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„Ein Unding“Theologen kritisieren kirchliche Hochzeit von Lindner/Lehfeldt

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Lindner Kuss dpa

Franca Lehfeldt und Christian Lindner nach der standesamtlichen Trauung

Köln – Die Ehe ist ein weltlich Ding, befand einst Martin Luther. Die evangelische Kirche betrachtet die Ehe nicht als Sakrament, als christlichen Wesensvollzug auf einer Ebene mit Taufe und Abendmahl. Anders ist das in der katholischen Kirche. Dort ist ein Paar, bei dem mindestens ein Partner katholisch ist, nach kirchlicher Lehre erst verheiratet, wenn es sich in der Kirche, assistiert von einem dazu befugten Geistlichen, das Ja-Wort gibt.

Bei den Protestanten hingegen ist der Gang zum Standesamt für die Eheschließung ausschlaggebend. Die kirchliche Trauung mit dem Brautleute-Segen des Pfarrers ist dann eine zusätzliche Bekräftigung. Die kann aber – je nach Intensität der Glaubensüberzeugung – für Bräutigam und Braut weitaus bedeutsamer und wichtiger sein als Unterschrift und Stempel auf der Heiratsurkunde.

Göttlicher Beistand

Wie der Ex-Katholik Christian Lindner und seine Frau Franca Lehfeldt, die nach unwidersprochenen Meldungen ihrerseits aus der evangelischen Kirche ausgetreten ist, es mit dem göttlichen Beistand halten, ist von außen schwer zu beurteilen.

Rein kirchenrechtlich sei die kirchliche Trauung der beiden in der Kirche St. Severin auf Sylt „ein Unding“, sagt Theologieprofessorin Antje Roggenkamp, Direktorin des Seminars für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Münster. Die seit 2020 geltenden „Grundlinien kirchlichen Handelns“ der Nordkirche, auf deren Gebiet die Insel Sylt liegt, verlangen für eine ordnungsgemäße Trauung, dass mindestens einer der Eheleute der evangelischen Kirche angehört.

Pröpstin der Nordkirche: Keine „Lex Lindner“

Allerdings hat die Synode der Nordkirche 2020 zusammen mit der Grundregel gleich auch die Ausnahme beschlossen, die Trauungen auch dann erlaubt, „wenn Menschen, die nicht Kirchenmitglieder sind, danach fragen“. Daher stellt sich die für Sylt zuständige Pröpstin Annegret Wegner-Braun in der FAZ auf den Standpunkt, es gebe keine „Lex Lindner“.

Zudem gebe es in St. Severin einen Beschluss des Kirchengemeinderats, dass in „besonderen Ausnahmefällen“ an diesem „besonderen Ort“ auf der Insel auch Nichtmitglieder der evangelischen Kirche kirchlich getraut werden dürften. Damit steht die Entscheidung laut Wegner-Braun wesentlich in der „seelsorgerischen Freiheit der Pastoren“.

Nur dem Gewissen verantwortlich

Dem kann Antje Roggenkamp, die auch selbst ordinierte Pfarrerin ist, durchaus etwas abgewinnen. „Das ist ja das Schöne am Evangelisch sein, dass Christinnen und Christinnen in ihrer besonderen Freiheit Gott und dem Nächsten gegenüber nur ihrem Gewissen verantwortlich sind.“

Für die konkrete Entscheidung komme es auf die Perspektive an, erklärt die Theologin. Auch Ausgetretene blieben – kraft der Taufe – im theologischen Sinne Christinnen und Christen. So etwas wie eine „Debaptization“ (Enttaufung) in Frankreich gebe es in Deutschland aus gutem Grund nicht. Aus seelsorgerischer Sicht könne es geraten sein, einer tief empfundenen Sehnsucht der Brautleute nach dem Segen Gottes für ihre Ehe zu entsprechen.

Eindruck eines Prominenten-Bonus

Wie sich das bei Lindner und Lehfeldt verhält, könne sich nur aus einem persönlichen Seelsorge-Gespräch ergeben. „Es mag eine diabolische Anwandlung sein, aber des Eindrucks eines Prominenten-Bonus für einen Spitzenpolitiker und seine Frau mit ihrem Wunsch nach einem stilvollen Rahmen und schönen Bildern von Bräutigam und Braut kann man sich trotzdem nur schwer erwehren“, sagt Roggenkamp und spricht von einem „Geschmäckle“ mit problematischer Außenwirkung. „In einer Zeit, in der die Kirchen ohnehin auf dem Prüfstand stehen, darf einem so etwas eigentlich nicht passieren.“

Für den Ethiker Mathias Wirth ist die Hochzeit Lindner/Lehfeldt, die deutlich mehr sei als ein „dezentes Angebot zur seelsorglichen Begleitung“, aus sozialethischer Perspektive problematisch. Er spricht von der „wenig sozial- und moralsensitiven Luxus-Trauung eines Ministers, der zeitgleich die Hartz-IV-Sätze für Langzeitarbeitslose kürzen will“.

„Große Polit-Soap-Opera“

Zwar sollte die Kirche Begleitung an einem solchen Lebenswendepunkt selbstverständlich nicht verweigern, und es gehe auch nicht um die Bewertung von Fragen des Lebenstils. „Aber mir wäre es als Pfarrer gerade unter diesen Umständen wichtig, nicht wie ein Kompagnon einer großen Polit-Soap-Opera zu wirken, die noch dazu eine The-Winner-takes-it-all-Binnenmoral zum Ausdruck bringt“, sagt der aus Köln stammende Professor der Universität Bern (Schweiz).

