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Chat-SkandalFeuert Trump Verteidigungsminister Hegseth nach neuen Enthüllungen?

Lesezeit 10 Minuten
Für den neuen amerikanischen Verteidigungsminister könnte es eng werden - nach nur 60 Tagen im Amt: US-Präsident Donald Trump und Pete Hegseth im Oval Office. /Pool/ABACA

Für den neuen amerikanischen Verteidigungsminister könnte es eng werden - nach nur 60 Tagen im Amt: US-Präsident Donald Trump und Pete Hegseth im Oval Office. /Pool/ABACA

Die Chat-Affäre um Verteidigungsminister Pete Hegseth eskaliert. Zugleich gerät Trumps Vize ins Zwielicht: Treibt Vance im Weißen Haus sein eigenes Spiel?

Tagelang agierte die Trump-Administration nach dem Motto: Bitte weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen. Doch am 26. März 2025, 14.19 Uhr mitteleuropäischer Zeit, haben sich die Dinge gegen die amerikanische Regierung gewendet, mit Wucht.

Das Magazin „The Atlantic“ lieferte neue Enthüllungen zur Chat-Affäre, die es sowohl dem Verteidigungsminister Pete Hegseth als auch dem Weißen Haus unmöglich machen, weiter zu behaupten, in der umstrittenen Mobiltelefonie-Gruppe mit Hegseth und mehreren Geheimdienstchefs auf der privaten App Signal seien „keine Geheimnisse“ zur Sprache gekommen und „keine Kriegspläne“.

Journalist landet in regierungsinterner Chatgruppe

Die Chat-Affäre begann damit, dass ein Journalist versehentlich in eine regierungsinterne Debatte um einen geheimen militärischen Plan einbezogen wurde. Es ging um die kurz bevorstehende Bombardierung von Huthi-Zielen im Jemen. Der durch sein unerwartetes Dabeisein völlig überraschte Mann, Jeffrey Goldberg, Chefredakteur des Magazins „The Atlantic“, zeigte sich zum Glück verantwortungsvoll und berichtete über den Vorgang erst später.

Hegseth verteidigte sich mit der Behauptung, es sei in Wirklichkeit gar nicht um geheimhaltungsbedürftige Tatbestände gegangen. Das Magazin „The Atlantic“ verfügt jedoch, wie sich zeigt, über eine Fülle von Bildschirmfotos, die den Chat-Verlauf über bisher bekannten Umfang hinaus dokumentieren. Danach wurden in der Gruppe unter anderem folgende Details zum seinerzeit bevorstehenden Luftschlag auf Huthi-Ziele im Jemen erwähnt:.

Ein Skandal von historischem Format

Diese Informationen, schreibt das Magazin, wurden „zwei Stunden vor dem geplanten Beginn der Bombardierung von Huthi-Stellungen“ ausgetauscht. „Wären diese Informationen - insbesondere die genauen Abflugzeiten amerikanischer Flugzeuge in den Jemen - in diesen entscheidenden zwei Stunden in die falschen Hände geraten, hätten sich amerikanische Piloten und anderes amerikanisches Personal einer noch größeren Gefahr aussetzen können, als es normalerweise der Fall gewesen wäre.“

Militärexperten zeigten sich Mittwoch schockiert. Die oppositionellen Demokraten forderten von Präsident Donald Trump als ersten Schritt die sofortige Entlassung von Hegseth. Der Minister sei eine Gefahr für seine Truppe. Weitere Untersuchungen der Affäre müssten folgen.

US-Präsident Donald Trump spricht im Weißen Haus in Washington mit US-Botschaftern.

US-Präsident Donald Trump spricht im Weißen Haus in Washington mit US-Botschaftern.

Im Chat-Skandal geht es nicht allein um die versehentliche Beteiligung eines Journalisten an einem Gedankenaustausch in der Regierung. Die Beteiligten an der Chat-Gruppe – allen voran der Nationale Sicherheitsberater Mike Waltz, Hegseth und Vizepräsident J.D. Vance – werden in den anstehenden Anhörungen im Kongress vor allem erklären müssen, warum sie überhaupt den für alle Welt zugänglichen Messengerdienst Signal genutzt und damit auf die speziell verschlüsselten Systeme ihrer Regierung verzichtet haben. Das Verteidigungsministerium selbst warnt in internen Memos vor der Nutzung von Signal und verweist auf Risiken durch russische Hacker.

Die immer neuen Details lassen mittlerweile eine ganze Riege von Verantwortlichen in extrem hohen Stellen des Staates wackeln. Fünf Punkte machen aus dieser Affäre mittlerweile einen beispiellosen Skandal von historischem Format - der am Ende auch dem Präsidenten selbst gefährlich werden könnte.

