Verrückt, aber harmlos: Das ist der Eindruck, den viele Menschen von den aktuellen Protesten gegen die Corona-Politik haben.
Doch es sind längst nicht nur Verschwörungstheoretiker und besorgte Bürger, die auf die Straße ziehen.
Die Proteste werden von Extremen unterwandert – Systemgegner, Hooligans, Reichsbürger und Neo-Nazis machen mobil. Ein Blick auf die Drahtzieher
Köln – Die Kundgebung in Mönchengladbach am vergangenen Sonntag begann mit einer enttäuschenden Teilnehmerzahl. Anstatt der 300 Gegner staatlicher Coronavirus-Schutzmaßnahmen fanden sich gerade mal 100 Protestler auf dem Marktplatz in Rheydt ein. Die sogenannte „Querfront“ aus Verschwörungstheoretikern, Esoterikern, Impfgegnern, Hooligans, Reichsbürgern und Rechtsextremisten verfolgte die Tiraden des Redners Dominik Roeseler. Letzterer ist den Verfassungsschützern bestens bekannt. Der Rechtsextremist gehörte zu den führenden Köpfen der gewaltbereiten Aktionsgruppe „Hooligans gegen Salafisten“, die sich vor sechs Jahren auf dem Breslauer Platz in Köln Straßenschlachten mit der Polizei geliefert hat.
Inzwischen, so scheint es, nutzt der ehemalige Pro-NRW-Ratsherr die Corona-Protestbewegung, um braunes Gedankengut unter die Leute zu bringen. Und so erklärte Roeseler per „Proklamation“ auf der Demo die Corona-Epidemie „für beendet“. In Anlehnung an die Kriegsverbrecherprozesse gegen überlebende Schergen des NS-Regimes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges forderte der Hetzer „alle Politiker in den Regierungen“ dazu auf, sich „traditionsbedingt in Nürnberg“ zu verantworten „für den Schaden, den sie am deutschen Volk zu verantworten haben“.
60 Corona-Proteste in NRW
Das NRW-Innenministerium zählte nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ allein am vorigen Wochenende 60 Corona-Protestzüge. Stetig trommeln Links- und Rechtsextreme bundesweit gegen den Corona-Lockdown, um die gemischt besetzte Virus-Querfront zu unterwandern. Laut NRW-Innenminister Herbert Reul „sind gerade jede Menge Wölfe im Schafspelz unterwegs, die versuchen, sich mit ihren antidemokratischen Parolen in die Mitte der Gesellschaft zu schleichen.“
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Insbesondere in der Neo-Nazi-Szene sieht der NRW-Verfassungsschutz „die Gefahr einer möglichen Radikalisierung von Kleingruppen und Einzelpersonen, die den Verschwörungsmythen folgen und sich auf ein vermeintliches Widerstandsrecht berufen. Das kann zu Gewalttaten motivieren.“ Die Anschläge von Kassel, Halle und Hanau seien nach diesem Muster erfolgt, so das Fazit. Teile des Rechtsextremismus fantasierten demnach von einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung am „Tag X“. In jenem Moment solle dann mit Gewalt die Macht erobert werden.
Ultranationale hetzen gegen Migranten
Insbesondere hetzen Ultranationale gegen Migranten. So diffamierten sie Geflüchtete als Virus-Überträger. Die rechtsextreme Gruppe „Ein Prozent“ wetterte gegen „Migrationsrouten als Virusrouten“. Nachdem sich auch in Flüchtlingsheimen Bewohner infiziert hatten, ätzte der AfD Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio in einem Facebook-Post über „Corona-Migranten“.
Je länger die Pandemie andauert, desto harscher die Tonlage – wie am vorigen Sonntag in Mönchengladbach. Dort trat eine weitere Figur der rechten Anti-Corona-Welle auf: Sascha V., alias „Master Spitter“, trug krude Rap-Songs vor. Die NRW-Sicherheitsbehörden ordnen ihn der Reichsbürgerszene zu.
Der Verschwörungsideologe aus Jüchen im Kreis Neuss gilt als einer der Administratoren des Telegram-Chats „Corona-Rebellen NRW“ mit über 4000 Mitgliedern. Bundesweit soll die Bewegung bereits 70000 Anhänger zählen.
Häufig tritt Sascha V. bei Veranstaltungen von Republik-Skeptikern der „Gelbwesten“-Aktion auf. Laut der Nachrichten-Plattform „Blick nach rechts“ rappte er auf einem Event über eine „Schattenmacht“, die diese Dinge steuere. Die USA würden „im Auftrag Israels die Welt versklaven“.
