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Der Drache kreist über EuropaWie unabhängig ist die EU inzwischen von China?

Lesezeit 6 Minuten
Ein Mitglied der Europäischen Kommission (l) bereitet sich auf den Austausch von Dokumenten mit der chinesischen Delegation vor.

Ein Mitglied der Europäischen Kommission (l) bereitet sich auf den Austausch von Dokumenten mit der chinesischen Delegation vor.

Während die Europäische Union Einflussversuche Chinas einzudämmen versucht, will Peking einzelne Mitgliedsstaaten an sich binden. Die Bilanz der neuen China-Strategie ist ernüchternd.

Die Zeit der netten Worte ist lange vorbei. Als Ursula von der Leyen im April 2023 nach China reiste und Präsident Xi Jinping traf, sparte sie nicht mit scharfer Kritik. China überschwemme Europa mit staatlich subventionierten Produkten, warf sie Xi vor. Ein Jahr später verschärfte sie ihre Kritik, als sich die beiden in Paris trafen und gab sich kämpferisch: „Wir verteidigen unsere Unternehmen.“ Die EU werde nicht zögern, alles Notwendige zu tun. Die neuste Maßnahme: Zölle auf hochsubventionierte Elektroautos aus China. Peking schäumt vor Wut.

Anderthalb Jahre ist es her, dass Brüssel eine härtere Gangart gegenüber der chinesischen Regierung angekündigt hat. Erst die Corona-Pandemie und dann Russlands Angriff auf die Ukraine haben gezeigt, dass sich die EU unabhängiger von autoritären Staaten machen muss. Die Konsequenz: Eine radikale Neuausrichtung in den wichtigsten Bereichen, Risiken und Abhängigkeiten reduzieren und die Widerstandsfähigkeit erhöhen. War das erfolgreich?

China nutzt Machtsituation im Rohstoffhandel aus

Auf den ersten Blick schon: Das Handelsbilanzdefizit der EU mit China sank 2023 auf 291 Millionen Euro, ein Rückgang von 27 Prozent zum Vorjahr. Doch importiert Europa tatsächlich weniger Produkte aus China? Ökonom Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) glaubt eher, dass Produkte aus China nach der Corona-Pandemie wieder günstiger geworden sind und in China immer mehr Überkapazitäten die Preise drücken. „Das Defizit im Handel mit China ist nach wie vor so groß, dass von einer Entwarnung keine Rede sein kann“, sagt er im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Kritisch schaut Matthes auch auf die Bemühungen, die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Die EU hatte zuletzt einige Abkommen ausgehandelt, um kritische Rohstoffe aus mehr Ländern als nur aus China zu beziehen. „China hat sich aber bei wichtigen Rohstoffen gezielt eine Machtposition aufgebaut und ist bereit, diese mit Erpressungsversuchen für seine Zwecke zu nutzen“, sagt Matthes. „Wir haben immer noch kein klares Gesamtbild, bei welchen Produkten ganze Wertschöpfungsketten zum Erliegen kommen, wenn China nicht mehr liefert“, so der Ökonom. Gerade viele chemische, pharmazeutische und elektronische Vorprodukte kämen aus China und es sei unklar, welche dieser Produkte unverzichtbar seien. Bei kritischen Rohstoffen wie Germanium, Gallium und Graphit, die für die Halbleiterindustrie und die Herstellung von Produkten für die Energiewende benötigt werden, habe China schon seine Machtsituation ausgenutzt.

China als Partner, Konkurrent und systemischer Rivale

Das Problem: Einige Seltene Erden kommen fast nur in China vor, einige weitere werden fast nur dort verarbeitet. Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht. Staaten könnten aber zumindest Vorräte anlegen oder Unternehmen belohnen, wenn sie Vorräte anlegen. Bei Medizinprodukten oder Seltenen Erden ist dies leicht umsetzbar, denn die Kosten sind überschaubar.

Partner, Konkurrent und systemischer Rivale – so beschreiben die EU-Staaten offiziell die Beziehung zu China. Mann wolle sich nicht von China entkoppeln, aber Lieferketten diversifizieren und Risiken mindern. Doch inzwischen ist die Regierung in Peking immer weniger ein Partner. „China verschiebt von sich aus das Gewicht und den Kern unserer Beziehungen deutlich in Richtung systemische Rivalität“, sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, David McAllister. „Diese Rivalität wird nicht von Europa gesucht, sondern von China an uns herangetragen.“ Jetzt sei es an Europa, aus den Erfahrungen mit Russland die richtigen Lehren im Umgang mit China zu ziehen. Produkte aus den wichtigsten Branchen sollten wieder in Europa hergestellt, sagt er, und Abhängigkeiten reduziert werden.