1. Fakten statt Fake News - und es gibt noch mehr

Was nun, Mr. President? Bislang schien Trump niemanden zu feuern und alles aussitzen zu wollen. Genau dies aber erscheint mittlerweile unmöglich.

In der Vergangenheit kamen Trump und seine Anhänger oft damit durch, für sie ungünstige Enthüllungsberichte sogenannter Mainstream-Medien als Fake News abzutun. Solche Versuche der Verunklarung funktionieren in diesem Fall nicht. Denn der Vorgang ist bewiesen, nicht allein durch die Bildschirmfotos des Journalisten Goldberg. Das Weiße Haus selbst räumt die Sache ein. „Der gemeldete Nachrichtenverlauf scheint authentisch zu sein, und wir prüfen, wie versehentlich eine Nummer in die Kette eingefügt wurde“, erklärte Brian Hughes, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats.

Politik und Medien in den USA blickten anfangs nur auf eine Teilmenge der Textbotschaften. Die Veröffentlichung der unbezweifelbar geheimhaltungsbedürftigen Details aber bringt die Dinge jetzt zu einem Kipppunkt: Land und Leute nach langer Zeit mal wieder einen Skandal, der parteiübergreifend Eindruck ernstgenommen wird.

2. Für Hegseth verdüstert sich das Bild

Eine mögliche Strategie für die Riege der blamierten Regierenden hätte darin liegen können, den Regelverstoß zuzugeben und zu hoffen, dass die Aufregung sich bald wieder legt. Doch Verteidigungsminister Pete Hegseth machte von Anfang an alles noch schlimmer. Gleich nach dem Bekanntwerden des Berichts im „Atlantic“ attackierte Hegseth dessen Chefredakteur.

Goldberg, rüpelte Hegseth bei einem Termin vor Journalisten in Hawaii, sei „ein betrügerischer und höchst diskreditierter sogenannter Journalist, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, immer wieder Falschmeldungen zu verbreiten“. Diese Art des Umgangs mit dem Thema wird auch in den Reihen der Republikaner als nicht erfolgversprechend empfunden.

Hegseth gibt inzwischen der Vielzahl von Kritikern recht, die vor der Nominierung des impulsiven früheren Fernsehmoderators zum Verteidigungsminister gewarnt hatten. Tatsächlich erweist sich Hegseth als nicht nur fachlich inkompetent, auch politisch fehlt ihm jedes Fingerspitzengefühl. Seit vielen Jahren begleiten den 44-Jährigen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs und übermäßigen Alkoholkonsums.

Ist Hegseth möglicherweise schon von den übrigen Beteiligten als Sündenbock ausersehen? Es gibt Zeichen, die in diese Richtung deuten.

US-Verteidigungsminister Pete Hegseth muss sich nach dem Chat-Skandal rechtfertigen. Die Demokraten fordern seine Entlassung.

US-Verteidigungsminister Pete Hegseth muss sich nach dem Chat-Skandal rechtfertigen. Die Demokraten fordern seine Entlassung.

Hegseth könnte also am Ende als derjenige dastehen, der erstens mit regelwidriger Lockerheit in die Chat-Gruppe ging - und zweitens auch noch falsch auf die Affäre reagiert hat. Dies könnte sein politisches Aus bedeuten.

Der Mehrheitsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, fordert bereits die sofortige Entlassung von Hegseth. „Pete Hegseth ist der am wenigsten qualifizierte Verteidigungsminister in der amerikanischen Geschichte“, schrieb Jeffries in einem Brief an Trump. „Sein Verbleib in der höchsten Führungsposition im Pentagon bedroht die Sicherheit der Nation und bringt unsere tapferen Männer und Frauen in Uniform auf der ganzen Welt in Gefahr.“

3. Die juristischen Folgen werden unterschätzt

Trump selbst scheint sich und andere beruhigen zu wollen mit dem Hinweis, unterm Strich sei ja trotz der „Kommunikationspanne“ nichts Schlimmes passiert. Tatsächlich gilt unter Militärs die jüngste Attacke auf Huthi-Ziele im Jemen als gelungener Schlag gegen die vom Iran unterstützte Miliz, die schon oft mit Raketen die Schifffahrt am Roten Meer behindert hat.

Doch es bleibt dabei: Geheim blieb die Planung dieses Militärschlags nur wegen der staatstragenden Loyalität des Journalisten Goldberg. Wären die von Goldberg erlangten Hinweise in die falschen Hände geraten, hätte dies Erstschläge der gegnerischen Seite auf das amerikanische Militär zur Folge haben können – mit Konsequenzen für Leib und Leben amerikanischer Marinesoldaten und Piloten.