Nach der umstrittenen WDR-Satire von der Oma als Umweltsau zum Jahresbeginn mischte Sascha V. bei ultrarechten Kundgebungen vor dem Öffentlich-Rechtlichen Sender in Köln mit. In seinem Video-Clip auf Youtube geißelte der rechte Rapper den GEZ-Gebührenzwang, redete über „Stasi-Methoden“ und verglich den Rundfunkstaatsvertrag mit den Methoden Adolf Hitlers – eine Melange, typisch für bekennende Reichsbürger, die jene Republik ablehnen, in der sie leben.
Absurde Vorwürfe gegen Bill Gates
Äußerlich erinnert der Republik-Gegner V. eher an einen linksalternativen Hippie als an einen strammen Rechtsaußen mit Bürstenhaarschnitt. Auf seinem Facebook-Account posiert V. mit dem weit verbreiteten T-Shirt der Corona-Leugner: „Gib Gates keine Chance“. Gerade unter den Lockdown-Gegnern ist der US-Milliardär Bill Gates das Feindbild Nummer Eins. Absurde Vorwürfe kursieren im Netz: Da soll die Gates-Stiftung etwa die Entwicklung des neuen Coronavirus finanziert haben.
Auf rechtsextremen Corona-Kundgebungen zieht derzeit auch „die Bruderschaft Deutschland“ auf. Die Truppe, die gerne in einheitlichen schwarzen T-Shirts mit einer geballten Faust in der Mitte marschiert, geriert sich vor allem im Raum Düsseldorf als Bürgerwehr. Wie der mutmaßliche Anführer Ralf Nieland (Fan von Fortuna Düsseldorf) kommen viele Mitglieder aus der Hooligan-Szene. Der Kampfsportler ist den Erkenntnissen der Staatsschützer zufolge auch gut vernetzt in der Neo-Nazi-Szene.
Immer wieder macht die Bruderschaft durch ihr martialisches Auftreten von sich Reden. Im November 2018 kam es bei einem Aufmarsch von 450 Hools in Düsseldorf-Eller zu schweren Ausschreitungen mit Gegendemonstranten. Anhänger der Bruderschaft skandierten in einem Clip von den Ereignissen: „Schlagt sie tot !“
Am 1. April durchsuchte die Düsseldorfer Polizei bei drei „Bruderschaftlern“, darunter die Wohnung Nielands. Bei ihm fanden sich Messer und ein Elektroschocker. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Vergangenen Samstag nahm die Bruderschaft Deutschland an einem Spaziergang von 300 Virus-Leugnern entlang des Düsseldorfer Rheinufers Richtung Landtag teil. Neben einer harmlosen Elterngruppe schritten die Schwarzhemden mit AfD-Politikern, Republikanern und Anhängern der rechtsradikalen Identitären Bewegung Seit an Seit.
Martin Sellner will bei „Widerstand 2020“ mitmischen
Letztere sympathisieren mit der Anti-Corona-Plattform „Widerstand 2020.“ Die selbsternannte Partei, mitbegründet durch den HNO-Arzt Bodo Schiffmann, propagiert den Slogan: „Anders denken ist kein Fehler, sondern Freiheit.“ Der Mediziner Schiffmann hat mit seinem YouTube-Kanal „Schwindelambulanz Sinsheim“ inzwischen auch in gut bürgerlichen Schichten zahlreiche Sympathisanten gewonnen. Er behauptet, das Virus sei nicht so schlimm. Virologen wie Christian Drosten von der Berliner Charité oder vom Robert-Koch-Institut betrieben reine „Massenpanik“.
Seine Thesen, obschon längst widerlegt, wecken das Interesse rechtsextremistischer Kreise: Martin Sellner, Chef der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung, hat angeboten, sich beim „Widerstand 2020“ einzubringen. Dies sei die Stunde der Patrioten. Sellner sprach von einem „temporären Zweckbündnis“.
Die Widerstandsbewegung gewinnt gerade auch in NRW an Anhängern. Innenminister Reul sieht dies kritisch: Zentrale Aussagen seien populistisch und böten Anschlussstellen ins rechtsextremistische Spektrum. Die kolportierte Mitgliederzahl von 100000 halten die Sicherheitsbehörden für weit überhöht. Dies zeige aber, so ein Sprecher Reuls, „welche Konjunktur das Thema Covid 19 in Verbindung mit populistischen und verschwörungstheoretischen Deutungsmustern in den sozialen Medien hat.“ So werde inzwischen in manchen Gruppen von „Widerstand 2020“ per Messenger-Dienst zum sogenannten „Anti-Masken-Flashmob“ aufgerufen.