Wie langer unser Mitgefühl mit der Ukraine hält, wenn der Sommer kommt und die Gewöhnung einsetzt, wollte Frank Plasberg von seinen Diskussionsteilnehmern wissen. Die Frage wurde nicht geklärt. Obwohl der Münchener Soziologieprofessor Armin Nassehi durchaus ein paar kluge Dinge zum Gewohnheits- und Gesellschaftstier Mensch zu sagen hatte.
Etwa, dass wiederholte Information immer weniger Informationswert besitzt - und deshalb auch weniger Aufmerksamkeit generiert. Oder, dass sich unser Leben nun mal nicht an großen Krisen, sondern zyklisch am Alltäglichen orientiert. „Wir würden Krise, wie sie wirklich ist, gar nicht aushalten.“
Gewöhnung an immer größere Opferzahlen
Eben diese Gewöhnung, gab Militärexpertin Claudia Major zu bedenken, etwa an die immer größeren Opferzahlen, sei aber genau das, worauf Russland spekuliere. Mit anderen Worten: Unsere Gleichgültigkeit spielt dem Aggressor in die Hand. Major plädierte folglich für eine sehr viel offensivere Haltung Deutschlands zum Krieg: „Wir können mit Waffenlieferungen mitbestimmen, wie dieser Krieg verläuft.“ Vor allem aber müsste man bei militärischen Lieferungen mehr auf die Bedürfnisse der Ukraine hören, die gerade der geballten russischen Feuermacht derzeit nichts entgegenzusetzen hat.
Womit wir letztlich im eigenen Interesse handeln würden, denkt Norbert Röttgen, der für die CDU unter anderem im Auswärtigen Ausschuss sitzt: „Wenn Putin gewinnt, wird der nächste Krieg folgen.“
Ob das jeder so sieht? Frank Plasberg präsentiert eine Umfrage laut der 50 Prozent der Deutschen, glauben, man müsse mehr Härte gegenüber Russland zeigen, während 43 Prozent dafür plädieren, sich zurückhaltender zu verhalten, um Russland nicht zu provozieren.
Die unentschiedenen Deutschen
Diese Unentschiedenheit bei der deutschen Bevölkerung bilde die Unentschiedenheit der Bundesregierung ab, kommentiert Armin Nassehi und führt auch gleich noch eine Studie der Uni Köln an, die eine solche Verbindung nachweist.
Die Ehre des Kanzlers zu verteidigen obliegt in dieser Runde dem ehemaligen Berliner OB Michael Müller, er sitzt für die SPD im Auswärtigen Ausschuss. Doch Müller gibt unumwunden zu, das besser kommuniziert werden müsse. Und moniert dann nur, dass es in solchen Diskussionen immer gleich um Waffen gehe und nicht um die Diplomatie.
Woraufhin Armin Nassehi, der einzige Mensch, der an dieser Sendung offensichtlich Freude hatte, einwirft, dass Waffenlieferungen und Diplomatie ja keine Alternativen seien, die sich gegenseitig ausschließen. Offenbar falle es Regierungen in Krisenzeiten schwer, klare Entscheidungen zu treffen. Das habe man ja bereits in der Pandemie beobachten können.
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Rest der Diskussion dreht sich nicht mehr um die Frage des fehlenden Mitgefühls, sondern um die viel wichtigere Frage, wie dieser Krieg enden könnte. Dass er es nicht so bald tun werde, darüber herrschte traurige Einigkeit.
Von russischer Seite, schätzt Militärexpertin Major, bestehe kein Interesse an Verhandlungen, so lange Putin glaubt, dass er seine Interessen militärisch durchsetzen kann. „Es geht um Macht, Ideologie und Gewalt.“ Dass sich Russland mit einigen eroberten Gebieten zufriedengeben wird sei eine Fehleinschätzung. „Das wäre auch für die Ukraine kein Frieden und für uns in Europa keine Stabilität.“
„Es geht darum“, pflichtet ihr Norbert Röttgen bei, „ob wir den Vernichtungskrieg als politische Methode aus Europa verbannen. Wir dürfen Putin für die Anwendung der Methode Krieg nicht belohnen.“
Es werden noch Tausenden von Menschen sterben
Michael Müller will noch anmerken, dass es trotz allem immer lohnenswert sei, im Gespräch zu bleiben, da stellt Plasberg mit Matthias Schranner Europas bekanntesten Verhandlungsexperten vor. Der wiederholt, was schon Claudia Major gesagt hat: Es wird noch lange keine Verhandlungen geben. Aber das bedeutete doch, dass noch Tausende Menschen sterben werden, sagt Plasberg. Stimmt, antwortet Schranner lakonisch. Putin habe eben ein komplett anderes Wertesystem, wie die Kriminellen, mit denen Schranner es früher im Polizeidienst zu tun hatte. In deren wie in Putins Welt sollte man sich deswegen auch nicht zu Verhandlungszwecken hineinversetzen: „Ich brauche Distanz.“
Ein wenig außen vor bleibt Oleksandra Bienert, die Wissenschaftlerin ist in der Ukraine geboren, lebt seit 2005 in Berlin. Deutschland, fordert sie, müsse endlich sagen, was für Ziele es hat. Wie man in Europa in Zukunft leben will. Sie lebe seit Monaten in einem Zustand permanenter Ungewissheit, darüber, ob ihre Familie noch lebt. Nur eines, das wisse sie: „Es ist ein Kriegssommer für uns in Europa.“