Ebenso wie die Mehrheit juristischer Laien verkennt Trump: Zur Strafbarkeit eines Verstoßes gegen US-Geheimhaltungsvorschriften kann ein Schwebezustand genügen, die sogenannte abstrakte Gefährdung der nationalen Sicherheit. Dieser Zustand könnte bereits durch die Nutzung des Systems Signal eingetreten gewesen. Die juristischen Prüfungen haben in diesem Fall noch gar nicht begonnen. Sie könnten noch zu überraschenden Ergebnissen führen.

Das Verteidigungsministerium selbst hat im März in einem internen Memo vor der Verwendung des Messengerdienstes Signal gewarnt. „In der Signal-App wurde eine Schwachstelle entdeckt“, zitiert National Public Radio eine Nachricht, die vom 18. März datiert. In dem Memo heißt es weiter: „Professionelle russische Hackergruppen nutzten die Funktion ‚verknüpfte Geräte‘, um verschlüsselte Gespräche auszuspionieren.“

„Man darf die Ernsthaftigkeit der Angelegenheit nicht unterschätzen“, sagt Kevin Carroll, ein auf Fälle dieser Art spezialisierter Rechtsanwalt, der früher als CIA-Offizier gearbeitet hat. „Wenn es sich um jüngeres Personal in Uniform handeln würde, würden sie vor ein Kriegsgericht gestellt werden.“

Eine Strafbarkeit eigener Art könnte sich für die Beteiligten der Chat-Gruppe auch aus möglichen nachträglichen Falschaussagen ergeben. Durch einen bemerkenswert scharfen Auftritt des demokratischen US-Senators Jon Ossoff wurde Trumps komplette Regie aus Geheimdienstchefs und Militärs bei der jüngsten Anhörung bereits verwarnt: „Wir werden am Ende über den kompletten Chat-Verlauf verfügen - und wir werden Ihre Aussagen daran sehr genau messen.“

Ossoff, 38, aus Georgia, gehört zu den Hoffnungsträgern der US-Demokraten. Mit auffallender intellektueller Präzision zerschnitt er bereits die Abwehrlinie der Trumpisten, wonach nichts wirklich Geheimes besprochen wurde. Auf Ossoffs bohrende Nachfrage, ob eine Debatte „über Weisheit und Terminierung eines Militärschlags in feindlichem Luftraum Erörterungen sind, denen feindliche Dienst gern folgen würden“, antwortete CIA-Chef Ratcliffe plötzlich überraschend klar mit „ja“.

4. Die Demokraten sind auf Zinne – wegen Hillary

Im Kongress darf Trump auf keinerlei Nachsicht hoffen. Die Demokraten werden nicht so schnell locker lassen. „Da müssen Köpfe rollen“, heißt es in ihren Reihen.

Für die aktuelle Unruhe gibt es auch historische Gründe. Die Partei Hillary Clintons hat mit den Republikanern eine Rechnung offen, seit im Präsidentschaftswahlkampf 2016 ihre damalige Kandidatin auf den letzten Meter mithilfe der sogenannten E-Mail-Affäre zu Fall gebracht wurde.

Clinton hatte in ihrer Zeit als Außenministerin einen privaten E-Mail-Server in ihrem Haus in Chappaqua, New York, genutzt, statt ausschließlich Regierungsserver zu verwenden. Dies widersprach Richtlinien ihres eigenen Ministeriums. Im Juni 2016 erklärte der damalige FBI-Direktor James Comey, Clinton und ihr Team hätten „extrem nachlässig“ gehandelt. Allerdings gab es keine Beweise für vorsätzliches Handeln und am Ende auch keine Anklage. Es ging auch in keinem Fall um Inhalte wie die jetzt in Rede stehende geheime Vorbereitung einer Militäraktion.

Trump und seine Anhänger indessen hatten sich wegen der E-Mail-Affäre in Rufe nach Inhaftierung der Gegenkandidatin hineingesteigert: „Lock her up.“ Niemand, donnerten damals die Republikaner, stehe über dem Gesetz. Dieser Grundsatz, im Prinzip richtig, fällt ihnen jetzt auf den Fuß.

