Düsseldorf/Köln – Thomas Mertens ist davon überzeugt, dass die Entscheidung der Ständigen Impfkommission zur Beruhigung der Eltern beitragen wird. Impfungen von Kindern und Jugendlichen werden nur bei bestimmten Vorerkrankungen empfohlen, sagt der Stiko-Vorsitzende. „Es geht um eine Abwägung von Nutzen und möglichem Risiko.“ Die Wirkung der Impfung für 12- bis 17-Jährige sei unbestritten.
Durch die relativ kleine Gruppe von rund 1100 Kindern und Jugendlichen in der Zulassungsstudie und einen Beobachtungszeitraum von nur zwei Monaten seien aber mögliche schwere Nebenwirkungen nicht hinreichend auszuschließen. Dazu sei das Risiko , schwer an Covid-19 zu erkranken, sehr gering. „Wir hatten in dieser Altersgruppe in Deutschland bisher nur zwei Todesfälle.“ In beiden Fällen hätten schwerste Vorerkrankungen vorgelegen. Andere Ärzte gehen von vier Todesfällen bei Kindern aus. „Unsere Abwägung muss jeder verstehen“, so Mertens. „Es ist eine sachgerechte Empfehlung.“
Kinderärztin: Stiko-Empfehlung „nicht hundertprozentig nachvollziehbar“
Das könnte Christiane Thiele unterschreiben. Die Vorsitzende des Landesverbands NRW der Kinder- und Jugendärzte findet die eingeschränkte Stiko-Empfehlung dennoch schwierig. „Für uns ist es nicht hundertprozentig nachvollziehbar, warum so entschieden wurde“, sagt die Viersener Kinderärztin. Die Stiko sei ein anerkanntes Expertengremium und werde ihre Gründe haben. „Nichtsdestotrotz gibt es bei Kindern und Jugendliche auch schwere Verläufe und Long Covid“, so Thiele.
„Was ist die Konsequenz? Schicken wir sie weiter ständig in Quarantäne, weil sie einander anstecken?“ Ohne Impfempfehlung, so die Kinderärztin, könne man Kinder und Jugendliche nicht weiter vom gesellschaftlichen Leben fernhalten.
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Auch ohne Stiko-Empfehlung stünden schon jetzt in ihrer Praxis mehr als 100 Patienten auf der Warteliste. Täglich würden es mehr. Dabei fehle ihr derzeit der Impfstoff: „Ich habe null Biontech. Gerade habe ich die Nachricht bekommen, dass ich nächste Woche auch nichts kriege.“
Ihre Kollegen müssten sogar Termine für Zweitimpfungen wegen der Lieferprobleme bei Biontech absagen. „Es ist völlig akademisch darüber zu streiten, wen wir impfen sollen, wenn kein Impfstoff da ist“, so Thiele. Solange der knapp sei, werde sie ausschließlich nach den Stiko-Kriterien impfen. „Ich glaube nicht, dass ich vor den Ferien irgendein Kind erstimpfen werde, das keine Indikation hat.“ Vielen Eltern, die ihre Kinder vor dem Urlaub impfen wollten, müsse sie absagen . „Erst ist das Kind mit Downsyndrom dran.“
Laschet versprach Impfungen vor den Sommerferien
Jetzt rächt sich, dass NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) noch im Mai im Landtag versprochen hatte, es werde noch vor den Sommerferien genügend Impfstoff für Kinder und Jugendliche geben. „Es ist bereits jetzt vereinbart, dass der Impfstoff, den wir für die 12-bis 16-Jährigen brauchen, zusätzlich zur Verfügung gestellt wird. Ich werde darauf drängen, dass die Länder, in denen die Schulferien zuerst beginnen, auch die ersten sind, die diesen Impfstoff erhalten, damit möglichst viele Kinder noch vor den Ferien geimpft werden können“, sagte Laschet damals.
Lockerungen für Geimpfte – diese Perspektive fließt auch bei Oliver Jörgens aus Brühl in die Entscheidung darüber ein, ob er seinen zwölfjährigen Sohn impfen lässt. „Wir haben Arne beim Kinderarzt auf die Warteliste gesetzt“, sagt er. „Wenn wir eine Rückmeldung bekommen werden wir uns beraten lassen und ihn vielleicht impfen. Die Entscheidung steht noch nicht fest.“ Arne sagt, er würde sich impfen lassen – schließlich müsse er sich danach nicht mehr testen. Ähnlich sieht es Milla Reiche (15): „Ich war lange eher skeptisch und würde anderen den Vortritt lassen. Aber wenn ich einen Termin hätte, dann würde ich mich auch impfen lassen.“
Kinder in Impfentscheidung einbeziehen
Professor Jörg Dötsch, Leiter der Kinderklinik an der Uniklinik Köln, rät Eltern, in jedem Fall vor einer Impfung mit den Kindern über deren Beweggründe zu sprechen. „Kinder sollten ihrem Interesse und ihrem Vermögen nach in die Entscheidung mit einbezogen werden. Man sollte sie aber nicht einfach fragen, ob sie geimpft werden wollen – sondern abklopfen, wie sie zu ihrer Einschätzung kommen.“ Er hält die Entscheidung für „sehr klug und abgewogen.“
Auch Thiele hat noch eine Empfehlung parat. Eltern sollten sich auf der Laienseite des RKI über die Impfung zu informieren. Ihnen sollte bewusst sein, dass Kinder kein hohes Krankheitsrisiko haben, gleichzeitig wurden in den USA bereits viele Kinder und Jugendliche geimpft. Diese, sagt Thiele, hätten den Impfstoff gut vertragen. Sie könne gesunden Kindern weder dringend zur Impfung raten noch davon abraten. „Das ist eine individuelle Entscheidung, die Eltern treffen können“, sagt Thiele. „Ich persönlich impfe meine Kinder.“