Produktion in Europa oft noch zu teuer

Doch Europa kommt bei der Diversifizierung nur schleppend voran. Viele Produkte können lediglich mit Preisaufschlägen aus anderen Ländern geliefert werden und in Europa zu produzieren ist oft zu teuer. „Solange China auf dem Markt aktiv ist und mit staatlicher Hilfe die Produktionskosten gering hält, ist es sehr schwierig für andere Anbieter in Drittländern oder hierzulande, eine wettbewerbsfähige Produktion aufzubauen“, sagt Matthes.

Er verweist auf Umfragen, wonach viele europäische Unternehmen die Abhängigkeit von China zwar spüren, aber nichts dagegen tun wollen oder sogar noch mehr aus China importieren. Matthes bezweifelt daher, dass man die Risikominimierung allein den Unternehmen überlassen kann. „Die anhaltende Abhängigkeit von China könnte auch Ursache einer Art von Marktversagen sein“, sagt er. „Wenn sich Unternehmen in Europa auf einem umkämpften Markt mit geringen Margen behaupten müssen, haben sie oft keine andere Wahl, als die billigsten Rohstoffe aus China zu beziehen.“ Bei vielen Produkten würde ein Unternehmen Marktanteile verlieren, wenn es als einziges Unternehmen seine Rohstoffe nicht mehr aus China, sondern zu einem höheren Preis aus einem anderen Land importieren würde.

Die harte Hand der EU-Kommission lässt Peking längst nicht mehr unbeantwortet. Wegen der EU-Zölle auf chinesische E-Autos hat das Land bei der Welthandelsorganisation (WTO) protestiert, es droht ein jahrelanger Streit. Zudem versucht Peking immer häufiger, über chinafreundliche Mitgliedstaaten die EU-Politik zu beeinflussen. „Es ist offensichtlich, dass China seinen Einfluss auf einzelne EU-Staaten geltend macht, um ein gemeinsames Vorgehen der EU zu torpedieren“, sagt EU-Verteidigungspolitiker Tobias Cremer (SPD). „Wir dürfen nicht blauäugig sein, Chinas Vorgehen ist wirklich nicht überraschend.“

Ungarn als chinesischer Türöffner in die EU

Im Fokus der Chinesen steht das EU-Land Ungarn, das immer enger an das Reich der Mitte heranrückt. Eigentlich sei der ungarische Rechtspopulist Viktor Orban nur Regierungschef eines unbedeutenden Kleinstaats, sagte jüngst ein EU-Diplomat in Brüssel. Doch für China werde der ungarische Premier nun zum Türöffner in die EU. Tatsächlich hat sich Ungarn in den vergangenen zehn Jahren zu einem wichtigen Handelspartner für die Chinesen entwickelt. Präsident Xi besuchte das kleine Land im Mai dieses Jahres und besiegelte eine strategische Partnerschaft. Während andere EU-Staaten ihre Abhängigkeit von China verringern, hieß Orban chinesische Investitionen willkommen. Das Land, das derzeit für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft innehat, setzte für die kommenden Wochen zahlreiche Veranstaltungen für einen „konstruktiven Dialog über Wirtschaft und strategische Sicherheit“ zwischen der EU und China an – sehr zum Unmut von EU-Diplomaten.

Für Europa ist China die größte geopolitische Herausforderung dieses Jahrhunderts, meint McAllister. „Es ist das einzige Land, das die Absicht hat und zugleich über die wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Mittel verfügt, die globale Ordnung umzugestalten.“ Die EU sucht sich deshalb neue Freunde in der Welt. „Friend-Shoring“ nennt sich das Konzept, bei dem man den Handel auf Länder mit gemeinsamen Werten beschränkt. Brüssel schließt in diesen Monaten mehr und mehr Freihandelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften mit Staaten ab, auf die man sich auch bei geopolitischen Krisen verlassen kann. „Das sind nicht nur lupenreine Demokratien, sondern auch viele Schwellenländer, die sich beispielsweise bei einem Angriff Chinas auf Taiwan in der Mitte positionieren würden“, sagt Ökonom Matthes. Indonesien und Indien würden wohl Europa weiter beliefern, wenn es zu einer noch stärkeren Blockbildung zwischen dem Westen und Autokratien wie China und Russland käme.

Während die EU bei der Umsetzung der China-Strategie nach anderthalb Jahren noch ganz am Anfang steht, versucht sich auch China gegenüber Europa abzusichern. Schon vor sechs Jahren hatte Peking analysiert, in welchen Technologiebereichen China strenge EU-Sanktionen hart treffen würden und unter Hochdruck beispielsweise die Abhängigkeit von Gasturbinen verringert. „China stellt die Unabhängigkeit von Europa immer häufiger über die Wirtschaftlichkeit“, kommentierte ein EU-Diplomat die chinesische Strategie. Davon könne Europa zumindest ein bisschen lernen.