Einige Republikaner scheinen bereits zu ahnen, dass sie gut beraten wären, eine eher defensive Gangart einzuschlagen. „Jeder schickt mal eine Textnachricht an die falsche Person, das ist mir auch schon passiert“, sagt der republikanische Abgeordnete Don Bacon (Nebraska). „Der unentschuldbare Fehler liegt darin, dass in diesem Fall die Informationen überhaupt über ein nicht sicheres Netzwerk liefen.“

5. Europahass, Distanz zu Trump: Vance wird entlarvt

Politisch peinlich ist die Signal-Affäre vor allem für Vizepräsident Vance. Er wird durch die vom „Atlantic“ dokumentierten Textbotschaften gleich mehrfach als auffallend zwielichtige Figur entlarvt.

Vance plädierte in der Chat-Gruppe zunächst dafür, die Attacke auf Huthi-Ziele im Jemen im Zweifelsfall zu verschieben: „Ich glaube, wir machen einen Fehler.“ Nur 3 Prozent des US-Handels liefen durch den Suez-Kanal, doziert Vance in der Gruppe, aber 40 Prozent des europäischen Handels. Auch Hegseth bedauert, dass man ökonomisch den „erbärmlichen Europäern“ einen Gefallen tut.

US-Vizepräsident JD Vance war Teil einer regierungsinternen Chatgruppe, der ein Journalist versehentlich hinzugefügt wurde. (Archivbild)

US-Vizepräsident JD Vance war Teil einer regierungsinternen Chatgruppe, der ein Journalist versehentlich hinzugefügt wurde. (Archivbild)

Vance lässt weg, dass die EU seit 2024 eine militärische Mission zur Sicherung der Schifffahrt im Roten Meer organisiert und finanziert, an der auch die deutsche Marine beteiligt ist. Die britische Luftwaffe hatte zudem bereits die Biden-Administration bei US-Schlägen gegen Ziele im Jemen unmittelbar militärisch unterstützt.

Die USA, so zeigen die Dokumente aus der Chat-Gruppe, haben einen Vizepräsidenten, der unterwegs ist wie ein antieuropäischer Hassprediger. Ob vor oder hinter den Kulissen: Vance scheint rund um die Uhr alles vermeiden zu wollen, was den Europäern auch nur indirekt helfen könnte. Seine jetzt bloßgelegte antieuropäische Verkniffenheit wird das Misstrauen gegenüber seinem neuerdings gemeinsam mit Ehefrau Usha geplanten heuchlerischen Besuch am Freitag in Grönland noch steigern.

Zugleich fällt auf, dass Vance sich in der Chat-Runde etwas erlaubt, das er öffentlich stets vermeidet: Er geht auf Distanz zu Trump. Über den für Europa hilfreichen Militärschlag schreibt er: „Ich bin mir nicht sicher, ob sich der Präsident bewusst ist, wie sehr dies im Widerspruch zu seiner derzeitigen Botschaft zu Europa steht.“ Dann folgt ein augenzwinkernd wirkender Hinweis in Richtung Vertraulichkeit: „Ich bin bereit, den Konsens des Teams zu unterstützen und diese Bedenken für mich zu behalten.“

Trump kann dies alles nicht ignorieren

Will Trump dies alles achselzuckend ignorieren? Dann verliert er seine Autorität, noch ehe seine neue Regierung die ersten 100 Tage geschafft hat. Einst dominierte Trump lediglich die Reality-TV-Show „The Apprentice“. Es waren selige Zeiten. Damals wurde der von ihm immer wieder ausgesprochene Satz „You‘re fired“ zu seinem Markenzeichen.

Es gibt eine für Trump machtpolitisch bedrohliche Erklärung der Chat-Kanal-Zusammenkunft von Vance, Waltz, Hegseth & Co.: Möglicherweise hat das Mobbing gegen den 78-jährigen Präsidenten, der am Ende seiner Amtszeit 82 Jahre alt wäre, schon begonnen. Vance (40) wirkt, als könne er es schon jetzt kaum mehr erwarten, Trump im Weißen Haus abzulösen.

Bildet Vance eine Art Gegenkreis - wie ein aufstrebender Manager in einem Unternehmen, der schon mal um den bisherigen CEO herum verdeckte Kommunikationsroutinen etabliert? Eins steht fest: Alles, was über offizielle Kanäle und Systeme an Beratungen läuft und vom Weißen Haus registriert und dokumentiert wird, bleibt für den Präsidenten sichtbar und nachvollziehbar. Einige aber scheinen sich genau diesem System bewusst entziehen zu wollen – selbst wenn dies auf Kosten der Sicherheit ihres Landes geht.

Da geht dann das Amateurhafte über ins Bösartige. Die Republikaner werden es noch zu spüren bekommen, bis hinein in die Provinzen: „Great again“ ist hier gar nichts. (rnd)