mit Grundstücken umgegangen werden, die in der DDR nach 1949 enteignet worden waren? Die Bundesrepublik drängte auf eine Rückgabe an die ehemaligen Eigentümer - von denen viele nun im Westen lebten - und setzte das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ gegen alle Kritik und Proteste aus der DDR durch.

Eigentumsstreitigkeiten

Dort sah man all jene als Verlierer, die im Osten Häuser erworben oder gebaut hatten, die Grundstücke dazu aber nicht besaßen. Darauf beruhende Eigentumsstreitigkeiten haben die Gerichte noch über viele Jahre beschäftigt.

Da die DDR in der Sache nicht viel durchsetzen konnte, kam ihr der Westen mit Symbolik entgegen, die nichts kostete. Dazu zählte die Wahl des Ortes für die Unterzeichnung des „Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands“, wie er offiziell hieß.

Das Kronprinzenpalais Unter den Linden diente dem Ost-Berliner Magistrat als Gästehaus und lag im Zentrum der DDR-Hauptstadt. Das deutete schon auf ein weiteres Bonbon für den Osten hin: Die Bundesrepublikaner würden ihre Hauptstadt verlieren, die DDR-Bewohner nicht. Denn Artikel zwei des Vertrages legte eindeutig fest: „Hauptstadt ist Berlin.“

Knappe Mehrheit gegen Bonn

Die entscheidende Frage, wo Parlament und Regierung künftig ihren Sitz haben würden, ließ man noch offen, das sollte der gesamtdeutsche Bundestag bestimmen. Doch deutete sich hier schon ein rares Bündnis an, zwischen konservativen, an den einstigen Ruhm der Reichshauptstadt erinnernden Bundesdeutschen und überzeugten DDR-Bürgern mit dem festen  Willen, wenigstens ihre Hauptstadt in das neue Land hinüberzuretten.

Ihnen gegenüber standen die Anhänger der Bonner Republik, die eine Restauration preußischer Großmannssucht in Berlin befürchteten.

Aber  das unausgesprochene Bündnis hielt, wie die Abstimmung über den Parlaments- und Regierungssitz am 20. Juni 1991 im Bonner Wasserwerk zeigte: Wolfgang Schäuble hielt die entscheidende Pro-Berlin-Rede und die Abgeordneten der PDS sorgten für die knappe Mehrheit gegen Bonn.

Erbitterte Auseinandersetzung über Abtreibungsrecht

Doch zuvor hatte es bei den Verhandlungen über den Einigungsvertrag noch eine heute fast vergessene, erbitterte Auseinandersetzung über ein Detail gegeben, das für Frauen in beiden deutschen Staaten aber von erheblicher Bedeutung war: Wie würde im vereinigten Deutschland das Abtreibungsrecht aussehen?

In der DDR galt eine Fristenregelung, wonach Frauen innerhalb der drei ersten Monate frei entscheiden konnten, ob sie das Kind austragen wollten. Eine ähnliche, von der sozialliberalen Koalition 1974 für die Bundesrepublik beschlossene Regelung, hatte das Bundesverfassungsgericht unter dem Beifall der CDU/CSU für grundgesetzwidrig erklärt. Nun waren Abtreibungen in Westdeutschland nur noch aufgrund weniger Ausnahmen erlaubt.

Im Einigungsvertrag wurde festgelegt, dass beide Regelungen auf den jeweiligen ehemaligen Staatsgebieten für die Dauer von zwei Jahren fortgelten sollten, bis dahin sollte der Bundestag ein gesamtdeutsches Gesetz beschließen. SPD, Grüne und FDP gingen davon aus, dass in dieser Zeit das „Tatortprinzip“ gelten würde – also westdeutsche Frauen, die im Osten abtreiben ließen, straffrei blieben.´

„Wohnortprinzip“ für westdeutsche Frauen

Doch dem schob die Union einen Riegel vor: Sie bestand auf dem „Wohnortprinzip“ – für westdeutsche Frauen sollte auch bei einer Abtreibung im Osten westdeutsches Recht gelten, sie würden sich also strafbar machen. Durch die FDP ging ein Aufschrei des Protests, als sich herausstellte, dass ihre Führung dem in Verhandlungen mit dem Koalitionspartner zugestimmt hatte – obwohl vorher anderes beschlossen worden war.

Doch Kanzler Helmut Kohl hatte diese Frage auf Druck der katholischen Kirche zum „Eingemachten“ der Union erklärt. Sollte die FDP nicht zustimmen, würde der Einigungsvertrag nicht zustande kommen, und „der Zug gegen die Wand fahren“, wie er dem FDP-Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff sehr unmissverständlich mitteilte.

Zähneknirschend und unter heftigem Protest vor allem seiner weiblichen Mitglieder sowie der liberalen Öffentlichkeit gab er klein bei. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Burkhard Hirsch sprach von einer rechtspolitischen Obszönität. Und der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein fasste das Debakel der FDP in einem ganzseitigen Kommentar unter dem Titel: „Wie man Wähler verliert“ zusammen.

Ein Wiedersehen

An diesem Montag gibt es im Kronprinzenpalais ein Wiedersehen. Die einstigen Verhandlungsführer Schäuble und Krause werden wieder an einem Tisch sitzen und sich an ihre damalige Arbeit erinnern. Dazu kommt Lothar de Maizière, der letzte DDR-Regierungschef, der, anders als Kohl, bei der Unterzeichnung des Vertrages zugegen war. Die Begrüßungsansprache aber hält sein Cousin, der heutige Innenminister Thomas de Maizière, der damals der Verhandlungsdelegation der DDR angehörte. Deutsche Geschichte ist manchmal auch Familiengeschichte.