Bei „Maischberger“ verdeutlichen Carsten Breuer und Claudia Major, wie groß die russische Gefahr tatsächlich ist.
Experten warnen„Wir müssen kriegstüchtig werden“ – denn Putin rüstet auf
Im Februar 2022 hat in Deutschland die „Zeitenwende“ eingesetzt – zumindest wurde sie von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach Anfang des russischen Angriffs auf die Ukraine im Bundestag verkündet. Seit Kriegsbeginn wird die Ukraine umfangreich finanziell unterstützt: Nach Angaben der Bundesregierung sind insgesamt bislang 37,32 Mrd. Euro an Hilfen gezahlt worden. Hinzu kommen Ausrüstungs- und Waffenlieferungen aus Beständen der Bundeswehr und durch Lieferungen der Industrie. Diese „Ertüchtigungshilfe“ beläuft sich demnach allein für das Jahr 2024 auf etwa 7,1 Milliarden Euro.
Allerdings bedeutet „Zeitenwende“ ebenso, die deutsche Verteidigungsbereitschaft angesichts der Bedrohung aus Russland zu erhöhen. Das im März 2022 beschlossene Sondervermögen Bundeswehr beläuft sich auf 100 Milliarden Euro. Allein 2024 gibt Deutschland rund 72 Milliarden Euro für Verteidigung aus (Stand Januar 2024). Darin sind der reguläre Verteidigungshaushalt von 51,95 Milliarden Euro und 20 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen enthalten.
Bundeswehr-Projekte stehen nach Ampel-Bruch auf der Kippe
Dennoch warnt Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) weiterhin vor einer Finanzlücke bei der Verteidigung. Pistorius sagte Anfang November, die Bundeswehr brauche im Jahr 2025 etwa 58 Milliarden Euro, um die Bundeswehr wehrfähig zu machen. Es würden im nächsten Jahr rund 6 Milliarden Euro fehlen. Der Minister hatte in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass Deutschland bis 2029 „kriegstüchtig“ werden müsse.
Zahlreiche Rüstungsprojekte der Regierung stehen nach dem Bruch der Ampel allerdings auf der Kippe. Ob die Opposition den Beschaffungen im Bundestag zustimmt, ist noch unklar. Der Machtkampf zwischen der rot-grünen Minderheitsregierung und der Union könnte im schlimmsten Fall zu Lasten der Ausrüstung der Bundeswehr gehen.
Claudia Major: Russland verliert bis zu 1.900 Soldaten täglich
Auf die Notwendigkeit, sich schnell gegen die Bedrohung durch Wladimir Putin zu wappnen, wiesen auch zwei Experten am Dienstagabend bei „Maischberger“ in der ARD hin. Der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer sagte, Kremlchef Wladimir Putin betrachte den Krieg als einen „Krieg gegen das westliche System“. Breuer hält es auch nicht für ausgeschlossen, dass Russland hinter dem jüngsten Absturz einer deutschen Frachtmaschine in Litauen steckt. Putin setze auch auf hybride Kiegsführung.
Noch deutlichere Worte zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands fand Militärexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Major erklärte zunächst, Russland erleide in der Ukraine derzeit sehr hohe Verluste. Zwischen 1000 und 1.900 russische Soldaten würden derzeit täglich fallen oder kampfunfähig werden, schilderte sie die schier unglaubliche Zahl, die auch Sandra Maischberger ungläubig nachfragen ließ. Russland sei aber bereit, diese Verluste auf sich zu nehmen, um sich in eine gute Verhandlungsposition zu bringen, falls es ab Januar unter Donald Trump zu Verhandlungen kommen sollte. Die Gesamtlage für die Ukraine sei insgesamt schlecht.
Breuer unterstützte diese Sicht: Durch den Einsatz der westlichen Waffen erkämpfe sich die Ukraine lediglich Zeit. Diese Zeit werde „uns im Westen“ gerade durch die Selbstverteidigung der Ukraine „erkauft“.
Eskaliert Wladimir Putin weiter?
Zu den von Scholz abgelehnten Taurus-Lieferungen wollte sich Breuer aus politischen Gründen lieber nicht äußern. Es sei aber klar, dass Putin mit dem jüngsten Abschuss einer Mittelstreckenrakete als Reaktion auf den Einsatz der ATACMS durch die Ukraine eine neue Eskalationsstufe gezündet habe.
Major relativierte dies mit einem Blick auf die russische Perspektive und sagte, dass Putin sich aus seiner Sicht schon lange in einem Krieg mit dem Westen befinde und auch so verhalte. So sei auch die hierzulande immer wieder zitierte Rede von der nächsten Eskalationsstufe einzuschätzen. Es sei wichtig, den Kipppunkt von Besonnenheit – wie Olaf Scholz sie sich auf die Fahnen geschrieben hat – in Einschüchterung zu erkennen. Seit Beginn des Krieges habe man gesehen, dass die von Putin gezogenen „roten Linien“ nicht existierten.
Russland produziert bis zu 1.500 Panzer im Jahr
Der designierte US-Präsident Donald Trump werde voraussichtlich nicht aus der NATO austreten, aber er könne das Verteidigungsbündnis entscheidend schwächen, so Major. Ohne Unterstützung der USA sei man in Europa „arm dran“, warnte Major. Russland stelle seine Wirtschaft und seine Bevölkerung schon länger auf Krieg ein, die Bedrohung sei sehr konkret.
Momentan produziere Russland pro Jahr 1000 bis 1.500 Kampfpanzer, assistierte ihr Breuer. Deutschland habe dagegen rund 300 Kampfpanzer in seinen Beständen. Er veranschaulichte weiter: Russland produziere 400 Millionen Schuss Artillerie-Munition, ganz Europa ringe derzeit damit, die Ukraine mit einer Million Schuss zu unterstützen. Das in Russland produzierte Material gehe darüber hinaus nicht komplett in die Ukraine, sondern auch in Depots.
Claudia Major: Es ist kein Krieg in der Ukraine
Major sagte: „Wir glauben immer noch so ein bisschen, dass das ein Krieg in der Ukraine ist. Aber es ist ein Krieg, der gegen uns geht. Wir haben heute schon an vielen Punkten diese Zeitline gehört. Es gibt Analysen, die sagen, dass Russland in fünf bis acht Jahren wieder komplett einsatzfähig ist. Das kann man übersetzen und sagen, wir haben eine Deadline für unsere Verteidigungsfähigkeit“
Major präzisierte und greift dabei die von Pistorius vorgegebenen Zahlen auf: „Bis 2029 müssen wir in der Lage sein, einen russischen Angriff abschrecken zu können, also Russland zu signalisieren, es lohnt sich nicht, weil die Kosten höher wären als der Gewinn, das ist die Idee von Abschreckung. Und wenn Abschreckung nicht funktioniert, müssen wir verteidigungsfähig sein.“
„Kriegsführung gehört zum russischen außenpolitischen Instrumentarium“, das ist für Major seit Jahren klar. Putin wolle die europäische Sicherheitsordnung verändern. In Russland seien die Fähigkeiten genauso wie die Intention vorhanden, den Westen anzugreifen, so Major. Hinzu komme die Militarisierung der Gesellschaft und der politischen Klasse. Das Land sei „nicht friedfertig“.
„Wir müssen kriegstüchtig werden“, bekräftigte Breuer. Es sei Potenzial vorhanden, dass Deutschland angegriffen werde, und dem müsse man etwas entgegensetzen. Man habe schon viel geschafft in den vergangenen zwei Jahren, aber noch immer sei die Bundeswehr nicht ausreichend ertüchtigt.