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Gastbeitrag von Gerhart BaumDie FDP vertritt ein abwegiges Freiheitsverständnis

Lesezeit 4 Minuten
Joachim Stamp

NRW-Integrationsminister Joachim Stamp

  1. Gerhart Baum ist ein FDP-Politiker aus Köln.
  2. Er war von 1978 bis 1982 Innenminister im Kabinett von Helmut Schmidt und gilt als profilierter Kämpfer für den Rechtsstaat.
  3. Ein Gastbeitrag.

Köln – Die FDP in Nordrhein-Westfalen, das ist nach der Landtagswahl vom vorigen Sonntag offensichtlich, hat potenzielle Wähler nicht erreicht. Was sind die Gründe?

Zunächst und vor allem: Meine Partei hat sich nicht überzeugend als Zukunftspartei entwickelt und dargestellt. Ihr Freiheitsverständnis ist auf Abwege geraten. Notwendige Schutzaufgaben des Staates werden abgelehnt. Freiheit muss aber immer mit Verantwortung verbunden werden. Schutzverantwortung!

FDP war mit Kombi aus Ökonomie und Ökologie nicht sichtbar

Abzulesen ist das Problem an einem der Kernthemen im Landtagswahlkampf: der Verbindung einer klimaschonenden Energiepolitik mit Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen. Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU hat sehr gezielt diese Karte gespielt, und Mona Neubaur als Spitzenkandidatin der Grünen hat ihrerseits Wirtschaftskompetenz sichtbar gemacht. Mit dieser Kombination von Ökonomie und Ökologie war die FDP in NRW nicht sichtbar. „Ökologische Marktwirtschaft“ – wir, die Liberalen, haben sie vor Jahren als erste ins Spiel gebracht. Jetzt kam sie bei uns nicht vor. Im Gegenteil. Aus Berlin kamen negative Signale: ein Tankstellenrabatt gegen alle liberalen Prinzipien. Das Neun-Euro-Ticket für Busse und Bahnen und das Osterpaket von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hingegen wurden bemäkelt.Warum nicht – als Signal – eine auf drei Monate Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 Kilometern pro Stunde auf den Autobahnen? Abgelehnt! Die Menschen müssen doch zur Besinnung kommen. Man gewinnt aber immer wieder den Eindruck, dass Furcht vor (notwendigen) Regeln die FDP blockiert. Die Folge: Was die Grünen zu viel regeln, das tut die FDP zu wenig. Sträflich hat sie die Frage vernachlässigt, warum ausgerechnet sie beim liberalen Großstadt-Bürgertum so katastrophale Einbußen erleidet.

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Das abwegige Freiheitsverständnis, das die FDP derzeit vertritt, hat sich auch in der Bekämpfung der Pandemie gezeigt. Von Anfang an war die FDP die „Lockerungspartei“. Diese Haltung hat sie in der Auseinandersetzung mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und allen Ländervertretern noch auf die Spitze getrieben. Erneut wurde so der Eindruck erweckt, die FDP nehme die Bedrohung nicht ernst.

Kubicki-Kurs hat Wählerstimmen gekostet

Wolfgang Kubicki und andere haben in Berlin eine einheitliche Linie des Bundeskabinetts verhindert. Dieser Kurs sollte Wählerstimmen bringen, hat aber Wählerstimmen gekostet – vor allem bei den Älteren. NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer hat auf dem Feld der Corona-Politik zudem die Eltern schulpflichtiger Kinder ununterbrochen irritiert – getrieben von dem eher populistischen „Freedom Day“-Hype.

Die FDP-Wirtschaftspolitik wird stark auf Finanzpolitik verengt, auf „Entlastung“. „Da kommt der »Entlastungsminister«“, so wurde Christian Lindner zur Schlusskundgebung des FDP-Landtagswahlkampfs in Köln angekündigt. Doch mit Entlastungen wird man sorgsam und sparsam umgehen müssen. Das Argument, die Älteren hätten die FDP gewählt, weil sie die 300 Euro nicht bekommen hätten, müsste ja andere auch treffen. Und von der verkorksten Schulpolitik sind 70-Jährige nun auch nicht mehr direkt betroffen. Schon deswegen wäre es leichtfertig, die Schuld für das Debakel in der Landtagswahl einseitig und allzu bequem bei Gebauer abzuladen.

Strack-Zimmermann alleine reicht nicht

In der Ukraine-Krise war Agnes Strack-Zimmermann Gesicht und Stimme der FDP. Aber das reicht nicht. Sie erschien als Einzelkämpferin – als ob es in der FDP sonst keine außenpolitische Kompetenz mehr gäbe und auch keine europapolitische. Kein politisches Signal ging in dieser für Europa entscheidenden Phase von der FDP an den wiedergewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron aus. Einst war die FDP eine Europa-Partei mit Leidenschaft. Heute müsste sie es wieder sein und umso mehr – als Gegengewicht zum außenpolitisch zögerlichen Bundeskanzler Olaf Scholz. Dessen „Besonnenheit“ ist zum Teil mit der Rücksichtnahme auf seine „Mützenich-SPD“ zurückzuführen. Wir Liberalen aber waren dieser Art Besonnenheit schon in den 1980er Jahren mit dem Festhalten am Nato-Doppelbeschluss begegnet.

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Ein jüngerer liberaler Freund analysierte nach der Wahl: In der Ampel sind SPD und FDP eher die „Status-Quo-Parteien“. Aber: Ein „Weiter so“, das darf es für die FDP in dieser Situation nicht geben. Es braucht jetzt Aufbruchssignale einer echten Freiheitspartei.

Ein Letztes: Der frühere „Spiegel“-Redakteur und Publizist Jürgen Leinemann hat einmal vom notwendigen „Wärmestrom“zwischen Wählern und Gewählten gesprochen. Auch daran fehlt es der Freien Demokratischen Partei.