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Zu unentschlossener WahlkampfDie Grünen nach der Wahl – Mit Streit ist zu rechnen

Lesezeit 4 Minuten
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Kanzlerkandidat, und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, stehen bei der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen auf der Bühne.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Kanzlerkandidat, und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, stehen bei der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen auf der Bühne.

Die Ökopartei stellt mit Robert Habeck nicht den Kanzler. Sie hat vielmehr eine schwere Niederlage erlitten. Das löst intern Kritik aus.

Der Festsaal in Berlin-Kreuzberg war am Sonntagabend prall gefüllt. Parteimitglieder waren herbeigeströmt, um das Wahlergebnis der Grünen zu feiern. Tatsächlich war das Ergebnis aber sehr bescheiden, und die Stimmung war entsprechend gedrückt.

Als in der ARD die erste Prognose für die FDP in Höhe von 4,9 Prozent bekannt gegeben wurde, war der Jubel größer als beim Resultat der eigenen Partei. Das Ergebnis der Linken wurde gar mit Buhrufen quittiert. Die Mienen im Saal und auf der Bühne zeigten: Die Grünen haben eine schwere Niederlage erlitten.

Habeck gibt zu, dass er „mehr wollte“

Zwar hielten sich die Verluste der Partei gemessen an den anderen Ampelparteien in Grenzen. Und ob in Hamburg, Leipzig oder Lübeck: Überall traf Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck auf meist übervolle Hallen mit begeisterten Anhängern.

Damit nicht genug. Beim Wahlkampfabschluss am späten Freitagnachmittag in der Hamburger Fischauktionshalle tat er seine Begeisterung darüber kund, dass 45.000 Frauen und Männer der Ökopartei neu beigetreten seien, und versicherte: „Das war der Wahlkampf, den ich führen wollte.“

Im Kreuzberger Festsaal musste Habeck am Sonntagabend jedoch sichtlich blass einräumen, „dass ich mehr wollte“. Parteichef Felix Banaszak sagte: „Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, die eine progressive Politik wollen. Das ist auch ein Auftrag an Bündnis 90/Die Grünen.“

Als problematisch auf dem Weg zum Wahltag galt der Skandal um Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den Berliner Abgeordneten Stefan Gelbhaar – und mehr noch die Enthüllung, dass eine der Frauen, die sie erhob, gar nicht existierte.

Die Krönung waren aus Sicht der Parteiführung Anmerkungen der Grüne-Jugend-Chefin Jette Nietzard, wonach die Unschuldsvermutung in einem Rechtsstaat gelte, aber nicht in einer Partei. „Die Grüne Jugend hat echt Stimmen gekostet“, sagt ein prominenter Grüner.

Grünen wollten mit Wahlkampf Weg für schwarz-grüne Koalition ebnen

Das größere Manko bestand nach Meinung von Kritikern indes darin, dass die gesamte Kampagne auf Habeck zugeschnitten war – und inhaltliche Zuspitzungen fehlten. So präsentierte der Kanzlerkandidat Klimaschutz lange Zeit nur als Mittel, um wirtschaftlichen Wohlstand herzustellen. Auf die Frage: „Warum trauen Sie sich beim Klimaschutz nicht mehr zu?“ antwortete er elf Tage vor dem Urnengang bei der Vorstellung einer „Zukunftsagenda“ in der Berliner Kulturbrauerei: „Weil wir so viel erreicht haben.“

Den Vorschlag, auf Kapitalerträge Sozialversicherungsbeiträge zu erheben, konnte Habeck nicht unterlegen. Bei anderen Themen ging die Partei auf Tauchstation. Tatsächlich bestand das Ziel der Grünen darin, einer schwarz-grünen Koalition keine grünen Hindernisse in den Weg zu legen. Habeck selbst betonte deshalb auch immer wieder, dass er zum Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz einen guten Draht habe.

Die Linke habe Vakuum gefüllt, dass die Grünen selbst erzeugt haben

Dafür wurde die Partei dann gleich doppelt auf dem falschen Fuß erwischt. Merz‘ Versuch, eine verschärfte Migrationspolitik im Bundestag notfalls mit Stimmen der AfD durchzusetzen, traf die Grünen bis ins Mark, Habeck inklusive. Am Sonntagabend gestand der Kandidat, er könne verstehen, dass eigene Anhänger danach keine Koalition mit CDU und CSU mehr gewollt hätten. Für ihn sei eine derartige Absage allerdings „nicht möglich“ gewesen.

„Merz hat die Linke stark gemacht“, verlautete zuletzt aus Habecks Umfeld. Gegen diese These gibt es aber längst parteiinternen Widerspruch. Schließlich habe die Linke ein Vakuum gefüllt, das die Ökopartei mit ihren Schwarz-Grün-Ambitionen selbst habe entstehen lassen, heißt es.

Und dann war da noch die Gefahr, dass Wähler, die zwischen Sozialdemokraten und Grünen schwankten, ihr Kreuz aus taktischen Gründen bei der SPD machen würden, um eine stabile Regierung zu gewährleisten. Die SPD lag in den meisten Umfragen knapp vorn.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Kanzlerkandidat, gibt auf der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen ein Interview.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und Kanzlerkandidat, gibt auf der Wahlparty von Bündnis 90/Die Grünen ein Interview.

Habeck versuchte in der Schlussphase des Wahlkampfes noch, all dem entgegenzuwirken. Bei der Präsentation der „Zukunftsagenda“ sagte er: Die politische Ausgangslage ist so unübersichtlich, dass taktisches Wahlverhalten nicht möglich ist. Man kann nur wählen, was man selber richtig findet.“

Beim Wahlkampfabschluss in Hamburg legte Habeck nach und sagte, für die Linke könne man nicht votieren, weil sie in die Opposition wolle – und für die SPD nicht, weil sie „nicht kraftvoll“ sei. Das zeigte die Defensive an. In der Fischauktionshalle plädierte der Kandidat überdies wieder für Klimaschutz, unabhängig vom wirtschaftlichen Fortschritt. Doch da war es längst zu spät.

Letzte Verantwortung dürfte Habeck zugewiesen werden

Eine Grüne aus der Bundestagsfraktion spricht von einer prinzipiell falschen Weichenstellung. Die These „Wir sind die Brückenbauer“ passe einfach nicht mehr in die Zeit. Habeck hätte demnach viel stärker in die Auseinandersetzung mit Merz gehen müssen, um einen politischen Gegenpol zu bilden.

Ein prominenter Parteifreund glaubt: „Wenn wir nicht in die Regierung kommen, dann fliegt relativ schnell das Geschirr.“ Gemeint ist: Dann gibt es Streit zwischen den Parteiflügeln.

Die letzte Verantwortung dürfte Habeck zugewiesen werden – jenem Mann, der Kanzler werden wollte und nun womöglich nicht mal mehr Minister bleibt.