Matthias Veit, Sprecher des „Sozialverbands Deutschland“ in NRW, hält eine Vermengung der Themen Hochzeitsfeier und soziale Kürzungen mit Blick auf Datum für schwierig. „Christian Lindner darf natürlich heiraten, wann er möchte. Als Verband haben wir das nicht zu bewerten.“ Als Politiker sei Lindner aber auch Profi in Sachen Öffentlichkeitsarbeit und werde „möglicherweise zumindest nicht verwundert sein, dass das Medien-Echo nicht sehr gut ist.“

Warnung vor sozialer Spaltung

Inhaltlich müsse es darum gehen, den sozialen Frieden im Land sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft nicht weiter gespalten werde. „Lindners Subventionen, von denen auch und gerade Besserverdiener in erheblichem Maße profitieren wie etwa der Tankrabatt für Porschefahrer, das ist für uns der eigentliche Aufreger, nicht seine Hochzeit.“

Die evangelische Kirche beraube sich ihrer eigenen Argumente für die Kirchenmitgliedschaft, wenn sie in den praktischen Vollzügen keinen Unterschied zu denen mache, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, argumentiert Antje Roggenkamp. Ihre Kollegin Isolde Karle von der Universität Bochum skizziert in der FAZ ein Dilemma zwischen Offenheit und Abgrenzung angesichts zunehmender Entkirchlichung. Einerseits wolle die Kirche für alle offen sein und präsent bleiben, andererseits dürfe sie sich nicht „bis in ihre rituellen Kernbereiche selbstsäkularisieren“, so Karle. Für diesen „dramatischen Spagat“, so Roggenkamp, seien die Kirchenleitungen nicht zu beneiden.

Gestörtes Gerechtigkeitsempfinden

Das Gerechtigkeitsempfinden der Kirchenmitglieder werde jedenfalls durch die Nachrichten und Bilder von der Hochzeit des Paares Lindner/Lehfeldt erheblich gestört, glaubt Roggenkamp.

„Es ist ein Unrecht gegenüber den vielen, vielen Christen, die in der Kirche bleiben und redlich ihre Kirchensteuern zahlen – nicht zuletzt mit der Begründung, dass sie dann auch Zugang zu den kirchlichen Amtshandlungen haben.“ Sie könne deshalb auch alle verstehen, die angesichts solcher Zugeständnisse sagten, „dann trete ich doch auch lieber aus“.

Ärgerliches Phänomen der „Free rider“

Eberhard Hauschildt, praktischer Theologie an der Universität Bonn, sieht die Kirche hier noch in einer weiteren Klemme. Die kirchliche Trauung (zahlenden) Mitgliedern vorzubehalten, folge einer Vereinslogik. Das sei einerseits durchaus plausibel. Schließlich sei das Phänomen der „Free rider“, die umsonst Angebote oder Dienstleistungen abgreifen, ärgerlich für jene, die dafür ihre Beiträge entrichten.

Andererseits dürfe die Kirche nicht den Eindruck erwecken, dass ihre zentralen Feiern und Riten ein Geldgeschäft seien. „Segen nur gegen Cash – das wäre fatal für die Kirche Jesu Christi.“ Auch Hauschildt empfiehlt die Einzelfallentscheidung als Ausweg aus dem eigentlich unauflösbaren Dilemma. „Typischerweise spielt für die evangelische Kirche der formale Rechtsrahmen nur eine sekundäre Rolle. Der Rückverweis an den Ortspfarrer eröffnet einen eigenen Spielraum.“

Spannung nicht verschweigen

Überdies rät der Bonner Professor zum Prinzip streng öffentlich – auch und gerade im Fall Lindner/Lehfeldt: „Ich halte es für geboten, dass die Pfarrerin die Beweggründe für die Trauung und die Spannung, die sich aus dem Kirchenaustritt der Brautleute ergibt, offen anspricht.“ Die Predigt, die der Trauung vorangeht, biete Gelegenheit für Erklärung und Deutung. „Das muss zur Sprache kommen und darf nicht verschwiegen werden“, so Hauschildt.

Wenn man ein ganz großes Fass aufmachen wolle, stelle sich die Frage, ob die Kirchen künftig nicht lieber ganz auf Mitgliedsbeiträge verzichten und sich zum Beispiel – wie in Italien – über Anteile an einer allgemeinen Kultursteuer finanzieren sollten, findet Antje Roggenkamp. „Dann könnten auch ein Christian Lindner und eine Franca Lehfeldt kommen und um den kirchlichen Segen bitten – so wie alle anderen Getauften auch.“

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Nach Forschungen des Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack ist es freilich weniger der Blick auf die Lohnabrechnung mit dem Kirchensteuerabzug, der Menschen aus der Kirche treibt, als eine über Jahre geschwundene, erodierte Kirchenbindung.

Aus dieser Sicht, findet Roggenkamp, könnten Lindner und Lehfeldt sogar ein Rollenmodell für einen bestimmten Typus ehemaliger Kirchenmitglieder sein mit einem noch vorhandenen Rest-Sensus für kirchliche Rituale und Formen. „Sie nehmen die kirchliche Trauung offenbar wichtiger als andere, die noch in der Kirche sind, aber auf den Gang zur Kirche verzichten.“